|
|
|
|
Jazzzeitung
2010/04 ::: seite 7
portrait
|
|
|
|
|
|
|
|
„Songs I’ve Always Loved“ heißt das zweite Soloalbum
des Pianisten Frank Chastenier, das am 17. September auf Emarcy (Universal)
erscheint. Seit Anfang der 90er trat er vor allem als Pianist der WDR
Big Band mehr oder weniger in den Mittelpunkt des Interesses. Bekannt
wurde Chastenier aber auch vor allem durch sein Mitwirken an zahlreichen
Produktionen von Till Brönner, wie dem letzten Knef-Album „17
Millimeter“, Brönners „Love“ oder Manfred Krugs „Schlafstörung“.
Auf seinem aktuellen Album vereint der „musicians’ musician“ solch
unterschiedliche Neuinterpretationen wie Hollaenders „Ich bin von
Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, Jacques Brels „Ne
me quitte pas“ oder Al Jarreaus „Mornin’“. Ursula
Gaisa sprach mit ihm.
JazzZeitung: Ihr zweites Solo-Album soll eine
Art musikalischer Autobiografie sein…
Frank Chastenier: Ja, ich habe Stücke ausgewählt, die an einem
bestimmten Zeitpunkt meines Lebens sozusagen auf mich eingeschlagen sind: „Dein
ist mein ganzes Herz“ aus dem „Land des Lächelns“ von
Franz Léhar zum Beispiel, das lernte ich durch diese Operettenverfilmungen
kennen, die in den 70er-Jahren im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Als
Neun-, Zehnjähriger saß ich da Sonntag nachmittags davor,
und wie alle anderen Stücke ging das nie mehr aus dem Körper
raus. Das Gleiche passierte mit Al Jarreaus „Mornin’“,
da sind damals in meinem Auto alle Tonbänder zerfressen worden,
ich musste es immer wieder neu aufnehmen, das war mein Soundtrack zur
ersten Zeit des Verliebtseins. Das trifft auf alle Stücke zu, sie
sind zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten meines Lebens aufgetreten
und seitdem nicht mehr wegzudenken. „Die kleine Stadt will schlafen
gehen“, da hab’ ich als Achtjähriger Paul Kuhn mit der
SFB-Bigband im Fernsehen gesehen, da entstand der Wunsch, Bigband-Pianist
zu werden. Ich fand das so toll, also habe ich ja jetzt im Prinzip meinen
Traumberuf erreicht. Es geht also um Momente, die mir immer noch eine
Gänsehaut versetzen, wenn ich an sie zurück denke. Deshalb
fand ich es ganz interessant, diese Stücke einmal alle in einem
Bogen zusammenzufassen.
JazzZeitung: Eine besondere Affinität scheinen Sie zu den 20er-
bzw. 30er-Jahren deutscher Song-Kultur zu haben. Wie kommt das?
Chastenier: Auf jeden Fall, das kommt von meiner Nähe zu dieser
ganzen Lebensart. Ich liebe Tucholsky und lese aus diesen Zeilen immer
Dinge heraus, die ich gerne erleben würde. Ich finde, das war eine
große Hoch-Zeit der Kultur, des Entdeckens von neuen Dingen, die
leider durch die Zeit, die wir alle kennen, so dermaßen zerstört
worden ist. Es war einfach so eine spezielle Art des „Leben und
Lebenlassens“ vor allem auch im kulturellen Bereich, die mich fasziniert.
Wenn man bedenkt, was genau in dieser Zeit, alles „auf den Markt
gekommen ist“, die ganzen Geschichten mit Tonfilm und Theater,
die Literatur, die Musik - eine geballte Ladung an tollen Dingen… Was
sich in diesem kurzen Zeitraum, eigentlich nur zehn, fünfzehn Jahre,
alles entwickelt hat. Wenn man heute solch einen Zeitraum zurückgeht,
ist das bei weitem nicht so intensiv. Das intensive Leben interessiert
mich einfach sehr.
JazzZeitung: Wie gehen Sie vor, nehmen Sie
sich ein „Lieblingsstück“,
sezieren es bis auf die Essenz und setzen es neu zusammen?
Chastenier: Ich bin sehr melodieverliebt. Wenn ich mir also nach Jahren wieder
so ein Stück vornehme, das eigentlich die ganze Zeit da war,
dann setze ich mich einfach hin und spiele es, wie ich es in diesem Moment
empfinde. Und weniger ist in dem Fall mehr für mich. Dann spiele
ich auch keine zusätzlichen Dinge, die das Ganze überfrachten
könnten.
JazzZeitung: Sind wieder One-Takes dabei wie
auf „For you“?
Chastenier: Oh ja, und sogar – wie man so schön sagt – Pre-Takes,
denn einige Arrangements für das Trio habe ich vor der Aufnahme
im Urlaub erst geschrieben. Im Studio haben wir uns dann getroffen, ich
habe die Noten ausgeteilt und gesagt, lasst uns mal durchspielen. Der
Tontechniker hat mitlaufen lassen und hat gesagt, kommt euch das doch
mal anhören, eure Probe. Und zwei waren dabei, wo wir sagten, super,
das ist genial, das nehmen wir. Da bin ich sehr dankbar, denn das geht
nur mit diesem Trio – Bassist John Goldsby und Drummer Hans Dekker
-, die beiden Kollegen sind das größte Glück in meinem
Leben, was mir passieren konnte. Die fühlen mit mir, die atmen mit
mir zusammen, die fühlen schon, wann ich eine Pause mache.
JazzZeitung: Woher stammt die Sehnsucht nach
dem Ausdruck als Solo-Künstler?
Schließlich veröffentlichen Sie seit Jahren mit den verschiedensten
Künstlern Platten…
Chastenier: Genau wie bei der ersten Platte („For you“ 1994)
war wieder der Moment gekommen, zu sagen, ok, ich mache jetzt mal wieder
die Musik, die wirklich in mir drin steckt. Denn wenn man so viele verschiedene
Sachen macht wie ich, in der WDR Bigband zum Beispiel, ist das Repertoire
ja riesengroß. Da muss ich auch Hammondorgel spielen mit Maceo
Parker, 14-tägig wechselt das Programm… Das macht Riesenspaß,
laugt aber auch sehr aus. Das Gleiche gilt für Projekte wie das
Jazzalbum von Thomas Quasthoff (siehe unten). Viele fragen eigentlich
die umgekehrte Frage, warum es so lang gedauert hat, bis ich wieder etwas
solo aufgenommen habe. Das ist aber ein Prozess, aus dem sich dann die
Essenz dessen, was ich wirklich machen will, heraus entwickelt und das
kann wiederum ein paar Jahre dauern. Das ist dann für mich etwas
wie ein privater Ausgleich zu den anderen Projekten. Meine persönliche
Wellness sozusagen.
JazzZeitung: Sie haben mit lebenden, beziehungsweise
bereits verstorbenen Legenden wie Chaka Khan, Al Jarreau, Dee Dee Bridgewater,
Randy Crawford,
Caterina Valente, Patti Austin, Hildegard Knef oder Manfred Krug zusammengearbeitet.
Wer hat sie besonders beeindruckt?
Chastenier: Beeindruckt haben mich ganz ganz viele.
Ich werde zum Beispiel nie vergessen, dass wir einmal nachmittags bei
Hildegard Knef zu Hause
waren, zwei Stunden zum Kaffeetrinken. Und sie hat geredet, wenn ich
daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut. Es war so faszinierend,
dieser Frau zuzuhören, da war so viel komprimierte Lebensgeschichte,
sie hätte ja zehn Leben gebraucht, für das, was sie alles mitgemacht
hat. Als Person kann ich nur die Zusammenarbeit mit Ray Brown herausstellen,
mit dem ich dann auch persönlich befreundet war und den ich sehr
vermisse. Mehr von Frank Chastenier zum Thema U & E unter http://blogs.nmz.de/jazz/2010/07/23/musikant-quasthoff-zum-thema-u-e
|