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Nie zuvor in seiner Geschichte war der Jazz, der Jazz sein wollte, so langweilig wie heute. Produktive Stagnation vielerorts. Die Retrospektion lähmt ihr Kinder, aus Young Lions sind in rasantem Tempo Old Cats geworden. Ein paar Beispiele: Roy Hargroves Earfood soll nach erklärtem Willen des Künstlers vor allem das iPod-Ohr umschmeicheln. Nicholas Payton entdeckt mit Into The Blue die Coolness der Fünfziger und Funkyness der Sechziger. James Carter versucht mit Presenttense Horace Silver neu zu erfinden und Cassandra Wilson singt Loverly Standards. Wynton Marsalis (Titelbild links) wiederum macht mit Willie Nelson, ein Wall-Street-Jazzer und das Gruftgesicht der Country-Music auf der Suche nach Inspiration, in wohlfeilem Schulterschluss. Und Herbie Hancock bekommt den Grammy für das angepassteste Album seiner Karriere.
Das alles ist nicht neu. Der Jazz kämpft seit den Neunzigern mit der eigenen Historizität und ist als Paradigma des künstlerischen Fortschritts in etwa so aktuell wie Wolfgang Amadeus Mozart. Er leidet am gefallenen Dogma der afroamerikanischen Unversehrtheit, das durch gesellschaftliche und politische Ereignisse von Nine-Eleven bis Kathrina unterhöhlt wurde, strauchelt im scheindemokratischen Wind des YouTube-Globalismus, der alles und jeden überall verfügbar macht. Er produziert arbeitslose Massen von motorisch hochversierten, blendend ausgebildeten Akademikern, die ihren Coltrane, Metheny, Mehldau rauf und runter spielen. Genau genommen ist Jazz in den späten Dreißigern angekommen, bei qualitativ exzellenter Unterhaltungskunst im autoreferentiellen System gepflegten Entertainments. Fehlt bloß noch, dass Duke Ellington wieder tourt. Warum das Lamento, fragt der Kulturoptimist. Es gibt doch wahrlich Schlimmeres als gut gespielte, in Maßen anspruchsvolle Musik. Richtig. Außerdem haben wir noch die Europäer, deren Bedürfnis nach improvisierender Selbstfindung so schöne Eigenheiten hat heranwachsen lassen. Nur bedingt richtig. Denn auch in Good Old Europe kämpfen die Musiker mit dem Strukturproblem, zur Blaupause ihrer selbst zu werden. Aber das Publikum, so scheint‘s, das rennt wieder zu Konzerten, den Ticketpreisen nach willens, so viel Erspartes wie selten zuvor für das Live-Erlebnis auszugeben. Auch hier: ein entschiedenes Jein. Kein Star füllt mehr einen Saal nur mit seiner Kunst. Die Ära der Miles Davisse ist vorbei, die Hargroves und Marsalisse kann man nach Publikumsaufkommen gemessen eigentlich wieder in den Club buchen (so es diesen denn noch gibt). Und die zwei, drei Diven des Geschäfts, bei denen das Namedropping weiterhin funktioniert, unterlassen tunlichst Veränderungen, um die Gemeinde nicht zu verschrecken. Das ist bemerkenswert. Das Live-Geschäft funktioniert inzwischen offenbar unabhängig von den künstlerischen Inhalten. Was zählt, ist das Branding, der als Erlebniswert im Vergnügungsbewusstsein eingebrannte Markenname, nicht mehr das Risiko der Entdeckung. Das Prinzip Neugier tritt hinter die Einlösung der Hörgewohnheit zurück, als Folge phantasievoller Eintrittspreise, irritierender Stilvielfalt und nostalgischer Selbstvergewisserung. Insofern unterscheidet sich der Jazzfan dem Muster nach kaum noch vom Heavy-Metal-Bären in der Lederjacke oder dem Schlagerfreund am Jodlerbalkon. Beklatscht wird, was man kennt. Bekannt wird, was die Anzeigenabteilungen zulassen. Kritischer Journalismus ist Glücksache, weil dem gleichen werterhaltenden Kreislauf verpflichtet – ein geschlossenes System, bei dem Künstler, Veranstalter und Multiplikatoren in festgelegten Bahnen um den Fixstern Kunden kreisen. Grusel, und doch wieder nicht. Denn der Pfiffikus macht diese Erkenntnisse des Eventmanagements für sich nutzbar. Postulat: Der Mensch will was erleben. Er ist bereit, dafür zu zahlen, die Chipstüte am Couchtisch zugunsten des Plastikbiers am Festivaltresen zu vergessen, so ihn denn ein signifikanter Mehrwert erwartet. Der kann in vielerlei bestehen: in einem reizvollen Ambiente (Burgen, Schlösser, Bauernhöfe, Schiffe, verbotene, umfunktionalisierte Orte), in sozialem Miteinander und gemeinsamem Erleben (Stadtfeste, Musik & Wein, Essen, lokale Identifikationen, heimatstolzes Programm), aber auch in überraschenden Inhalten und Verknüpfungen, also im unverwechselbaren und vermittelbaren Profil der Künstler. Die größten Gegner des Festivalplaners sind neben Fußball Trägheit, Gleichmut und Fatalismus des Publikums auf der einen, Uniformität und Verwechselbarkeit der Konzerte auf der anderen Seite. Seine besten Argumente sind der Standortvorteil, der Tourismus, die Identifikation von Ort, Zeit und Musik, die Originalität der Darbietung. Wer bitte schön würde Moers, Saalfelden, Salzau oder Montreux kennen, gäbe es dort kein Festival? Natürlich kann man auch Tanztheater oder Literaturtage machen, soll man sogar, womöglich gattungsübergreifend. Natürlich ist es sinnvoll, Erlebniswelten zu mischen, Jazz und Punk, Rock und Kammermusik, Remix und Avantgarde, solange es einen dramaturgisch sinnvollen Aufbau ergibt, der sich am jeweiligen Ort dem jeweiligen Publikum erschließen kann. Womöglich ist das auch der Grund, weshalb die Programme vieler Festivals sich deutlich verändert haben. Lenny Kravitz passt inzwischen zu Till Brönner (Stuttgart), John Zorn zu Pee Wee Ellis (Moers), Klaus Doldinger zu Fanta 4 (Düsseldorf). Die Baltisch-Salzauer Konzertscheune kann (dem günstigen Dollarkurs sei Dank) zum nordamerikanischen Traditionstreffpunkt werden und am Genfer See war eh schon immer alles bunt durchmischt. De facto präsentieren sich die Programme dieses jazzigen Festivalsommers daher vielfarbiger denn je. Die Profilsuche im Gemenge der Identitäten ist in vollem Gange und die Fans sind sogar bereit, nach Kristiansand, Geilo oder Barcelona zu reisen, wenn sich dort denn etwas Einmaliges, Außergewöhnliches, Authentisches erleben lässt. Das ist der Anspruch an Veranstaltungen wie an die Musiker. Und eigentlich hat der Jazz, der nicht der alte Jazz sein will, gute Voraussetzungen, sich kulturell unentbehrlich zu machen. Mit Offenheit, Lust und etwas Glück. Ralf Dombrowski |
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