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Jazzzeitung
2010/04 ::: seite 7
portrait
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Der Mann ist längst 50, da bringt er erst seine zweite Jazz-CD
raus: Thomas Quasthoff kann dennoch auf eine überaus umfangreiche
Liste an Veröffentlichungen verweisen – und neben all den
vielfach (mit Grammy- und Echo-Preisen) geehrten Schallplatten im Klassikbereich
sind auch noch sehr lesenswerte Bücher von ihm erschienen. Nach
dem Jazz-Album „Watch What Happens“ (2007) erscheint im September „Tell
It Like It Is“ bei der Deutschen Grammophon; Grund genug, mit dem
1959 in Hildesheim geborenen Künstler über seine vielfältigen
Ambitionen zu reden.
JazzZeitung: Ihr Konzertspektrum allein in diesem Jahr ist beachtlich:
Mahlers „Kindertotenlieder“ in der Semperoper Dresden sowie
beim Musikfestival Las Palmas, es folgten „Vier ernste Gesänge“ von
Brahms, Bachs „Matthäuspassion“ und Mozart-Arien in
Salzburg, neben Mendelssohns „Elias“ auch noch Recitals in
aller Welt; obendrein präsentierten Sie auf einer Tournee schon
mal die neue Jazz-CD – ist diese Vielfalt Programm?
Thomas Quasthoff: Sagen wir mal so: Sie zieht sich durch mein Leben.
Sehr zum Leidwesen meiner Gesangslehrerin habe ich schon immer diese
Breite gesucht. Durch meinen Bruder, den früher alles interessierte,
nur keine Klassik, bin ich beizeiten in viele musikalische Bereiche geraten.
Obendrein hat mich alles, was irgendwie mit Sprache und Musik zu tun
hat – Theater, Sprechen, Vorlesen – schon in ganz jungen
Jahren sehr interessiert. Und daran halte ich bis heute fest, mich von
jeglicher Einseitigkeit zu lösen, die ja nur einengen würde.
In so ein Fahrwasser möchte ich nicht geraten, aber „Programm“ klingt
mir zu festgelegt, so würde ich nicht dazu sagen. Ich bin im Moment
in einer Lebensphase, da ergeben sich bestimmte Sachen wie von allein.
Darüber bin ich sehr glücklich.
JazzZeitung: Wie ist das unter einen Hut beziehungsweise „aus einer
Kehle“ zu bekommen?
Quasthoff: Ein wirklich guter Autor muss doch auch über alles schreiben
können, nicht? Wenn man das Glück hatte, eine vielseitige musikalische
Ausbildung mitzubekommen, sollte man das auch nutzen. Vielleicht hat
es die Muse diesbezüglich recht gut mit mir gemeint. Simon Rattle
hat mal in einem privaten Gespräch zu mir gesagt: „Weißt
du, Thommy, es gibt ein paar Wesen auf diesem Planeten, die haben so
eine Gabe, auch ganz unterschiedliche Dinge anzugehen. Du gehörst
dazu und solltest das also auch tun. Wenn nicht, würdest du dich
nur ärgern.“ Ich glaube, er hatte Recht damit. Außerdem habe ich erstens, seit ich selbst unterrichte, für
mich nochmals sehr viel über das Singen gelernt, weiß also,
wie die Stimme zu disponieren ist, und zweitens meine klassische Ausbildung
nie verleugnet. Im Gegenteil, ich bin sehr stolz darauf! Sie hat mich
ja auch genug Zeit gekostet. Ich denke also, dass ich beim Singen keine
falsche Effekthascherei betreibe, sondern schon sehr ich selbst bin. Älter
wird eine Stimme ja sowieso von ganz allein.
JazzZeitung: U und E unterscheiden Sie nicht,
sondern sprechen von nichtklassischem Gesang?
Quasthoff: Es gibt nur gute oder schlechte Musik, finde
ich. Dass man im Deutschen da immer einteilen muss, das stört mich. Natürlich
gibt es Dinge, die ich subjektiv ablehne, aber ich leiste mir nicht die
Arroganz, das zu verteufeln. Wenn sich Millionen finden, die das kaufen,
dann ist es doch okay.
JazzZeitung: Ihr Interesse an Jazz begann schon
lange vor Ihren Klassik-Erfolgen?
Quasthoff: Naja, bis eine klassische Stimme bühnenreif ist, vergehen
nun mal ein paar Jahre. Und wer da in sich die „Rampensau“ spürt,
hat keine Lust, zehn Jahre zu warten. Bei mir ergab sich das so, ich
hab in den Bands von meinem Bruder mitgemacht, hab auch mal Kabarett
mit einigem regionalen Erfolg gespielt. Das hat mir im Umgang mit Publikum
stets sehr geholfen.
Hinzu kommt, wer so frühzeitig als Nachfolger von Fischer-Dieskau
gehandelt wird, spürt auch einen enormen Druck. Da hat mir Jazz
auch als Nische zur Entspannung sehr geholfen.
JazzZeitung: Sie sind als klassischer Bassbariton
bekannt und anerkannt. Ist es nicht ein Risiko, nun als „weißer Jazzer“ bestehen
zu wollen?
Quasthoff: Nö. Ich finde meine Stimme auch nicht wirklich „weiß“.
Es gibt doch genügend Beispiele, nehmen Sie nur Tony Bennett. Aber
auch die frühe Ella Fitzgerald, eine der schönsten Stimmen,
wie ich finde, ist doch alles andere als verharzt oder verraucht.
Ich bin da sehr entspannt. Wenn man Angst hat, sollte man so etwas nicht
tun. Dass es immer Leute gibt, die was auszusetzen haben, ist doch klar.
Aber Kritik, die sachlich ist, find ich in Ordnung. Und dass die erste
Jazz-CD als Mainstream bezeichnet wurde, ist auch völlig korrekt. JazzZeitung: Warum unterscheidet sich die zweite
nun so sehr in der Besetzung und im Programm?
Quasthoff: Vielleicht, weil wir mit der ersten bewusst
einen sanften Übergang
schaffen wollten? Wenn man erstmal auf ein Genre festgelegt ist, dann
ist es nicht einfach, sich aus dem Tüll der Klassik zu befreien.
Das ist sehr deutsch. In Amerika war die Scheibe für den Grammy
nominiert, da gibt es unterschiedliche Bewertungsskalen. Die zweite ist nun viel schlichter, hat kleinere Arrangements und lässt
ganz klare Absichten erkennen. Es sollte eben kein Funk- und Soulalbum
werden, sondern dem Swing Raum geben. Deswegen haben wir uns auch für
den akustischen Kontrabass entschieden, da ist viel mehr Federung drin
als beim E-Bass.
JazzZeitung: Wollten Sie mit der Nähe zu Pop und Blues Jazz-Puristen
den Wind aus den Segeln nehmen?
Quasthoff: Überhaupt nicht. Ich habe noch nie eine Platte für
irgendjemanden gemacht, sondern immer nur das, was ich wollte. Der Titel
dieser CD sagt doch alles! Da sind nur Stücke drauf, die wir sehr
mögen. Interview: Michael Ernst
CD-Tipp
Thomas Quasthoff: Tell It Like It Is – JAZZ
Deutsche Grammophon
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