Drahtiges Wuschelhaar, Holzfällerhemd, abgetragene Jeans und Füße,
die barfuß in Turnschuhen stecken – der erfolgreichste und
vielseitigste Gitarrist des Jazz sieht mit 53 Jahren noch so aus, als
wäre er eben erst dem klapprigen Bandbus entstiegen, mit dem er
in den 70er-Jahren durch Amerika tingelte.
jazzzeitung: Es ist 30 Jahre her, Mr. Metheny, dass Sie ein ganzes Jahr
lang mit einem Bandbus durch die USA tingelten. Welchen Anteil hatten
solche Tourneen an ihrem Erfolg?
Pat Metheny: Der Erfolg der Pat Metheny Group und meiner anderen Projekte
beruht zu 97 Prozent auf solchen Tourneen. So haben wir uns über
Jahrzehnte ein großes Publikum erspielt. Ich toure noch heute sehr
viel. Nicht mehr so intensiv wie 1978, weil ich mittlerweile eine Familie
habe. Aber immer noch sehr, sehr viel. Ganz ehrlich: Ich glaube, dass
kein anderer jemals so viel und so lange auf Tour war wie wir in den
70er- und 80er-Jahren.
jazzzeitung: Bob Dylan vielleicht?
Metheny: Nicht mal der. Jedenfalls nicht über einen so langen Zeitraum
wie wir. In unserem Band-Bus haben wir 1978 in den USA 165.000 Meilen
zurückgelegt. Und beinahe jeden Tag ein Konzert gespielt! Natürlich
wussten wir damals nicht, dass wir damit die Grundlage für unseren
heutigen Erfolg legten. Wir wollten einfach nur spielen – und zwar
so viel wie möglich.
jazzzeitung: Das aktuelle Album „Day Trip“ ist Ihr sechstes
Album in Trio-Besetzung. Was reizt Sie an diesem Format?
Metheny: Ich glaube für jeden improvisierenden Musiker hat diese
Besetzung etwas grenzenlos Anziehendes. Im Trio zu spielen - das ist
jedes Mal von Neuem ein riesiges weißes Blatt Papier, das es zu
füllen gilt.
jazzzeitung: Als Sie 1976 „Bright Size Life“ – ihr
erstes Album – herausbrachten, konnte man die wichtigen Trioeinspielungen
von Gitarristen noch an der Hand abzählen. War das ein zusätzlicher
Ansporn?
Metheny: Auf jeden Fall. Weil das Trio für die Gitarre damals so
etwas wie ein neu zu entdeckendes Territorium war. Für Gitarristen
gab es einfach nicht die-se definitiven, Ehrfurcht gebietenden Trio-Aufnahmen,
mit denen sich jeder junge Pianist bis heute auseinandersetzen muss.
Hinzu kommt, dass ein Gitarren-Trio so unterschiedlich klingen kann.
Es ist vielseitig wie ein Chamäleon: Mal funktioniert es wie ein
Klavier-Trio, dann wieder wie ein Saxophonist mit Rhythmusgruppe. Und
manchmal wie eine Rock‘n’Roll-Band. jazzzeitung: Sie haben einmal gesagt, jede gute Band
habe eine musikalisch-rhythmische DNA. Wie würden Sie die im Fall Ihres aktuellen Trios mit Christian
McBride und Antonio Sanchez beschreiben?
Metheny: Das Unverwechselbare an unserem Zusammenspiel
sind die aggressiven, sehr schnellen Grooves mit einem abstrahierten
Latin-Feeling im Hintergrund.
Außerdem kann diese Band fast unmerklich zwischen Jazz- und rockigeren
Rhythmen hin- und herwechseln. Ich glaube, dass ich noch nie mit so unglaublich
talentierten Musikern gespielt habe. Das sind zwei Virtuosen wie es sie
auch im Jazz nur ganz, ganz selten gibt. Wenn Christian McBride einmal
ausfallen sollte, müssten wir das Konzert absagen. Weil er auf dem
Kontrabass Sachen spielt, die kein anderer drauf hat. Für ihn gibt
es keinen Ersatzmann.
jazzzeitung: Und Antonio Sanchez?
Metheny: Mit ihm arbeite ich seit sieben Jahren zusammen.
In dieser Zeit haben wir rund 1.000 Konzerte gespielt. Und ich warte
immer noch auf
den Tag, an dem er mal Mist baut. Dabei spielt Antonio Sanchez die schwierigsten
und anspruchvollsten Sachen, die ich je von einem Schlagzeuger gehört
habe.
jazzzeitung: Ob Sie in Top-Form sind oder nicht,
hänge letztlich
immer vom Schlagzeuger ab, haben Sie einmal gesagt. Diesmal kam es also
auf Antonio Sanchez an?
Metheny: Aus Rücksicht auf Christian McBride würde ich gerne
sagen: Nein. Aber es geht tatsächlich immer nur um den Drummer.
Besonders im Trio. Einfach deshalb, weil der Schlagzeuger in jeder Besetzung
den größten Lärm macht. Vom Schlagzeug geht die Dynamik
einer Band aus. Es definiert, was in einer bestimmten musikalischen Konstellation
leise oder laut ist. Ganz sicher würde mir da Christian McBride
zustimmen. Er würde sagen, dass es auch für ihn und sein Bass-Spiel
in erster Linie auf den Schlagzeuger ankommt – und nicht etwa auf
den Gitarristen. Letztlich geht es in jeder Band immer nur ums Schlagzeug.
Wenn der Schlagzeuger gut klingt, klingen alle gut. Und wenn er einen
schlechten Tag erwischt, hilft leider alles nichts. Dann schleppt sich
ein Konzert einfach nur elend hin. Aber mit Antonio Sanchez passiert
einem so was ja nicht.
jazzzeitung: Halten Sie immer Ausschau nach dem neuesten
Schlagzeuger?
Metheny: In der Tat. Ich möchte immer wissen, wer die jungen, aufregenden
Schlagzeuger sind. Weil ich fest davon überzeugt bin – und
da bin ich nicht der einzige –, dass die Musik unserer Zeit durch
Drummer definiert sein wird. Vor allem der Jazz.
Wenn ein neuer, großartiger Schlagzeuger auftaucht, dann ist das
jedes Mal die Geburt einer neuen, großartigen Band. Manchmal dauert
das nur ein bisschen, weil solche Schlagzeuger ihrer Zeit voraus sind.
Nehmen wir zum Beispiel Billy Kilson. Ein unglaublicher Schlagzeuger.
Nur wusste zunächst niemand, was man mit ihm anfangen sollte. Bis
Dave Holland ihn entdeckte und eine Band um ihn herum baute.
jazzzeitung: Ist es dennoch so, dass für Pat Metheny jede noch so
gute Besetzung eines Tages ihren Reiz verliert?
Metheny: Manchmal gibt es Musiker, mit denen man länger zusammen
spielt. Und eines Tages stellt man fest, dass es sich irgendwie erschöpft
hat. Das kann sechs Monate dauern oder 15 Jahre. Und dann gibt es eben
Musiker, mit denen man nie an diesen Punkt gelangt. Der Vibraphonist
Gary Burton zum Beispiel. Mit ihm zu spielen, ist für mich heute
noch so aufregend wie in den 70-er Jahren.
jazzzeitung: Gehört Antonio Sanchez in diese Kategorie?
Metheny: Das ist schwer vorherzusagen. Schon deshalb,
weil so etwas ja auf Gegenseitigkeit beruht. Es könnte ja sein, dass zwar ich Lust
auf Antonio Sanchez habe, aber er irgendwann nicht mehr auf Pat Metheny.
Antonio ist schließlich noch ein ganz junger Typ.
jazzzeitung: Wie haben Sie das aktuelle Album eingespielt?
Metheny: Wenn man ein Album wie „Day Trip“ aufnimmt, möchte
man dem Hörer die großartigsten Interpretationen präsentieren,
bei denen einfach alles stimmt. Oft klappt das live. Man nimmt drei oder
vier Versionen auf und stellt beglückt fest, dass beim zweiten Take
alles wie am Schnürchen gelaufen ist. Sehr viel öfter passiert
es jedoch, dass bei der einen Version die Melodie und bei der anderen
die Soli am Schönsten klingen. Da wäre man schön blöd,
wenn man diesen beiden Takes nicht zu einer nahezu perfekten Version
zusammenschneiden würde.
jazzzeitung: Was sagen Sie jemandem, der solche
Edits ablehnt?
Metheny: Die gibt es im Jazz schon sehr viel länger als die Puristen
meinen. Das gehört einfach zur großen Kunst des Jazz-albums
dazu und wurde schon in den 40er- und 50er-Jahren so gemacht. Die einzigen,
die sich daran stören, sind nach meiner Erfahrung neokonservative
Jung-Jazzer, die naiverweise glauben, dass die von ihnen verehrten Aufnahmen
von 1951 ohne Edits entstanden sind. Aber das ist ein Irrtum.
CD-Tipp
Pat Metheny with Christian McBride & Antonio Sanchez: Day Trip
Warner/Nonesuch
Tour-Termin
1. Juli 2008, 20.00 Uhr: Oper Halle
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