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Sein tonal gebundener, stets ins Freie strebender Jazz wirkte zerbrechlich und barg doch eine enorme Sprengkraft in sich. Jimmy Giuffre war von Ornette Coleman so begeistert, dass er eigene Versionen freier Improvisation entwickelte. Am 26. April feiert dieser Neuerer, von schwerer Krankheit gezeichnet und von der Jazz-Szene fast vergessen, seinen achtzigsten Geburtstag. Zu Giuffres Inspirationsquellen zählen der französische Impressionismus eines Claude Debussy ebenso wie die asketischen Klangforschungen Anton Weberns. Mit jazzuntypischen Rhythmen und atonalen Elementen entfernte sich der Klarinettist von stilistischen Normen der damaligen Zeit. Die wurde von aussterbenden Swing-Kapellen bestimmt und flinkfingrigen, agilen Bebop-Bands. 1947 begann Giuffre in den Orchestern von Boyd Raeburn und Jimmy Dorsey. Im gleichen Jahr erfand er das sagenhafte Arrangement der aus vier Saxophonen bestehenden Four Brothers, die in die Jazzgeschichte eingingen und eine neue Ära für Saxophongruppen einleitete. Ermuntert durch dieses Arrangement, das zum Kennzeichen der Second Herd Woody Hermans wurde, arbeitete Giuffre zunehmend als Arrangeur, Lehrer und als Komponist groß angelegter Suiten. Bis Mitte der 50er-Jahre, in denen er sich zeitweise als Instrumentalist bei Shorty Rodgers verdingte, erwies er sich nach langer Vorherrschaft von Benny Goodman als der erste eigenständige Klarinettist. Mit verhaltenem Hauch und leisem, introvertiertem Raunen wurde Giuffre zum großen Vertreter des Cool Jazz. Mit Jim Hall und Bob Brookmeyer gründete der Klarinettist 1957 das erste seiner legendären Trios, die sich durch einen hohen kammermusikalischen Integrationsgrad auszeichneten. Vier Jahre später präsentierte er auf einer Europa-Tournee mit Paul Bley und Steve Swallow ein weiteres schlagzeugloses Trio, das mit atonalen und polyphonen Bezügen Vorstöße in die kollektive Improvisation wagte. Die bisweilen abstrakten Improvisationen kamen leise, introvertiert daher, ohne stampfenden Rhythmus. Meine Empfindung ist, bekannte Giuffre einmal, dass sanfter Jazz seine Würze behalten kann, die er bei größerer Lautstärke genießt. Vielleicht eröffnen sich da neue Dimensionen des Gefühls, da Lautstärke dies verhüllt und verdunkelt. Giuffres Art der sensiblen kammermusikalischen Interaktion kam um Jahre zu früh und so zog er sich aufgrund bescheidener Resonanz als Musikleherer zurück. Die offene Klangsprache weiterzuentwickeln blieb Partner Bley später vorbehalten. Und: späte Genugtuung erfuhr Giuffre durch das wiederbelebte Trio, das Anfang der 90er-Jahre durch Europa tourte und sich einem begeisterten Publikum präsentierte. Cool Jazz, Neo-Romantik und extremes Understatement auf einen Nenner zu bringen, ist Giuffre stets gelungen. Seine ruhige Art paarte sich mit dem enormen Erfolg, den er hatte. Heute steht seine kammermusikalisch angelegte Fusion von Jazz-E-Musik und Folklore-Elementen nicht für eine unmittelbar stilbildende Schule, doch hat sie neue Wege der Improvisationspraxis aufgezeigt, um den Jazz von den Rändern her aufzufrischen. Reiner Kobe
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