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Die „Battles“, die jene gleichnamige US-Band auf dem Moers-Festival anzettelt, treiben voran, überwältigen bis zur Besinnungslosigkeit. Allein die Bassdrum pumpt mächtige Druckwellen in die ersten Zuschauerreihen hinein, in seiner mechanischen Unerbittlichkeit deutet es fast auf die legendäre Gruppe Can hin. Wieso tanzt eigentlich nur eine Minderheit zu diesem Höllengroove? Weil das hier ein „Jazz“-Festival ist? Kommt angesichts der tosenden Urgewalt irgendwann wieder ein Restbestand an analytischem Geist zu sich, kommen weitere Assoziationen auf – natürlich auf die Post-Rock-Ära der 90er und auch von amerikanischem Nu Metal liegt etwas in der Luft.
Klar – Drummer John Stanier spielte ja auch in der Band „Helmet“ – und es ist Tyondai Braxton, der hier mit so gespenstischen Gitarrensounds, eiskalten Keyboard-Flächen und grotesken Vocoder-Vocals um sich schleudert. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – Braxton senior machte letztes Jahr auf der Moerser Bühne wohlverwandtes – nämlich in radikaler Konzeption das Gegensätzliche, Unerhörte im Hier und Jetzt miteinander reagieren zu lassen. Die temporäre „Jazzhauptstadt“ am Niederrhein generierte zu Pfingsten einmal mehr eine dynamische Welt von Gegensätzen und Brüchen, von Diskurs, Begegnung und Party. Während letzte Räusche ausgeschlafen wurden und viele angereiste Künstler schon wieder in Vormittagsprojekten improvisierten, diskutierten Medienvertreter über die gesellschaftliche Relevanz des Jazz. Wie kann sich der Jazz als weitgefasster Kulturbegriff stärker öffentlich positionieren? Macht dies überhaupt Sinn, wo sich die Kreativität doch gerade in den Nischen zu potenzieren scheint? Ideen liefert Moers genug. Saxophonistin und Komponistin Angelica Niescier bereichert gleich für ein ganzes Jahr das Moerser Kulturleben – auf der Bühne im Moerser Festzelt jonglierte ihr Ensemble trickreich und verblüffend eingängig mit kunstvoller Vokalpolyphonie und großbesetztem funkigem Jazz – mit Fragmenten aus Hanns Dieter Hüschs frühen Texten als raffiniert platzierte Bezugspunkte. „ Jazz findet statt, wenn Menschen spontan zusammen Musik machen“, reduzierte ein Festivalbesucher die Thesen der Expertenrunde aufs Eingemachte. Auf den Gipfel trieb John Zorn diese Spontaneität. So gut gefiel dem New Yorker Saxophonisten der vorausgehende Act des Duos „Ttukunak“, dass er die baskischen Schwestern Sara und Maika Gómez mit ihrer traditionsgenährten Rhythmus-Kunst kurzerhand in seine Show integrierte. Unvergesslich, diese charmante Konfrontation! Da waren diese meditativ-geschmeidigen Rhythmen auf archaischen Holz- und Metallelementen, wie sie noch heute auf Hochzeiten im Baskenland zu erleben sind – jetzt angestachelt von der Aura des atemlosen New Yorks in einem rasant geschnittenen Hörfilm – so wirkt John Zorns solistisches Spiel mit seinen aberwitzigen Flageoletts, Motivpartikeln und parodistischen Anspielungen in jedem Moment. Spontan auch die Rahmenbedingung für das Duo, das in Moers zu den großen Publikumslieblingen avancierte. So hatten sie kurzfristig ihr ganzes Instrumentarium neu erwerben und zusammenbauen müssen, da ihre eigenen Holzobjekte und Klangstäbe auf der Flugreise abhanden gekommen waren – also konnten die jungen Baskinnen auch noch die ur-deutsche Institution eines Baumarktes kennenlernen. Wer in die Zukunft blickt, darf vor Legenden nicht die Augen verschließen: Cecil Taylor, 78 Jahre alt, verschmolz mit dem Schlagzeuger Tony Oxley zur intuitiven Einheit. Taylors Hände tanzten regelrecht auf den schwarzen und weißen Tasten, wenn es riesige Intervalle zu durchmessen galt, oft aber auch in graziler Feinheit. Wir wissen, dass Taylor sich sehr stark vom Tanz inspirieren ließ. Hier ließ er in einem Kaleidoskop aus Mikrophrasen und Zitatsplittern die Klangfarben leuchten, drang in lyrische Tiefen ein. Allen Freejazz-Ignoranten sei dies zur Läuterung ausdrücklich verordnet! Jazz heißt ja auch, dass sich unterschiedliche Generationen von Stilen und Musikern begegnen, beeinflussen. In Sachen progressivem Elektronik-Jazzrock führte mal wieder kein Weg an der norwegischen Band „Supersilence“ vorbei. In ihrer Mitte weilte beim Abschlusskonzert Terje Rypdal – da nahm das futuristische Klanguniversum des jungen Quartetts die akustischen Impressionen des nordischen Gitarren-Visionärs dankbar in sich auf. Geradezu zärtlich diese Passagen, wo sich Arve Henriksens Trompetenphrasen mit Rypdals Gitarrenflageoletts verbinden – dann poltern die Rhythmen los, bäumt sich die Musik zu höchster Ekstase auf! Stefan Pieper |
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