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Kaum eine Sendung in ARD, ZDF und den Dritten Programmen (auch Dritte-Zähne-Programme genannt) dringt noch unter die Rentenaltersgrenze vor. Bei jugendlichen Zahnspangenträgern liegt der Marktanteil bei 1 Prozent, Tendenz fallend; die Zuschauer-Sterberate in der Hauptsendezeit entwickelt sich dazu umgekehrt proportional. Ihr exklusives Musikprogramm ziselieren ARD und ZDF daher exakt auf die reifste Zielgruppe hin: Stimmbandjongleure vom Schlag eines Andy Borg, Bernhard Brink und Wolfgang Petry bilden den verlässlichen Bodenschlamm im öffentlich-rechtlichen Musikcocktail. Auch in meiner Jugend schon kultivierten Senioren zwar einen wild-abwegigen Geschmack, aber Moment mal: Die Alten damals waren älter als der Verbrennungsmotor. Die 60- und 70-Jährigen heute sind Kriegs- und Nachkriegskinder, waren in den Sechzigerjahren jung und in den Siebzigern noch keineswegs alt. Sie waren die aufmüpfigen Teenager des Rock’n’Roll, die bei Elvis unkontrolliert loskreischten und bei Lionel Hampton das Mobiliar zerschlugen, zu den Freejazzern in die Studentenclubs pilgerten, sich die Haare lang wachsen ließen, gegen Springer auf die Straße gingen, LSD und Haschisch und die freie Liebe erforschten und 1980 hemmungslos losweinten, weil mit John Lennons Tod auch ihre Jugend unwiderruflich zu Ende ging. Wie konnten die revolutionären Fans von Mick Jagger, John Coltrane und Che Guevara jemals zum Stammpublikum von Wolfgang Petry, Stefanie Hertel und André Rieu mutieren? Was ist da nur schief gelaufen? Wo kommen all diese Musikantenstadl-Senioren her? Hat man uns eine ganze Generation falscher Rentner untergeschoben? Und dann das: Kürzlich wurde ich an der Kinokasse darauf hingewiesen, dass es auch Seniorenkarten zu kaufen gebe. Der Mann war sicher stark kurzsichtig. Dennoch: Höchste Zeit, dass ich mir die Haare färbe, ein dickes Rohr bastle und Coltranes „Ascension“ reinziehe. Rainer Wein (rainer.wein@gmx.net)
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