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Wollten wir Kinder der 80er in jungen Jahren mal so richtig lange aufbleiben, war das zumeist nur an Samstagen möglich, vornehmlich an den Samstagen, an denen Thomas Gottschalk die Fernsehnation in sein Reich des blondgelockten Flachhumors, sprich: zu „Wetten, dass...?“ lud. Unglaubliches schienen die Kandidaten hier zu leisten, stopften 500 Menschen in einen Kleinwagen, tranken 500 Flaschen Bier in einer Minute, ohne sich zu übergeben oder erkannten Buntstifte am Geschmack. Eines ums andere Mal saß man nun als mediengeiler Jüngling vorm Fernseher und überlegte, was man denn selbst so gut können mochte, um selbst in den Genuss der Warhole’schen 15 Minuten zu kommen. Eine wahrlich eigensinnige Idee kam mir erst letztens, viel zu spät natürlich, der Wunsch nach einer Bewerbung bei Herrn Gottschalk ist längst nicht mehr aktuell: Städte an der für sie typischen Musik erkennen. Etwa New Orleans (Brass Band), Seattle (Grunge) und – jetzt kommt’s – Weilheim! Was ist dran an Weilheim? Unscheinbares Städtchen in Oberbayern, mit 19.000 Einwohnern nicht gerade groß und aufgrund des dort ansässigen Kreiswehrersatzamtes bei jungen bayerischen Männern nicht gerade beliebt – immerhin wird einem hier mit einem beinahe schon legendenbildenden ärztlichen Griff in die Intimregion im Namen des Vaterlandes ein Lebensjahr genommen. Und doch hat diese Stadt fast in der ganzen Welt einen Ruf als eine die Hauptstadt des... Ja, und an dieser Stelle wird’s schon schwer: Elektronische Musik? Oft! Alternative? Immer! Experimental-Jazz? Manchmal! Weilheim auf einen Stil, ein Soundelement zu beschränken wird schwer, letzten Endes landet man immer an einem Punkt, an dem man sagen möchte, diese Musik klänge einfach „weilheimig“. Betrachtet man die Musiker, die mit der Weilheimer Szene in Verbindung gebracht werden, hat man keine Popstars vor sich, sondern – zumindest auf den ersten Blick – größtenteils ungekämmte Outsider mit einem sehr seltsamen Humor und einem noch viel seltsameren Englisch (man denke nur an den Notwist-Frontmann Markus Acher...). Dennoch zieht es fast alle experimentierfreudigen Musiker hierher, sei es Stamm-Notwistler und Passport-Keyboarder Roberto DiGioia, der hier sein „Marsmobil“ auf den Weg brachte, Saxophonwunder Johannes Enders, der, selbst wohnhaft in WM, seine Platten am liebsten hier auf dem Land produziert oder auch die US-Hip-Hopper „Themselves“, die jüngst im Weilheimer Raum gesichtet wurden und im Herbst bereits in München zusammen mit The Notwist aufgetreten sind. Was ist also „weilheimig“? Ist es einfach nur elektronisch, alternativ und experimentell? Und vor allem: Warum ist das so eigenwillig? Vielleicht liegt die Antwort in der geographischen Lage: Beinahe direkt an den Alpen gelegen sind traditionell-oberbayerische Wurzeln im Grunde nicht zu umgehen, nur knapp südlich des Ammersees gelegen ist aber mit München auch eine der Hochburgen der elektronischen Musik in der Nähe. Streitbare Hochburg, denn das arrogant-oberflächliche Image, das den Münchnern nachgesagt wird (die „Schickeria“) ist genau das, was der schräge Sound von Notwist, Console und Konsorten kontrastiert. Ist also „weilheimische Musikerei“ gar ein soziokulturelles Phänomen, eine lokal auftretende Trotzreaktion auf bestehende kulturelle Strukturen? Nicht ganz, wie ein kleines Gegenbeispiel beweist: Vor kurzem hatte ich Besuch von einem Musikerfreund, im Hintergrund lief die CD einer befreundeten Band, „Los Burritos“, die nach einer ausgedehnten Ska-Phase mittlerweile sehr eingängigen Indie-Pop machen. Die Frage, die ich von meinem Besucher zu hören bekam, irritierte mich leicht und brachte mich gleichzeitig zum Grinsen: „Hey, kommen die aus Weilheim?“. Die Antwort war recht eindeutig, die Musiker kamen aus oberbayerischen Dörfern, aus München und aus Berlin, aber nicht einer kam aus Weilheim. Lediglich der Sound der Band war mit schwebenden Gitarrensounds, sphärischen Synthieklängen und mehrstimmigen Gesängen eben sehr elektronisch, irgendwie alternativ und, wenn man den Ska-Hintergrund der Band betrachtet experimentell, per definitionem quasi „weilheimig“. Ist die Theorie um das Adjektiv „weilheimig“ also wertlos? Wahrscheinlich ist diese Frage erst im Nachhinein zu klären, wenn in zweihundert Jahren Trachtenumzüge statt dem Defiliermarsch „Chemicals“ von den Notwist-Gebrüdern Acher trällern. Eines weiss ich nur leider bestimmt: Die „Los Burritos“ hätten mich die Stadtwette verlieren lassen, ich hätte sie wider besseren Wissens nach Weilheim gesteckt. Zum Glück hab’ ich ja eh keine Lust mehr auf Thomas Gottschalk. Sebastian Klug
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