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Bläser umzingeln das Publikum, mischen sich in die Menge, durchschreiten spielend die langen Kellerröhren des Münchner Einstein-Kulturzentrums.
Gaia (nach der griechischen Erdgöttin) nannte der Engländer Barry Guy (Foto oben) dieses Stück: eine Komposition, die den Raum mit Tönen ermisst, ihn durch Schall und Widerhall fühlbar macht. Und eine, die die vielen Begabungen ihres Autors bündelt: Barry Guy, 1947 in London geboren, ist fabelhafter Bassist zwischen Free Jazz, Barockmusik und E-Avantgarde, Komponist, herausragender Kopf des 1972 gegründeten London Jazz Composers Orchestra und außerdem gelernter Architekt. Vor zwei Jahren erarbeitete er zum ersten Mal mit Münchner Musikern einige seiner lang angelegten Kompositionen mit so viel Erfolg, dass die Stadt München bei ihm zwei Werke für das international composers & improvisers ensemble (ICI ensemble) in Auftrag gab, die jetzt uraufgeführt wurden. Gaia war das eine; das andere, ein einstündiges Power-Stück mit grafischer Partitur, hieß Switch. Grafische Symbole aus einem Siebdruck des englischen Künstlers Albert Irvin stehen darin für verschiedene Instrumentengruppen und Spielweisen, zwischen denen das Ensemble in komplizierter Reihenfolge umschalten muss: Kreise, mäandernde Formen, Pfeile und Zahlen als Hilfsmittel, Improvisationen zu strukturieren. Eine Herausforderung, die die achtzehn Musiker darunter etwa der kraftvoll-vielseitige Posaunist Christopher Varner, Kontrabassist Henning Sieverts, Pianist Martin Wolfrum, Bassist und Elektronik-Freak Siegfried Rössert sowie Gitarrist Gunnar Geisse mit Energie und Spielfreude annahmen. Spannend, wie um experimentelle Inseln herum immer wieder Wirbelstürme losbrachen in denen nur dann Leerlauf entstand, wenn einige Musiker sich zu sehr, auf ihr gewohntes Vokabular verließen. Eine glückliche Idee war es, die beiden Uraufführungen mit der deutschen Erstaufführung eines von Barry Guys Werken für klassisches Streichorchester zu kombinieren. Mit dem Komponisten als Gast am Bass spielte das Münchener Kammerorchester unter Chefdirigent Christoph Poppen After the Rain von 1992, zu dem sich Guy von einem Gemälde Max Ernsts inspirieren ließ: Aufregend, wie da in 24 eigenständigen Stimmen Renaissance-Anklänge und drangvolle Hochmoderne flirrend ineinander flossen. Ein Werk von einem, für den es keine Ausdrucksgrenzen gibt auch in einem engen Kellergewölbe nicht. Roland Spiegel |
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