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Das Landesjugendjazzorchester Bayern (LJJB) wurde 1987 in Regensburg
gegründet. Träger ist der Verband Bayerischer Sing-und Musikschulen
e.V, finanziert wird es aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums
für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Seit 1997 ist es an der Bayerischen
Musikakademie in Marktoberdorf zu Hause, organisatorischer Betreuer ist
in der Nachfolge von Gründervater Richard Wiedamann seit 1998 Willi
Staud. Richard Wiedamann ist weiterhin fachlicher Betreuer. Im Orchester
spielen insgesamt zirka 150 junge Jazzmusikerinnen und -musiker aus ganz
Bayern mit, Höchstalter für die Zulassung ist 25 Jahre. In unterschiedlicher
Zusammensetzung treffen sich Musiker und Dozenten zu vier bis fünf
Arbeitsphasen im Jahr. Die musikalische Leitung des Orchesters hat Harald
Rüschenbaum inne, weitere feste Dozenten sind Stephan Zimmermann
(Trompete), Johannes Herrlich (Posaune), Karsten Gorzel (Saxophon, Arrangements)
und Walter Lang (Rhythmusgruppe). Auftritte gab es dieses Jahr beim Bayerischen
Musikschultag am Tegernsee, beim Fest der Bayern in Regensburg und bei
den Bayerisch-Rumänischen Kulturtagen in Sibiu/Hermannstadt.
Eine Stimme, die den Raum aufheizt.
Und die Sängerin Shirin al Mousa zum Leuchten bringt.
Leicht gerötet mit glühenden Augen lässt sie den Song
Madalena im Gesangsduo mit Stefan Noelle an der Gitarre ausklingen.
Der Sailerkeller in Marktoberdorf hat sich in Schwabens heissesten
Jazzclub verwandelt. Seit fast 4 Stunden lässt eine Formation nach
der anderen farbige Perlen, satte Klangtropfen und mitreissende Ströme
feinster Jazzmusik in das Publikum fliessen. Christina Brodersen setzt
mit ihrer Sessionband gerade zum Intro auf dem Altsax an, die Unterhaltungen
im Wirthaus versiegen. Auf der in der Ecke des Saales improvisierten Bühne
pulsiert und lebt der Jazz. Und die Zuschauer toben nach Christinas Solo.
Am vorletzten Abend der 3. Arbeitsphase in diesem Jahr heisst es Freispiel.
Da legen sich die Musikerinnen und Musiker des Landesjugendjazzorchesters
Bayern ins Zeug, da wird frisch gelerntes mit Witz und lustvoller Energie
in den Raum gejammt. Da scheinen sich die Anstrengungen der bereits viertägigen
Probenarbeit wie die Rauchschwaden über den Gästen des Wirtshauses
in Luft aufzulösen. Die Augenringe der Musikerinnen und Musiker erzählen
nur noch von den Erfahrungen der letzten Tage. Diesmal stand die Arbeitsphase
unter dem Motto: Die Musik von Duke Ellington.
Jazzzeitung: Wie entstehen solche Themen?
Willi Staud: Wir setzen uns bei jeder Arbeitsphase Schwerpunkte.
Diesmal war es ein kochender, swingender Big-Band-Sound. Es entstand im
Team die Idee, mit einem Duke-Ellington-Programm am Sound und der Stilistik
der Band zu arbeiten.
JZ: Wie setzt ihr so ein Thema um?
Staud: Wir entwickelten den Wunsch, unseren Musikerinnen und Musikern
den Stil und den Typ Duke Ellington näher zu bringen. Dazu feilten
wir an den Arrangements, die von Karsten Gorzel zum Teil gezielt umgeschrieben
wurden, um für unsere Leute auf den Punkt zu kommen. Dazu gehörte
auch den, Drive der Duke Ellington Big Band anhand von Videos zu vermitteln.
JZ: Eine Frage zum Team. Mein Eindruck ist, dass mit Harald Rüschenbaum,
Karsten Gorzel, Walter Lang, Johannes Herrlich und Stefan Zimmermann hier
sehr unterschiedliche Charaktere und Temperamente zusammenfanden. Wie
kam das?
Staud: Das ist eindeutig Richard Wiedamanns Verdienst. Er hat hier
Menschen und Musiker zusammengeführt, die sich ganz hervorragend
ergänzen und die das ganz breite Spektrum des Jazzspielens weitergeben
können. Harald war bereits unter Dusko Goykovich Dozent und hat einfach
das Zeug zum Leader. Der Kreis an Dozenten hat sich dann zusammengefunden
und ein Konzept geschmiedet, dass sich sehr von anderen Orchestern unterscheidet,
die ja in erster Linie auf Konzertprogramme hinarbeiten.
JZ: Welchen Arbeitsstil habt ihr dann?
Staud: Im Vergleich zur üblichen Big-Band Arbeit gibt es bei
uns einfach Freiräume zum Ausprobieren. Daraus entstehen dann solche
Dinge, dass die ganze Band anhand von Karsten Gorzels Methoden auf einmal
ganze Stücke frei improvisiert.
JZ: Wie sieht das aus?
Staud: Karsten ist zum einen schon ein untypischer Lehrer. Er arbeitet
sehr viel mit Rhythmik und Sprache. Es geht bei ihm immer um Energie,
die er in der Musik bündelt. Er weigert sich, den Musikern etwas
vorzuspielen, das wäre zu einfach. Die Leute müssen die Musik
für sich selber entdecken, dann können sie ihren Inhalt erst
richtig wiedergeben.
JZ: Wie nehmen die Musiker diese Arbeitsmethoden auf?
Staud: Unterschiedlich. Ich hab die Erfahrung, dass die Teilnehmer,
die das erste Mal da sind, erstmal sehr verwundert sind. Die meisten ziehen
dann aber mit, denn das Arbeitskonzept ist immer offen. Sie kommen immer
irgendwie rein, egal auf welchem Stand sie sind. Manche kommen mit der
Vorstellung, da zeigt mir einer diesen Stil oder die Improvisation und
dann bin ich gut. Aber so zu arbeiten, ist nicht unser Ziel. Die Orchester-und
Satzarbeit findet in zwei Besetzungen und einer dritten Rhythmusgruppe
gleichzeitig statt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch unseren
festen Dozentenstamm und immer wiederkehrender und aufbauender Arbeit
an immer neuen Aufgaben beim ganzen Orchester eine unglaubliche Frische
entsteht. Man glaubt dann einfach, dass die Musiker ihre Gefühle
spielen können.
JZ: Bei der Probenarbeit hatte ich immer wieder den Eindruck,
dass Spass und Humor in Eurer Arbeit sehr wichtig sind, gerade bei Harald.
Staud: Mit diesem Humor holt sich Harald auch die ständige
Präsenz. Es gibt keinen, der etwas auslässt, weil die Probenarbeit
einfach Spass macht. Er ist da einer der wenigen, der das kann.
JZ: Aber trotz allem spontanen Witz hatte ich das Gefühl,
er gibt klar die Richtung vor.
Staud: Er will es wissen, und das spüren alle und sind voll
mit dabei. Selbstverständlich sind das dann auch Stücke, die
die Teilnehmer spielen wollen. Und dann groovt das ganze auch.
JZ: Wie seht ihr Eure Rolle als eine Art Ausbildungsorchester
im Vergleich zu anderen Big Bands, wie etwa dem BuJazzO?
Staud: Wir wollen und können gar keine Konzert-Big Band sein.
Wir sind ein pädagogisches Unternehmen mit einem völlig anderen
Konzept. Die Konzerte finden meistens als Abschluss der Arbeitsphasen
statt. Wir wollen auch keine Konkurrenz zu den bestehenden Big Bands.
Im Gegenteil. Das heutige Summit Jazz Orchester ging aus dem Landesjugendjazzorchester
hervor, das 1997 auf USA-Tournee war. Baritone and Friends aus Augsburg
oder auch das Sunday Night Orchestra , da gibt es überall Leute,
die vom Landesjugendjazzorchester kommen.
JZ: Wie sehen das Euere Musiker? Gibt es da nicht auch den Wunsch
mit dem Landesjugendjazzorchester den Sprung ins Leben als Berufsmusiker
zu schaffen?
Staud: Da tut sich natürlich das Loch auf, in das jeder erst
mal fällt, wenn er 25 wird. Er ist bei uns bis dahin mit dabei, wir
wollen, dass er eine Spitzenausbildung bekommt, und danach wird es natürlich
erst mal schwierig, in der Qualität und auf diesem Standard wieder
etwas zu finden. Selbstverständlich helfen wir ihm dabei.
JZ: Wie wichtig ist es denn Eueren Musikern und Musikerinnen
Konzerte zu machen?
Staud: Meine Erfahrung ist, dass dieses mit dem Orchester
Konzerte spielen für unsere Leute nicht das Wesentliche ist.
Den Leuten gehts viel mehr ums Handwerkliche, weil sie einfach mit
Dozenten zusammenarbeiten, die Ihnen was vermitteln können. Wir haben
immer wieder Gastdozenten wie jetzt Don Menza oder letztes Jahr Bobby
Shew. Die können dann aus langjähriger Profi-Sicht sehr viel
erzählen, und diese Geschichten fressen unsere Leute auf. Und dann
noch mit denen zu arbeiten, ohne den Druck eines Konzerts im Rücken,
das macht ihnen dann Spass.
JZ: Wie geht es weiter mit dem Landesjugendjazzorchester?
Staud: Nächstes Jahr würden wir gern mit Stücken
aus unseren eigenen Reihen arbeiten und wenn es klappt, die auch aufnehmen.
Im Umfeld des Orchesters würde ich gerne mehr Workshops für
Lehrer in Zusammenarbeit mit unserem Träger, dem Verband der Bayerischen
Musikschulen und der Musikakademie, machen. Denn da finde ich es ganz
wichtig mit Jazz anzusetzen, um Berührungsängste abzubauen.
Das sind natürlich alles Dinge, die auch Zeit und vor allem Geld
kosten. Auch der Ausbau unserer Öffentlichkeitsarbeit wäre einfach
wichtig. Aber eines ist klar: Im bundesweiten Vergleich mit anderen Landesjugendjazzorchestern
stehen wir recht gut da. Wir können froh sein, daß wir mit
der Unterstützung des Kultusministeriums und des Verbands schon soweit
gekommen sind.
Freitag nachmittag. Abschlusskonzert der Arbeitswoche. Vor der Stadthalle
schüttet es aus Eimern. Das Open Air Konzert für den Nachmittag
auf der Terrasse des König-Ludwig-Musical Theaters im
benachbarten Füssen muß ausfallen. Die Musikerinnen und Musiker
scheint das ziemlich unberührt zu lassen. Während die B-Formation
die Instrumente stimmt, füllt sich der Saal der Stadthalle mit den
Teilnehmern des Volksmusik-Seminars aus der benachbarten Musikakademie.
Eine herzliche Begrüßung von Harald, ein spontanes Dankeschön
für das Interesse am Jazz. Dann eine kurze Drehung zu seiner Band.
Die Hände wirbeln in der Luft, A one, two, three, und der A-Train
des Landesjugendjazzorchesters Bayern zieht mit Volldampf ins Publikum.
Am nächsten Morgen im Frühstücksraum. Zwischen Wurstplatte
und Marmeladensemmel wird am Tisch nochmal der vorherige Abend kurz abgehakt.
Der Max hats wieder mal ganz schön krachen lassen...
Das Hin und Her erinnert an Fußballertrainingslager, aber nicht
die Viererkette steht im Mittelpunkt der Gespräche, denn schon nach
dem Köpfen des Frühstückseis liegt Duke Ellington in der
Luft. Wir müssen zur Tutti-Probe, meint Benedikt. Walter
Lang, der Rhythmusdozent, lächelt vom Tischende her und nimmt sich
noch einen Kaffee.
Taaak, taa, tak-tak,taak, die A-Formation intoniert mit der Stimme den
Rhythmusablauf. Taaaak- taaa, tak-tak, taak... Harald Rüschenbaum
legt das Tempo vor und zerschneidet mit den Händen kräftig die
Luft. Die Bandmitglieder wiederholen die Sprechfetzen, greifen langsam
zu den Instrumenten und die Stimmen gehen über in Klang. Der Motor
der Band beginnt zu laufen, unsichtbarer Treibstoff vibriert zwischen
den Musikern. Harald wirft ein kurzes Umarmen in die Luft. Die Band reagiert
mit einem musikalischen Schmunzeln, ausgedrückt in einer kurzen Steigerung
der Lautstärke.
Spielwitz, Humor und das Tun im Augenblick, eben Jazz. Harald und das
Team der Dozenten arbeiten wie Maler, die mit den Bandmitgliedern eine
Entdeckungsreise auf der Leinwand unternehmen. Sie versuchen, jedem seine
Farbe finden zu lassen, und dann wird gemeinsam ein Bild geschaffen. Klar,
schillernd und kräftig. Caravan zieht dann los wie eine
Lokomotive, exaktes Timing, das Einsetzen des Solos, kräftiger Beat.
Eine Big-Band, die an sich selber wächst, die den puren Spass am
miteinanderspielen in hellen Farben auf den Zuhörer aufträgt.
Caravan wird dann zum Erlebnis.
Text und Interview: Günter Bonack, Geschäftsführer des
Bayerischen Jazzinstitutes.
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