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Robert Hilbert: Pee Wee Russell – The Life of a Jazzman, Oxford University Press New York, 300 Seiten Der Klarinettist Pee Wee Russell (1906–1969) war einer der originellsten
Musiker des Jazz. Sein Ton ist sofort erkennbar: mal sanft, mal rau,
mal schrill (manchmal auch alles gleichzeitig), mal in der Tonhöhe
eindeutig, mal unbestimmt, häufig angeschnitten, mit viel Vibrato
und Tremolo kombiniert mit ineinander verschlungenen, immer wieder überraschenden
Figuren, mit viel Bluesfeeling… man muss ihn hören und wird
dann immer noch vieles mehr entdecken. Ab den 40er-Jahren verstärkte
sich das nur unzulänglich Beschreibbare noch immer mehr, und mancher
mag ihn da im ersten Moment für einen frühen Vorläufer
von Ornette Coleman oder Perry Robinson halten. Aber hört man genau
hin, so zeigt sich sein feines Ohr für Harmonien. Mit Free Jazz
hatte er bestimmt nichts im Sinn. Wer ihm gerecht werden will, muss ihn so nehmen, wie er war: ein zurückhaltender, fast scheuer Mann (hierin Lester Young ähnlich), der keinen rechten Ehrgeiz hatte, Bandleader zu sein, und der zufrieden war, wenn er mit Freunden seine auf ihre Art sehr kunstvollen Improvisationen spielen konnte. Ähnliches lässt sich auch von seinen Bildern sagen, die er in seinen letzten Lebensjahren malte: konturenreiche farbige Fantasiefiguren, die Leichtigkeit und Witz ausstrahlen. Einige von ihnen sind auf der DVD „Portrait of Pee Wee” (EFORFILMS 2869019) zu sehen. Der Autor hat mit viel Sorgfalt und Verständnis ein sehr gelungenes Portrait verfasst. Ronnie Scott‘s at Fifty/The story of the most famous Jazz Club in the world, mit vielen Fotos und einem Text von John Fordham, Palmglen Ltd London, 198 Seiten Das Attribut „…in the world” stimmt durchaus, denn an Langlebigkeit und Programmqualität kann höchstens das Village Vanguard in New York mithalten. Am 31. Oktober 1959 eröffneten Ronnie Scott und sein Saxophonkollege Pete King (nicht mit dem Altsaxophonisten Peter King zu verwechseln) in London in der Gerrard Street 39 einen Jazzclub, der schon bald in Europa eine führende Stellung einnahm. Anfangs hatte er noch keine Alkohollizenz. Als ein Polizeibeamter bei der Beantragung fragte, was denn der Zweck dieses Clubs sei, erhielt er die geniale Antwort: „To try to get rhythm sections to plag in time” – was er genauso notierte! Das Clubprogramm wurde diesem Motto bis heute gerecht. Bald gab es amerikanische Gäste, als ersten Zoot Sims, gleich für einen Monat. Ein- bis mehrwöchige Gastspiele ausländischer Solisten und Gruppen waren von da an die Regel, dazu englische Bands als „Vorgruppen”. Am 27. November 1965 erfolgte der Umzug in die Frith Street 47 – die alten Räume waren zu klein geworden. Nunmehr hatte der Club Weltgeltung: viele hundert großer Musiker traten seither dort auf. Die sarkastischen Ansagen Ronnie Scotts waren eine zusätzliche Attraktion – so sagte er etwa zu Besuchern, die ihm zu wenig Begeisterung zeigten: „I never saw dead people smoke!“ In den 80er-Jahren wurde das Programm um lateinamerikanische Gruppen erweitert. 1988 hatte Pete King, der als Geschäftsführer für Ronnie Scott unverzichtbar schien, einen Herzinfarkt. Doch das übrige Team arbeitete konsequent weiter; Peter King stieg später mit verringerter Arbeitszeit wieder ein. Am 23. Dezember 1996 starb Ronnie Scott. Auch jetzt gab es keine Zäsur oder gar ein Ende dieser Institution. 2005 übernahm Sally Greene, die Erfahrungen im Kunstbetrieb hatte und den Jazz liebte, die Leitung des Clubs. Sie holte den Neuseeländer Michael Watts als Finanzier und Teilhaber ins Boot und sorgte für eine umfangreiche Renovierung der Clubräume. 2009, zum 50-jährigen Jubiläum, galt immer noch die alte Maxime, und sie gilt auch heute noch: „Book great acts and make sure people know about it.” Eine Grundregel für jeden Clubbetreiber und Konzertveranstalter. Das Buch zum Jubiläum enthält zahlreiche hervorragende Fotos und einen einfühlsamen und witzigen Text – ein schönes Weihnachtsgeschenk. Wie schade, dass es vom Münchner Domicile, das in den 70er-Jahren eine ähnliche Bedeutung hatte, keine solche Publikation gibt. Thomas Rain Crowe with Nan Watkins: Rare Birds. Conversations with Legends of Jazz and Classical Music, University of Mississippi Press USA, 166 Seiten Sechs aufschlussreiche Interviews zwischen 1990 und 1998 mit Künstlern
ziemlich unterschiedlicher Herkunft und Ziele. Eugene Friesen (geb. 1952), seit 1978 Cellist des Paul Winter Consort, Dozent am Berklee College of Music in Boston, ist als Musiker wie als Komponist vielfältig tätig, schreibt Stücke, die auf traditionellen Musikformen verschiedener Länder basieren und ist von einem starken Umweltbewusstsein geprägt („... the kinds of music that turns me on the most are those... that are rapidly being lost.“ S. 52). Charles Lloyd (geb. 1938) gehört zu den bedeutenden Tenorsaxophonisten des Jazz. Oft wurde ihm früher eine zu große Nähe zu John Coltrane vorgeworfen, was aber unsinnig ist. Sein Spiel lässt sich deutlich von dem Coltranes unterscheiden – da gibt es andere, die Coltrane viel näher sind. Statt dessen bohrender Intensität finden wir bei Lloyd meditative Ruhe. Dazu sagt er (S. 67): „…I‘ve always been a dreamer... As a young man I was always trying to change the world with music. To make it a better and more beautiful place.” Abdullah Ibrahim/Dollar Brand (geb. 1934) ist wohl der größte afrikanische Jazzmusiker, und das auf einem so un-afrikanischen Instrument wie dem Klavier. 1962 verließ er mit seiner späteren Frau Sathima Bea Benjamin seine Heimat Südafrika und ging nach Zürich, wo sie Duke Ellington 1963 hörte und zu Aufnahmen nach Paris einlud, die aber erst 1997 von ENJA veröffentlicht wurden (die Bänder waren verschollen). 1965 kamen sie nach New York. Von da an beeindruckte Ibrahim bei vielen Tourneen und auf Platten mit seiner Musik, die von einer Verschmelzung afrikanischen Rhythmusgefühls mit melodischen und harmonischen Jazzelementen geprägt ist. Seine Philosophie: „In Order to hear the music, you first have to hear yourself. Often we are hidden from ourselves...” (S. 98). Sathima Bea Benjamin (geb. 1936) sang früher oft mit Abdullah Ibrahim; später nahm sie von Zeit zu Zeit Platten auf und gab nur sehr selten Konzerte („Going into the Studio is what I love most... My music speaks of hope... Don’t be afraid to go inside yourself” (S. 116). Steve Reich (geb. 1936) hörte mit 14 Jahren Charlie Parker, Miles Davis und Kenny Clarke, den er sich als Schlagzeuger zum Vorbild nahm; später bewunderte er John Coltrane sehr. Er spielte in seiner Heimatstadt New York mit lokalen Bands und studierte an der Juillard School of Music und am Mills College in Kalifornien bei Darius Milhaud und Luciano Berio, 1970 außerdem an der Universität in Accra (Ghana). 1966 gründete er ein kleines Ensemble, das rasch größer wurde und mit dem er seit 1971 zahlreiche Tourneen unternahm. Seine Kompositionen, in der Hauptsache zeitlich sehr gedehnte geschichtete Strukturen, die sich langsam verändern, faszinieren durch ihre ästhetische und meditative Kraft. („In the end, I was a drummer, and I just started doing what came naturally. The jazz influence was there... I was trying, unconsciously, to come up with some kind of hybrid form of music“ (S.128). Joe Viera |
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