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 2001/04

 seite 12
 jazz heute

 

Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 04/2001


Inhalt 2001/04

standards
Editorial
News
Fortbildung
Briefe an die Redaktion
Glossar: Revival

berichte
Marsalis und das Lincoln Center Jazz Orchestra in der Philharmonie
Jazz Masters im Birdland
Conny Bauer mit ungewohnten Klängen beim Jazz-Zirkel in Weiden

jazz heute
Der Marsalis-Faktor
Amerika debattiert über Jazz-Musik
Jazz-Botschafter
Die Marc Secara Group spielte in Teheran
Break (von Joe Viera)

jubilee - portrait
Der Klarinettist Jimmy Giuffre wird achtzig
Bill Ramsey wird siebzig
Festivals
Eine Übersicht: Jazz-Festivals im April
Stadtportrait
Ein Report aus der Donau-Doppelstadt Ulm und Neu-Ulm

play back.
Warner Jazz Classics: Legendäre Alben im Digipack
Werkschau
John Scofield swingt wieder

education
Einstieg ins Leben als Profi
Die private Berufsfachschule music college in Regensburg

dossier
JAZZKLICK
Ausstellung des Jazzfotografen Michael Scheiner in Ulm

medien/service
Listen with your Eyes
Julian Benedikt und der Jazzfilm
Charts
Link-Tipps
Rezensionen 2001/04
Service-Pack 2001/04 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (372 kb))

 

Der Marsalis-Faktor

Amerika debattiert über Jazz-Musik

Die Geschichte des Jazz zu filmen, dieses schier unmöglichen Unterfangens hat sich der Amerikaner Ken Burns angenommen und sorgt damit in den USA für erhebliche Aufregung. Für seine Dokumentation, die unter dem schlichten Titel „Jazz“ derzeit auf dem amerikanischen Sender PBS läuft, hat der Filmer einen enormen Aufwand betrieben: 75 Interviews, 2.500 Fotografien, über 2.000 Filmausschnitte und 500 Musikstücke sind zu siebzehneinhalb Stunden Fernsehen verdichtet worden. Die „Times“ nennt „Jazz“ „great television about great music“ und zieht zum Beweise ein Zitat von Duke Ellington heran: „If it sounds good, it is good.“ Andere hingegen werfen Burns schwere Versäumnisse vor, er habe einen einseitigen Blick und sei in seiner Darstellung nicht frei von Rassismus.

Foto: Ssirus W. Pakzad

Ken Burns ist ein gefeierter Dokumentarfilmer, vor allem wegen seiner zwei Epen über den Bürgerkrieg und den Baseball, in denen er nicht weniger als ein Bild seines Landes entwarf. „Jazz“ soll nun den Abschluss seiner Amerika-Trilogie bilden und stellt daher die gleichen Themen von Identität und Individualität, von Rasse und Demokratie ins Zentrum. Dabei wird Jazz von Burns als eine originär schwarze Musik begriffen, dessen Lichtgestalten vor allem Duke Ellington und Louis Armstrong sind und die mit John Coltrane und Ornette Coleman endet. Die Jahre 1935 bis 1939 nehmen, so das Magazin „Slate“ in seiner Kritik, zweimal soviel Zeit ein, wie die letzten 40 Jahre des 20. Jahrhunderts, die knapp in der letzen der zehn Folgen abgehandelt werden. Der Vorwurf greift aber weiter. Denn der Film beschränke sich absichtlich auf die Zeit bis zu den 60ern, um sein Bild einer rein schwarzen, dabei zugleich zutiefst amerikanischen Musik entwickeln zu können. So lassen sich selbst bei der Auswahl der Musiker rassistische Muster bemerken, alle Nichtschwarzen würden nur eine Rolle am Rande spielen und seien häufig klischeehaft gezeichnet. Das gelte vor allem für die jüdischen Musiker wie Artie Shaw oder Benny Goodman, die der Film als übermäßig ehrgeizig und nachgerade obsessiv materialistisch darstelle.

Der Grund sei, so „Slate“, in einer Person zu suchen: Wynton Marsalis, allseits als neokonservativer Hüter des wahren Jazz bekannt, der die Dokumentation, bei der er als Berater und Kommentator fungierte, für seine Sicht der Geschichte benutze. Marsalis wolle mittels des Jazz als eine singulär amerikanische Hervorbringung Schwarzen eine neue, kraftvolle Identität ermöglichen. „The Atlantic Monthly“ (AM) schwächt den Vorwurf etwas ab. Wynton Marsalis, der im Film als „Televangelist“ auftrete, als Retter der Musik aus den zerstörerischen Händen der Avantgardisten, sei nicht rassistisch, sondern habe vor allem etwas gegen Musiker, die europäische Einflüsse in den Jazz tragen. Die wichtigsten Impulse, die die Musik in den letzten Jahren zu einer Renaissance geführt haben, würden daher völlig ausgeblendet. AM wirft dem Film neben der einseitigen Musikerauswahl aber vor allem inhaltliche und handwerkliche Mängel vor, die zu einer Geschichtsverfälschung führen. So spreche, als ein Beispiel, W. Marsalis über den halbmythischen Kornettisten Buddy Bolden, der das „Persönliche in die Musik gebracht“ habe. Von Bolden existiert keine einzigeTonaufnahmen, zudem ist er 1907 zum letzten Mal aufgetreten, Marsalis könne also nichts über ihn wissen. Dennoch wird im Film die Sequenz mit Musik unterlegt, der Eindruck entstehe, es wäre eine Aufnahme von Bolden, obgleich es Marsalis selbst ist. Zu solchen Schwächen kommen eine Unzahl von belanglosen Privatgeschichten hinzu, denen der Film zuviel Raum gibt.

Doch auch „The Atlantic Monthly“ kommt zum Schluss, daß der Film schönes Fernsehen und für den Jazz nur gut sei, vor allem weil er eine hohe Aufmerksamkeit für die Musik schaffe. Aus europäischer Sicht allerdings ist es mehr als schade, dass der alte Streit, wer nun den echten und wahren Jazz spiele, wieder aufbricht. Denn Jazz ist keine Ideologie, sondern in erster Linie eine Art des Musizierens, die mehr als andere von der Persönlichkeit des Einzelnen geprägt ist.

Gabriel Fehrenbach

info

Ken Burns’ Film wird in den USA auf DVD vertrieben und ließe sich daher auch hier per Import beziehen. Wegen der Länderbeschränkung bei der DVD-Technik lassen sich die DVDs auf hiesigen Geräten allerdings nicht abspielen. Das Gleiche gilt für die VHS-Version. Allerdings gibt es eine Reihe von CDs zur Serie, die auch hier erhältlich sind.

 

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