Wenn die professionelle Berliner Jazzszene bundesweit als spleenig und
diffus gilt, so trifft das uneingeschränkte Gegenteil auf die Berliner
Nachwuchsförderung in Sachen Jazz zu. Unter der langjährigen
Führung von Dr. Martin Burggaller hat sich seit 1995 ein effizientes
System von Schüler-Bigbands entwickelt, deren Mitglieder bereits
von der fünften Klasse an gemeinsam an das Projekt „Jazzkooperative“
herangeführt werden. Weil fünf komplette Schüler-Bigbands
mit unterschiedlich definierten Anforderungsprofilen für die Teilnahme
zur Verfügung stehen, kann jeder Nachwuchsmusiker auf dem richtigen
individuellen Level betreut werden. Den Besten der heranwachsenden Jazzmusikern
steht schlussendlich das Tor zum Berliner Jugend Jazz Orchester des Berliner
Musikrats weit offen und oft schließt sich ein Musikstudium gleich
an. Weil alles so wunderbar klappt, wie die Organisatoren der Jazzkooperative
Berlin, Dr. Martin Burggaller und Christian Fischer, im Interview erzählen,
hat sich sogar eine Elternjazzband gegründet, „eine sehr chaotische
und lustige Truppe“.
Jazzzeitung: Welche Möglichkeiten bieten sich den Schülern
in der Berliner Jazzkooperative?
Burggaller: An der Jazzkooperative sind mehrere Berliner Schulen
beteiligt, die alle nach dem selben Modell in vier Stufen arbeiten. Die
erste Stufe ist die Nachwuchsarbeit und betrifft die 5. bis 7. Klasse.
Die Jugendlichen besuchen die Band- und Bläserschule und lernen in
kleinen Gruppen ihre Instrumente. Die zweite Stufe ist die Junior Jazz
Band oder die Liftband, für die man sich bereits mit dem Vorspiel
von drei Jazzsongs qualifizieren muss. Nach zwei Jahren Teilnahme und
bei guten Arbeitsergebnissen steigt man in die Mittelstufenbands C.O.M.B.O.
oder major7bigband auf. Die Stufe vier ist die United Big Band, die sich
aus den besten aller beteiligten Bands rekrutiert.
Jazzzeitung: Wie garantiert Ihr den Bands so viele ausgeglichene
Besetzungen?
Christian Fischer: In der 5. bis 7. Klasse bieten wir den Schülern
lediglich die Instrumente an, die in den Bands aktuell gebraucht werden.
Für einen Schüler ist es in der Bandpraxis weitaus attraktiver
erster Posaunist zu sein als sechster Pianist.
Jazzzeitung: Ihr arbeitet inzwischen auch an einem systematischen
Schulungswerk.
Burggaller: Im Moment benutzen wir ein Grundgerüst von 16
Kompositionen mit Schwierigkeitsgraden von „superleicht“ bis
„relativ schwer“. Diese Kompositionen werden in einzelnen
Gruppen wie Klavier, E-Gitarre oder Tenorsaxophon geteilt, deren Parts
von den beteiligten Dozenten wie Stefan Büschelberger, Lars Martens
oder Stefan Kapitzke schriftlich ausgearbeitet werden. Die Schüler
benutzen die jeweiligen Instrumentalhefte zur Vorbereitung auf ihre Bandproben.
Das Schulungswerk ist komplett fertiggestellt und soll zukünftig
gemeinsam mit einem Verlag vertrieben werden. Es gibt bisher keine Publikation,
die auf einem derart einfachen Niveau ansetzt.
Fischer: Was hier so super durchdacht klingt, funktioniert sogar!
95 Prozent der Schüler durchlaufen bis zum Schulabgang alle Bandniveaus.
Das Ziel aller Teilnehmer ist die finale United Big Band, die ein beachtliches
Niveau hat und die von den Schülern zweimal im Jahr gehört wird.
Der Aufstieg durch mehrere Bands bietet den Schülern immer neue Themen
und Herausforderungen.
Jazzzeitung: Die Schüler werden nicht alle von Lehrern betreut...
Burggaller: Nein. Ich selbst bin Gymnasiallehrer, aber die meisten
Dozenten sind genau wie Christian Fischer studierte Jazzmusiker, die für
Ihre Arbeit nicht von den Schulen, sondern von der Jazzkooperative oder
von den Eltern bezahlt werden. Einige Dozenten sind ehemalige Absolventen,
die über eine besondere Vorbildfunktion verfügen.
Jazzzeitung: Erklären sie mir bitte die Ursache für
die Weitläufigkeit des Projekts.
Burggaller: Ich habe die erste Big Band 1995 am Goethe Gymnasium
gegründet, es kam die zweite Band hinzu bis ich dann ans Arndt Gymnasium
wechselte. Ich habe für das Goethe Gymnasium Nachfolger gesucht und
so entstand die Struktur der Jazzkooperative. Der Unterricht läuft
im Rahmen von AGs. Während unser Engagement früher nur geduldet
wurde, sind die Schulen heute stolz auf die Bands. Die Bands leihen sich
das Equipment, was enorme Kosten spart. Interessierte Lehrer besuchen
als Vorbereitung Weiterbildungen über den „Arbeitskreis für
Schulmusik“.
Jazzzeitung: Ist es schwierig im Jahr 2004 Schüler für
Jazz zu motivieren?
Burggaller: Überhaupt nicht! Es geht gar nicht so sehr um
Jazz, sondern um die Aktion. Wir können die Anmeldezahlen gar nicht
bewältigen.
Al Weckert
www.goethe-combo.de/
www.musik-am-agd.de/
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