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Jazzzeitung
2010/04 ::: seite 18
jazz heute
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Der 1932 in München geborene Saxophonist und Jazzpädagoge Joe
Viera ist der Tausendsassa des Jazz in Süddeutschland. Seit 1960
hat er Seminare, Workshops und Vorträge (zum Teil auch in anderen
Ländern Europas) gegeben und organisiert. 1970 begann er mit der
Herausgabe der reihe jazz, einer umfangreichen Serie von Jazzunterrichtswerken,
für die er ausgezeichnete Instrumentalisten hinzuzog. Gemeinsam
mit Helmut Viertl begründete er ebenfalls 1970 die Internationale
Jazzwoche Burghausen, deren künstlerischer Leiter er seither ist.
Anfang August fand unter seiner Leitung der 500. Jazz-Kurs im Mautnerschloss
Burghausen statt. Viera erhielt 1999 das Bundesverdienstkreuz am Bande.
JazzZeitung: Joe, bevor wir uns mit der allgemeinen Situation des heutigen
Jazz befassen, vielleicht noch ein paar Worte zur „Internationalen
Jazzwoche Burghausen“, die 2010 zum 41. Mal stattfand. Wo steht
die „Jazzwoche“ heute und wie sind die Perspektiven für
die Zukunft?
Joe Viera: Letztes Jahr zum 40. Jubiläum hatten wir trotz der Wirtschaftskrise
einen Rekordbesuch, aber das darf man nicht zu wichtig nehmen, denn es
wird auch wieder musikalisch hochwertige Konzerte geben, die nicht so
gut besucht sind. Wichtig ist, dass das Festival auch in Zukunft ein
Allroundfestival bleibt. Es wurde ja von Anfang an so konzipiert, dass
es die verschiedensten Stilrichtungen des Jazz abdeckt. Das Angebot an
Gruppen, die in Burghausen auftreten möchten, ist enorm groß.
Aber auf der anderen Seite gibt es auch immer wieder jemand, den wir
schon lange wollen, aber aus den verschiedensten Gründen einfach
nicht bekommen, wie zum Beispiel die „Clayton-Hamilton Big Band“ oder
James Moody und Hank Jones.
Manchmal ist es auch so, dass wir jemand holen könnten, es aber
aufgrund einer nicht so aussagekräftigen Besetzung lieber lassen.
Deshalb war es mir zum Beispiel wichtig, dass David Sanborn nicht in
einer großen Formation kam, sondern in einem Trio mit dem vitalen
Hammondorgel-Spieler Joey de Francesco und dem Drummer Gene Lake, wo
Sanborn wirklich zeigen konnte, was er drauf hat.
JazzZeitung: Ihr widmet seit dem letzten Jahr
mit dem in Höhe von
15.000 Euro dotierten internationalen Nachwuchs-Preis zu Beginn und der
Reihe „New Generation“ am Ende gleich zwei Tage des sechstägigen
Festivals dem Nachwuchs. Das ist doch ziemlich einmalig bei einer Veranstaltung
dieser Größenordnung.
Joe Viera: Ja, der Nachwuchs ist uns wichtig. Wir nehmen
uns auch wirklich Zeit dafür. So dauerte die Entscheidung der Jury, welche 5 von den
45 beteiligten Formationen in die Endausscheidung des Nachwuchspreises
kommen, über drei Stunden. Das geht natürlich nicht ohne Diskussionen.
Erfreulich ist, dass das Niveau der Bewerber-Formationen noch höher
war als bei der Premiere des Preises im letzten Jahr. Auch beim mittlerweile
schon zur Tradition gewordenen „Next Generation Day“, den
wir ja in Zusammenarbeit mit der Plattenfirma „Double Moon Records“ durchführen,
ist das Niveau beachtlich. Ohne die wirklich großartige Unterstützung
der Stadt Burghausen wäre diese Nachwuchsarbeit und auch das gesamte
Festival in dieser Form nicht möglich.
JazzZeitung: Du hast Anfang August in diesem
Jahr deinen 500. Jazz-Kurs im Mautnerschloss in Burghausen angeboten.
Was ist das Wesentliche an
diesen Kursen?
Joe Viera: Das Besondere im Vergleich zu anderen ist,
dass wir hier sehr kompakt arbeiten und nach sieben Stunden Unterricht
auch noch vier Stunden
Session anbieten. So fördern wir bewusst das Ensemblespiel. Deshalb
lege ich auch großen Wert darauf, dass die Dozenten gut arrangieren
können. In den Meisterkursen unterrichten Jazzgrößen
wie Ron Carter, Rashied Ali, Barney Kessel oder Albert Mangelsdorff,
auch das dürfte kaum woanders zu finden sein. Seit dem Beginn der
Kurse im Jahr 1972 haben sich schon viele Teilnehmer wie Wolfgang Stabenow,
Helmut Nieberle, Helmut Kagerer, Dieter Ilg oder Carola Grey einen Namen
in der internationalen Szene machen können.
JazzZeitung: Der Jazz machte in hundert Jahren
eine ähnliche Entwicklung
durch wie die klassische Musik in tausend Jahren. Auch er hat über
eine Ausweitung der Tonalität und Miteinbeziehung der Atonalität
nun so genannte Crossover-Strukturen und alle erdenklichen Möglichkeiten
der Tonerzeugung erreicht. Wo siehst du da noch Entwicklungspotenzial?
Joe Viera: Zunächst stelle ich hierzu mit Freude fest, dass eine
Art der Entwicklung in Hinsicht auf die Qualität des Jazz stattfindet.
Das wird auf beeindruckende Art auch beim Nachwuchs deutlich. Die Musiker
entwickeln sich durch eine fundierte Ausbildung heute schon früh
auf immer höherem Niveau. Aber natürlich gibt es auch immer
wieder neue stilis-tische Mischungen. Ich bin da durchaus optimistisch.
Festellbar ist auch ein Trend zu ungewöhnlichen Besetzungen und
deshalb – weil notwendig – auch zu ungewöhnlichen Arrangements.
Das zeigt ja auch das hervorragende französische Trio „Exultet“,
das dieses Jahr als Sieger des Nachwuchspreises in Burghausen beeindruckte.
Allerdings sollte man bei der immer noch stattfindenden Verzweigung des
Jazz schon darauf achten, dass nicht Dinge als Jazz bezeichnet werden,
die mit Jazz nichts zu tun haben. Da würde man dann auch das Publikum
in die Irre führen.
JazzZeitung: Wie siehst du die aktuelle Situation
des Jazz in Deutschland. Wie ist die Entwicklung, wie sieht es mit der
Föderung aus und was
für Perspektiven siehst du da?
Joe Viera: Der Jazz nimmt in der Breite in Deutschland
zu, aber die Zahl der aus Deutschland kommenden international bekannten
Spitzenmusikern
wächst nicht proprotional mit. Das Problem ist, dass wir hierzulande
zu wenig Auftrittsmöglichkeiten haben. So wichtig und so schön
die Nachwuchswettbewerbe auch sind, hier helfen sie nur bedingt. Da könnte
nur eine durchdachte Spielstätten-Förderung weiterhelfen. Die
gibt es bisher nur in einzelnen Bundesländern wie Niedersachsen
oder Baden-Württemberg, aber das müsste in einem viel größerem
Umfang geschehen, denn der Jazz ist eine der wesentlichen Musikformen
unserer Zeit. Wenn die Klassiker unter den gleichen finanziellen Bedingungen
arbeiten müssten wie wir im Jazz, dann gäbe es kein Opern-
und Sinfonieorchester mehr in Deutschland. Wenn wir nur die Hälfte
an Unterstützung hätten, welche die haben, dann könnten
wir ein vielfaches an qualitativer Arbeit leisten.
Aber trotz dieser Schwierigkeiten ist es umso mehr zu begrüßen,
dass der Nachwuchs auch hierzulande in alle Stilrichtungen des Jazz drängt.
Vielleicht eröffnet das für die Zukunft doch einige Perspektiven. Das Gespräch führte Stefan Rimek
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