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Jazzzeitung
2004/12-2005/01 ::: seite 10
jazz heute
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(E-Mail Nr. 1)
Du bist also fest entschlossen, Jazzkritiker zu werden. Nun fragst du
mich, für welches Medium du dich entscheiden sollst. Angesichts deiner
Probleme, dich schriftlich zu artikulieren, empfehle ich dir natürlich
den Rundfunk. Da musst du von nichts eine Ahnung haben, brauchst nur die
Musiktitel abzulesen, kannst ein bisschen aus dem Pressetext der Plattenfirma
zitieren, und schon rettet dich die nächste Musikeinspielung. Endcool.
Möglichkeit zwei: lokaler Konzertkritiker. Auch in diesem Job brauchst
du der deutschen Sprache nicht allzu mächtig zu sein. Das Blöde
ist nur: Wenn Not am Mann ist und kein großer Jazzabend ansteht,
werden sie dich zu den schrecklichsten Konzerten schicken. Also rechtzeitig
klarstellen, dass du von HipHop grüne Pusteln kriegst und von Techno
mindestens Hämorrhoiden. Ärztliches Attest vorlegen! Unbedingt
abraten muss ich dir dagegen von der Mitarbeit bei einer Jazz-Fachzeitschrift.
Du denkst wahrscheinlich immer noch, freier Journalismus hätte etwas
mit freier Arbeit und freier Zeit zu tun. Ganz falsch. Als freier Journalist
bist du in erster Linie frei von Sicherheiten, verlässlichen Arbeitsverträgen,
sozialen Leistungen, regelmäßigem Einkommen und Angestellten-Rechten.
Nicht frei dagegen bist du von thematischen Vorgaben, bindenden Abgabeterminen,
vorgeschriebenen Textlängen, diskografischen Recherchen und Fotobeschaffungs-Maßnahmen.
Und das ist noch nicht alles. Selbstverständlich dienst du außerdem
als psychologischer Müllschlucker deines Redakteurs und assistierst
ihm (moralisch, daher unentgeltlich) in seinen Konflikten mit dem panischen
Verlagsleiter, dem cholerischen Musikproduzenten und der nervösen
Ehefrau. Der freie sollte daher der angekettete Journalist heißen.
Wenn er nicht spurt, landet er unweigerlich wieder auf dem freien Sklavenmarkt.
Jeder kritische Unterton deines Redakteurs wird dir also schlaflose Nächte
bereiten. Und wenn du beständig darum gebettelt hast, 8.000 Zeichen
über deinen Lieblingsmusiker schreiben zu dürfen, und dir nach
drei Jahren endlich 2.000 Zeichen erlaubt werden, wirst du deinem Massa
dafür die Füße lecken.
Kollegiale Grüße,
Rainer Wein
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