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Warum haben Jazz-Musiker eigentlich keinen Galeristen, jemanden, der die Entstehung und den Kontext ihres Werkes erläutert. Aber so funktioniert die Szene eben nicht, zumindest meistens. Eine Ausnahme war das von Wolfram Knauer organisierte Jazz-Podium an der Columbia Universität, New York. Als „visiting Professor“ im Rahmen des „Louis Armstrong Professorship programs“ am Jazz-Institut der Universität, organisierte der Direktor des Darmstädter Jazz-Instituts unter anderem die Podiumsdiskussion zum Thema „Where you come from is where you go“ und bewies damit, dass die aktuelle Jazz-Szene durchaus ihre eigene Geschichte zu schreiben weiß. Dabei verleugnete keiner der vier Podiumsteilnehmer die Wurzeln im „schwarzen“ Amerika, auch wenn diese von ihnen nicht unbedingt in aktuellen Stücken umgesetzt werden. Am unmittelbarsten wurzeln die Kompositionen von Matana Roberts in den geschichtlich fixierten Ursprüngen des Jazz. In den Musikstücken der afroamerikanischen Saxophonistin schwingen sowohl das Leid als auch die ungehemmte Lebensfreunde ihrer – oftmals versklavten – Vorfahren mit. Dabei verarbeitet sie ihre persönliche Familiengeschichte ebenso wie aktuelle Problematiken, denen sie als „afroamerikanische Frau“ in der heutigen Jazz-Szene ausgesetzt ist. Als sie Anfang März bei einem Jazzfestival in Italien während eines Gigs in „tribal screaming“ (Stammesgeschrei) ausbrach, wäre „eine Erklärung für das Publikum wirklich hilfreich gewesen“, meint sie. Wie Knauer anfangs erläuterte, ist nicht nur der Kontext der Entstehung der Musik ausschlaggebend für die Wahrnehmung des Publikums, sondern auch das unmittelbare soziale Umfeld, in dem die Stücke vorgetragen werden. Um dieser – durch oftmals fehlenden Diskurs entstehenden – Verständnis-Problematik zu entgehen, schaffte der deutsche Vibraphonist Christopher Dell sich mit seinem Institut für Improvisationstechnologie seinen eigenen Kontext. Dies sei für ihn als Deutschen besonders wichtig. „Jazz kommt schließlich nicht aus Deutschland“, stellte er fest. Weshalb die Verwirklichung seines Traumes Jazzmusiker zu werden auch einen Identitäts-Wandel mit sich brachte, der sich letztlich – so meinte er nicht ganz unironisch – erst mit einem Job als „Tankwart“ in den USA auch auf sozialer Ebene vollzog. In der Kombination von Jazz und neuer Musik fand Dell dann endlich seine Identität, was oft nicht leicht verdaubar klingt, aber verdammt ehrlich ist und exzellent recherchiert. Für das erste Programm mit seinem Trio D.R.A. probte und schrieb Dell fünf Jahre lang. Dass neben der Musik auch noch einige Bücher und theoretische Abhandlungen entstanden, ist Teil des Prozesses. Dell hinterfragt die vorgeschriebene Form, anstatt sie einfach nur anzuwenden – egal ob es um Architektur geht, oder um Musik. Aber inwieweit ist Form veränderbar? Und wieweit darf man sie im Jazz verändern, oder ist die Veränderung der Form sogar Voraussetzung für guten Jazz? Klar ist, dass alle vier bei einer Jam-Session theoretisch mit den klassischen Standards arbeiten könnten, aber gleichzeitig ist das nicht das von ihnen angestrebte Ziel. Der deutsche Jazz-Sänger und Electronic-Pionier Michael Schiefel experimentierte mit seiner Band „Jazz Indeed“ etwa mit den 80er-Schlagern der Neuen Deutschen Welle. „Vielleicht liegt es daran, dass die traditionellen Jazz-Standards so stagnierend wirken, weil sie nicht unsere sind“, überlegte Schiefel. Und Vijay Iyer, ein angesagter Jazz-Pianist indischer Abstammung berichtet aus der Erfahrung mit seinen Studenten an der New York University: „Die meisten Studenten wollen heute nicht mehr über Standards improvisieren, sondern mit Björk oder Radiohead-Titeln arbeiten.“ Er selbst inkorporiert auch seine indischen Wurzeln in seine Kompositionen, will sich aber nicht als Sohn indischer Einwanderer klassifizieren lassen. „Es gehört soviel mehr dazu“, erläutert er. Andererseits habe ihm die „Asian Improv Scene“ (die vor allem an der US-Westküste aktiv ist) sehr dabei geholfen, sich zu etablieren. Wobei es aber mehr um die Gemeinschaft, die Kollaboration ginge, als um den eigentlichen Musikstil, der sich dann vor dem Hintergrund der „Asian Improv Scene“ ungehindert entfalten konnte. Auch Schiefel hatte sich als Professor am Weimarer Franz Liszt Konservatorium und als Mitglied mehrerer Band-Projekte bereits etabliert, bevor er mit seiner Stimme und einem Loop-Gerät Solo ging. Doch trotz provokanter Aussagen, wie etwa dem Titel seines Solo-Albums „Gay“ bekam er auf seine Identitäts-fokussierten Projekte wenig Resonanz. „Homosexualität und Jazz passen scheinbar nicht zusammen“, resümierte er, auch wenn man in New York mehr schwule Jazzmusiker treffen könne als in Berlin. Dennoch ließ er nach „Gay“ – auf musikalischer Ebene – seine Geschlechtlichkeit außen vor und konzentrierte sich auf die Weiterentwicklung seiner elektronischen Gerätschaften. Ganz im Gegensatz zu Matana Roberts, die ihre Musik dazu nutzt, um ihre „Ängste zu verarbeiten“ und zu sich selbst zu finden. Gleichzeitig freue sie sich jedoch schon darauf, „endlich nicht mehr mit ihrer unmittelbaren Autobiographie arbeiten zu müssen“. So hat jeder der vier seinen eigenen – mehr oder weniger problematischen – Werdegang, wobei jedoch jeder einzelne erstaunlich individuell die Ausgangsthese bestätigt: „Where you come from is where you go!“ Schließlich, so meinte Dell, „geht es beim Jazz vor allem um Unterschiede und Gegensätze und das ist ja genau das großartige daran!“ Josefine Koehn |
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