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Wynton Marsalis geht es ums Prinzip. Back To Basics heißt
daher das erste Lied, das er mit dem Lincoln Center Jazz Orchestra in
der Münchner Philharmonie anstimmt, ein programmatischer Titel aus
seinem Pullitzer-Oratorium Blood On The Fields. Zurück
zu den Wurzeln soll es gehen, zu den Ursprüngen afroamerikanischer
Traditionsbildung, aus denen sich eine Kulturidentität schwarzen
Selbstbewusstseins und damit ein künstlerischer Anspruch für
die Gegenwart destillieren lässt. Das ist legitim. Schließlich
spielt man auch immer noch Mozart und freut sich an der längst verblassten
Bedeutung des Abendlandes. Doch es ist langweilig, denn es widerspricht
den Strukturgesetzen der Fantasie. Improvisation braucht Freiheit, Offenheit,
um sich aus der Spontaneität des Augenblicks heraus entwickeln zu
können. Perfektion als neobürgerliches Dogma der Beeindruckung
hingegen engt ein und führt zur Standardisierung des Ausdrucks. Diese
Erkenntnis veranlasste schon die Bilderstürmer des Bebops zum Protest
gegen den Drill des Swings. Marsalis hingegen will sie noch immer nicht
wahrhaben. Den Sophisten an der Trompete interessiert die Legitimation
seiner Musik, nicht die Perspektive. Er ist Lobbyist und als solcher kulturpolitisch
notwendig. Seine kreative Persönlichkeit aber liegt brach. Das ist
schade, denn Marsalis ist hochmusikalisch und spieltechnisch versiert
wie kaum ein anderer. Er hat ein hervorragendes Orchester mit souveränen
Solisten aufgebaut. Doch er lässt die Musiker nicht los, sondern
presst sie in ein Korsett missionarischer Überhöhung der historischen
Wertschätzung, die von Louis Armstrong über Charles Mingus bis
zu eigenen Elaboraten die Klangraumgestaltung lenkt. Das macht das Konzert
brillant virtuos und künstlerisch belanglos.
Ralf Dombrowski
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