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Hereinspaziert, Daamen und Herren: Schwebende Bassisten, zersägte Trompeter, dreifache Salti, eine Band der Dreibeinigen, dämonische Zaubertricks, Saxophon spielende Gorillas, gelenklose Menschen, exotische Balztänze – ja, es war einiges geboten beim 35. Deutschen Jazz Festival in Frankfurt, das diesmal unter dem von Henry Threadgill ausgeliehenen Motto „...Very, Very Circus“ stand und entsprechend in einem Zelt abgehalten wurde. In dem fungierte der Posaunist Nils Landgren als Conferencier. In der Manege kündigten sich Attraktionen, Sensationen, Illusionen an.
Und leider auch Konfusionen: auf einer Bühne, die wie ein unaufgeräumtes Kinderzimmer aussah, nervte die in Frankfurt lebende, holländische Posaunistin Annemarie Roelofs mit ihrer Band „Boneless Chicken“ und einem völlig überdrehten Programm, das aus infantilen Witzchen, alberner Kostümierung und einzelnen Musiknummern bestand, die ohne Sinn und Verstand aneinander gereiht wurden. Was soll der Zirkus? Der einzige Gag mit Erinnerungswert: zwei Hühner pickten ihr Futter aus einer Steeldrum. Einige der nach Frankfurt eingeladenen Bands hatten das Zirkus-Motto mehr oder minder in ihr eigenes Programm integriert: das Willem Breuker Kollektief mit dem 84-jährigen Musikclown Toby Rix etwa lieferte den bereits seit Dekaden praktizierten Wahnsinn, der diesmal im Zerlegen des Trompeters Boy Raymakers, in einem Pas de Deux der Posaunisten, Polonaisen mit Publikumsbeteiligung und Martial Arts-Einlagen mit Baguette bestand. Das Thärichens Tentett baute in sein mal melancholisch gefärbtes, mal humorblinkendes Programm zwei Tänzer ein. Die hatte auch die HR-Big Band unter Jörg Achim Keller aufzubieten. Während sich die Augen des Publikums auf ein exotisch kostümiertes Pärchen richteten, wurden die Ohren mit „The Spirit Of Gamelan“ beschäftigt. Gar wundersam war es, wie da Big Band-Sound und balinesische Klangwelten miteinander verschmolzen wurden. Da jubelte sogar der Intendant des Hessischen Rundfunks. Unglaubliche Akrobatik bot sich dem Publikum an drei Festivaltagen: eine im Handstand Bauklötze aufeinander türmende Jacqueline Alvarez, der Bälle jonglierende Cellist Martin Mall, La Spina und Chris Ritter, die in ihren Stoffbahnen kunstvoll schief gewickelt waren, Vanessa Rodriguez, die Teppiche durch die Luft wirbelte oder die drei in alle Richtungen biegsamen Damen des Mongolian Fascination Emsembles. Bevor dem Gitarristen Gary Lucas und seinem Captain Beefheart-Projekt „Fast’n’Bulbous“ die Bühne gehörte, schrammelte er, begleitet vom Saxophonisten Phillip Johnston, stimmungsvoll auf der Amercian Steel Guitar den Background für die unfassbare Barrenakrobatik des russischen Boytsov Ensembles zusammen. Sobald die Artisten verschwunden waren, löste sich auch Lucas’ Charme in Luft auf. Sein Rinderherz schlug laut, derbe und ein wenig eintönig. So bunt wie die Zirkuswelt zeigte sich das gesamte, mit viel Herz ausgestattete Programm des Deutschen Jazz Festivals Frankfurt: der von der Band Yakou Tribe unterstützte Synchronsprecher und Schauspieler Christian Brückner (die deutsche Stimme Robert de Niros) ließ uns mit dem von Henry Miller erdachten, traurigen Clown August leiden (wenn auch etwas zu lang). Schlagzeuger Bobby Previte, der 1991 den Auftrag erhalten hatte, Musik für den Moskauer Staatszirkus zu schreiben, frischte seine Kompositionen von damals für Frankfurt auf und beeindruckte mit skurrilen Miniaturen, monumentalen Klangbildern und gelegentlichem Pathos, der mit bizarren Ideen auch schnell wieder aufgelöst wurde. Niemand vereinte die Welten des Zirkus und des Jazz wohl so eindrucksvoll wie das französische ARFI-Ensemble, das wohl auch den Impuls für die Grundidee des Festivals gab: es verzückte das Publikum mit Magie, die so liebenswert und saukomisch wie diabolisch sein konnte: eine Glitzerkugel verwandelt sich in eine Maske, die sich auf das leere Antlitz des Zaubers legt, der Posaunist tritt gegen sein eigenes Spiegelbild an, ein Saxophonist löst sich in Luft auf, Schatten jagen sich selbst, den Bandmitgliedern wächst ein drittes Bein, und Eier finden den nicht eben direktesten Weg in Wassergläser. Garniert wurde das Ganze mit vitalster Musik, die die Wirkung der Magie noch steigerte. Ssirus W. Pakzad |
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