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Jazzzeitung

2008/03  ::: seite 13

rezensionen

 

Inhalt 2008/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 3


TITEL -
Young lions, old cats
Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Jazz-Zirkus


DOSSIER
- Jazzfestivals im Sommer (als pdf)

Berichte
50 Jahre Birdland Jazzclub in Neuburg an der Donau // Impressionen vom 23. INNtöne-Festival // Die soziale Funktion von Musik in Schulprojekten als Thema der „jazzahead!“ // 37. Moers-Festival


Portraits

Die nigerianische Sängerin Asa // Das Bundesjugendjazzorchester feierte Geburtstag // Wolfgang Haffner mit neuer Live-CD // Lee Konitz im Portrait // Pat Metheny im Interview // Titus Waldenfels // Jamie Wong-Li // …


Jazz heute und Education
Wolfram Knauer organisierte Podiumsdikussion in New York // Das Konzertprogramm der BMW-Welt in München // ...

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

CDs

Ströer Brothers & Howard Fine: Nomaden
Ilusion Records

Wiederveröffentlichungen haben ja manchmal so ihre Tücken. Manches wird peinlich aus der Distanz, anderes belanglos, im Idealfall erweist sich eine Musik als zeitlos. „Nomaden“ ist vor allem überraschend.
Das Album der Brüder Ernst und Hans P. Ströer mit dem Sprech- und Tanzperformer Howard Fine erschien original 1985 bei den Profi-Alternativen von Mood Records, wurde damals mit einem Preis der Schallplattenkritik bedacht und galt seitdem als furiose Rarität einer Ära, die sich des Endes der über Punk und Ähnliches hinausgezögerten experimentellen Freiheit der Popmusik intuitiv bewusst war. Und tatsächlich erkennt man vieles wieder: Verwandtschaften zur Spliff Radio Show natürlich, auch zu den frühen Heaven 17, zum Konzeptualismus des Prog Rocks, dem jazzig komplexen Gefrickel der Fusion Freaks, den eigenartigen mentalen Trips der Mutigen unter den Wave-Ästheten an der Schwelle zur Erfindung der Rap Culture als neuem Idiom des obsessiv Juvenilen. Je mehr man sich mit auf die Reise in die Phantasmagorien des Texters und Rezitators Fine nehmen lässt, je intensiver man seiner Energie nachspürt, um so tiefer taucht man in die irritierende, stellenweise beängstigende Klang- und Bilderwelt der Achtziger ein, die nichts mit der dümmlich schlichten Ü30-Verklärung der Gegenwart zu tun hat. Insofern sei „Nomaden“ allen ans Herz gelegt, die ihre Jugend damals nicht verschwendet haben. Es ist ein irisierendes Zeitdokument, so erfrischend Eighties wie nur möglich.
Ralf Dombrowski

Wolfgang Muthspiel 4tet: Earth Mountain
Material Records

Wolfgang Muthspiel ist an einer Grenze angekommen. Besser spielen kann er kaum noch, die Finger gehorchen seinem musikalischen Willen in vorbildlicher Weise. Stilistisch ist ihm nichts wirklich fremd, abgelegene ethnische Idiome vielleicht ausgenommen. Muthspiel kann an seiner Gitarre eigentlich alles und das macht es nicht leichter. Denn wo lauern noch die Herausforderungen, die den Künstler über sich hinaus wachsen lassen? In der Kommunikation mit anderen vielleicht, aber da ist das aktuelle Quartett des Österreichers mit den Pichler Brüdern und dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck vorbildlich eloquent; im Kompositorischen womöglich, doch da präsentiert das aktuelle Album „Earth Mountain“ versiert modernes Handwerk, harmonisch ausgefuchst und manchmal tricky.
Muthspiels Interessen also müssen sich um etwas anderes drehen und tatsächlich wird deutlich, dass der lakonische Saitenhexer sich derzeit im Dialog mit der Historie befindet. Über eine knappe Stunde hinweg machen im Geiste viele der Referenzgestalten des modernen Gitarrenspiels ihren Diener, mal in Hinblick auf den Sound, mal in Details der Phrasierung, der Linienbildung. Sie grüßen durch Mutspiels Saiten, die Methenys, Frisells, Akkermans & Co. Dabei geht es nicht um Imitation, sondern um den Kommentar einer Haltung, die bereits die alterierte Moderne als Geschichte wahrnimmt. Muthspiels Grenzen sind die Chimären der Perfektion, denen er die lange Nase zeigen will. Eine große Aufgabe, deren Bewältigung mit „Earth Mountain“ erst ihren Anfang nimmt.
Ralf Dombrowski

Olaf Schönborn’s Q4: Radio Jazz
Jazz’n’Arts JnA 3808

Der Saxophonist Olaf Schönborn hat nach einigen Jahren im Geschäft nun auch eine Platte unter eigenem Namen herausgebracht. Der thematische Bogen unter den er seine Musik gestellt hat, „Radio Jazz“, wird dem verhärmten Jazz­liebhaber wie ein höhnisches Echo aus längst vergangenen Zeiten vorkommen, als die Welt noch gut war und Ellington ein Star. Wer heute versucht, Jazz und Radio in eine Linie zu bringen, hört sich freilich anders an. So ist „Radio Jazz“ eher eine typische Easy Listening-Platte. Keine vordergründig verkopften Stücke, dafür schön dahinrollende Latin-Grooves, eingängige Themen und manchmal wird das Ganze auch etwas langweilig. Nachdem Schönborn uns aber keine Hörner aufsetzt und sagt, wohin die Reise geht, kann man das verschmerzen, denn seine an Methenys Positivismus erinnernden Themen sind wirklich schön gesetzt. Ein wenig zu vorsichtig, aber so ist das eben mit dem Radio, man möchte ja niemanden verschrecken. Außerordentlich gut funktioniert die schlanke Besetzung des Quartetts mit Percussion statt Drumset und akustischer Gitarre statt Piano. Der Sound wird durchsichtig und klar, die Musik leicht und beweglich. Gitarrist Da­niel Stelter macht bei seinen Soli sowohl im Blues- als auch im Latin-Kontext eine sehr gute Figur und auch Schönborn weiß, sich zwischen den Stilen zu bewegen. Nachdem im Radio leider in der Regel keine Instrumentalmusik läuft, werden sich auch Olaf Schönborns Airplays auf die wenigen Smooth-Jazz-Sender beschränken, die das Internet zu bieten hat, wer aber im Bügelzimmer keinen Rechner stehen hat, der sollte sich „Radio Jazz“ zulegen.
Jörg Lichtinger

Lygia Campos: Meu Nome é Brasil
Galileo MC

So klingt Brasilien im Zeitalter der Globalisierung: Folklore trifft auf Club-Musik von heute. Moderne Samba-Interpretationen, coole Ambient-Loops, Bossa Nova, Brasil-Pop, Jazzimprovisation und Afro-Rhythmen verbinden sich zu einer Sound-Tapete. Die Rede ist von der Sängerin, Pianistin und Komponistin Lygia Campos, die soeben ihr erstes Solo-Album veröffentlicht hat. Seit 17 Jahren lebt die Musikerin in Deutschland; der Album-Titel „Mein Name ist Brasilien“ ist eine Referenz an ihre Heimat.
Der Song „Fé“ greift die Rhythmen der Afro-Brasilianer auf und verbindet sie mit Hardrock-Gitarrenriffs. Eine Ballade vereint französischen Text und orientalische Tonleitern. In der Swing-Nummer „Amigos Do Rio“ wiederum verbeugt sich die Sängerin vor den temperamentvollen Cariocas, den Einwohnern ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro. Die Begleitband, bestehend aus Gitarre, Schlagzeug, Perkussion, Bass und Klarinette ist souverän und stilistisch vielseitig zugange. Lygia Campos singt dazu mit ihrer beweglichen Altstimme auf Portugiesisch, Englisch und Französisch. Auch den Scatgesang beherrscht sie virtuos.
Dennoch ist das Album nicht so vielfältig, wie man nun glauben mag. Die Songs sind recht einförmig und unaufdringlich instrumentiert; sie verbinden sich zu einem fortlaufenden Einheitssound. Als Hintergrundmusik stört diese Platte nicht. Sie wolle einen „zeitgenössischen, globalen Sound kreieren, fernab jeglicher Brasil-Nostalgie“, meint Lygia Campos. Der Gefahr, damit der Beliebigkeit anheimzufallen, ist sie nicht ganz entgangen.
Antje Rößler

max.bab: Bright eyes celebrating Simon & Garfunkel
embab 398.9934.2

Jazz meets Pop – Paul Simons „alte Hits“ haben inzwischen eine Distanz-Patina angelegt, die es möglich macht, sie auch ohne die „alten“ Rahmengefühle zu hören. Das können die noch jungen Musiker von max.bab natürlich noch besser empfinden. Pianist Benedikt Jahnel bezeichnet die Originalkompositionen als „unglaublich perfekt, rund und nie platt“. Das erhöht die Schwierigkeiten, dem unglaublich Perfekten etwas weiteres draufzusetzen, nämlich die Transfusion in einen Jazz-Rahmen; in etwa: Popblut raus, Jazzblut rein – und hoffen, dass es zu keiner Abstoßungsreaktion kommen mag. Ob es besser gelungen sein mag als im Original, mögen die Musiker von max.bab selbst entscheiden. Vor allem auch im Zusammenhang mit den drei eigenen Stücken auf der CD. „Broken Processions“ [Track 3] von Max von Mosch wirkt in dem Zusammenhang des Ganzen fast schon deplatziert und hat Nervpotenzial, auch die beiden anderen Eigenkompositionen fühlen sich nicht so recht wohl neben denen von Paul Simon. Auf jeden Fall haben max.bab das musikalische Material der Originale eingekocht – ummodelliert, häufig in Pattern-, und Repetitionsmuster aufgelöst, die das oft sehr zurückhaltend agierende Saxophon melodisch überschwebt. So entsteht durchaus der Eindruck einer ätherischen Musik, die man meint, sofort in allen Formen wie beiläufig mitsummen zu können. Eine Platte für Kenner und Liebhaber.
Martin Hufner

Marty Ehrlich & Myra Melford: Spark!
Palmetto

Nimmt man „Spark!“ metaphorisch, dann hat es bei Marty Ehrlich & Myra Melford im Studio gefunkt – musikalisch. Ihre Dia­loge schüren eine spirituelle Glut. Insbesondere wenn Marty Ehrlich am Alto-Sax seine „Hymn“ mit hartem Staccato beginnt, bald aber zu so etwas wie Gospel-Bebop umschwenkt, den Myra Melford am Klavier mit charakteristischen rhythmischen Vamps trägt. Ihr Song „A Generation Comes And Another Goes“ hat (beeinflusst von der Poesie des Autors al-Jawahiri) ebenso eine Priester-Rhetorik, beschwörend wünscht sie dadurch Frieden im Irak, von Marty Ehrlich mit milden langen Saxtönen unterstützt. Auch „For Leroy“ hat ein Deklamando, allerdings in Bluesmanier, und bei „I See A Horizon“ berührt Marty Ehrlich Klezmersoul. Außer durch Ritual und Religion begegnen sich Marty Ehrlich und Myra Melford in sehr variablem Stil auch bei elegischer „Night“ oder in der hektischen Metropole „Blue Dehli“, wo pochende beats und agile Klarinettenmanöver das Geschehen bestimmen. Während Myra Melford mit Soul-Akkorden, Arpeggios und grundierenden Ostinati die emotionale Kulisse dieses Programms formt, kann Marty Ehrlich die expressiven Register bedienen und sich manche Eskapade erlauben. Wie flexibel sie dabei sind, ist bei der zweiten Version der „Hymn“ zu hören, denn deren Energieniveau ist viel niedriger, das Saxophon klingt fast besänftigend. Aus solch dichten Interaktionen sprühen magische Funken.
Hans-Dieter Grünefeld

jbbg: Electric Poetry & Lo-Fi Cookies
Intuition INT 34072

Groovige Zukunftsmusik der Extraklasse bietet jbbg, wie sich die Jazz Bigband Graz kurz und hip nennt, auf ihrer neuen CD Electric Poetry & Lo-Fi Cookies. Bläserlastig und mit recht einfacher Melodik beginnt der erste Track, doch nach wenigen Minuten lässt sich erahnen, was hier auf den Hörer hereinbrechen wird: Elektro-Beats meet Bigband. Geht nicht? – Weit gefehlt.
Der zweite Track „Some days ago...in the future“ wartet mit einem besonderen Gast auf, der Theremin-Spielerin Barbara Buchholz. Das Theremin, in den 1920er-Jahren als erstes elektronisches Musikinstrument entwickelt, wurde auf Buchholz‘ Anregung hin zeitgemäß zu einem Midi-Theremin weiterentwickelt, mit dem sie auch Samples und Loops durch einfache Handbewegungen steuern kann. Bei „The smile of smiles“ singt Horst-Michael Schaffer einen Text von William Blake, ergänzend greift Heinrich von Kalnein zum Megafon. Besonders schön anzuhören ist das Django Bates gewidmete Stück „Shades of tango“ mit spanischem Text von Horacio Ferrer, beginnend mit einer an herrlich traurigen Klezmer erinnernden Klarinette (Robert Friedl), das jedoch nach etwa vier Minuten in einen wilden Bebop-Wettlauf übergeht, der sich nach einiger Zeit wieder in den Anfangs-Tango auflöst. Ausklingen lassen die jbbg‘ler ihr Klangkunstwerk erneut groovend nu-jazzig mit „Meshell‘s dreamland“ (Text: Colonel Henry Heveningham). Insgesamt ein neuartiges Klangerlebnis, dessen Gesamtkonzept aufgeht.
Charlotte Schick

Gabriele Hasler: G.bete 365
FM 211107/nrw-Vertrieb

Wer etwas für Vokalkunst übrig hat oder musikalisch neugierig genug ist, sich auf ein ausnehmend spannendes Stimm-Erlebnis einzulassen, liegt bei Gabriele Hasler eigentlich immer richtig. Lange vor dem Neue-Frauenstimmen-im-Jazz-Boom als Liebling der Feuilletons von Brigitte & Co. umschwärmt, ist Hasler eigene Wege gegangen. Konsequent. Diese haben sie in Bereiche geführt, die weit ab jeglicher glamourösen Feuilletonschickeria liegen. Duoprojekte mit Roger Hanschel, Chorprojekte, CD-Produktionen nach Gedichten des 2006 verstorbenen Oskar Pastior und von Gertrude Stein und sogar die Erfindung einer eigenen Sprache, „Esperango“. Wie sehr es Hasler um Texte – seien sie noch so verschlungen, schwer verständlich oder krude – und deren Klang, Intensität, Modulation und farbliche Nuancen geht, wird bei ihrem neuesten Soloprogramm „G.bete 365“ überdeutlich. „Ein Ge-Bets-Buch für die Tage des Jahres. Beiträge zu einer Enzyklopädie der Vor-Silben. Anrufungen und Bittgesänge, Beschwörungsformeln und Heilungsverse“, notiert Bert Noglik bewundernd in den Linernotes. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Wie nach dem Urknall dehnt Hasler das Vokaluniversum seit Jahren immer weiter aus, eröffnet faszinierende Einblicke und definitiv un-erhörte Eindrücke. Mal groovend, mal geräuschhaft bedrohlich, sanft oder wild, lockend und distanziert: Es ist ein „Klangkosmos des Menschlichen“.
Michael Scheiner

Carte Blanche: carte blanche
Radau Records 071125/amazon.de

Fünf Münchner, die sich selbst die „Weiße Karte“ ausstellen und damit eine klangliche Welt entwerfen, die alle Ingredienzien eines eigenwillig-poetischen Charakters, spannender Ideen und unabhängigen Geistes enthält. 18 Kompositionen, zwei Gemeinschaftsarbeiten, der Rest aus der Feder des Schlagzeugers Jürgen Schneider, die stilistisch zwischen vielen Stühlen angesiedelt sind. In unterschiedlichen Konstellationen vom Duo bis zum Quintett loten die Instrumentalisten die Kompositionen zwischen swingenden und souligen Grooves, rhythmischer Freiheit, Improvisation und geräuschhaften Klangexkursion, Marsch-Irrwitz und hallig schwebenden Sounds aus. Auf nichts kann man sich entspannt zurücklehnend einlassen, es sei denn, auf den Wechsel, die ständige Veränderung.Die Orgel (Leonhard Schilde, auch piano u.a. Tasten) lässt gelegentlich soulige 60er-Jahr-Stimmungen aufleuchten, die vielseitige exzellente Gitarre (Carsten Radtke) reflektiert John Scofield und andere Jazzheroen und klingt ausnehmend eigen. Peter Hops am Bass slappt, marschiert, malt und begleitet mal zurück genommen, mal drängend, und Christoph Reiserer beleuchtet die kühne intellektuelle Kantigkeit mancher Stücke mit melodisch-sinnlichem Einfalls- und Ausdrucksreichtum. Ein intelligentes und sinnliches Vergnügen, frei und eigenständig treibend zwischen Jazz, Improvisation und Neuer Musik, wie man es aus München kaum erwartet.
Michael Scheiner

Misha Alperin: Her First Dance
ECM

Dies ist ein Album für Puristen: Mit seinem transparenten, beherrschten Tastenspiel verbreitet Misha Alperin die kalte Reinheit eines Gletschers. Beispielhaft für seinen Minimalismus ist der Titel „Frozen Tears“, in welchem der Klavierpart aus einem einzigen, fortwährend wiederholten Akkord besteht. Der klar artikulierte Anschlag gibt Zeugnis von Alperins erster Karriere als klassischer Pianist. Sein neues Album enthält eine Reihe aphoristischer Miniaturen, wobei der 52-jährige Pianist es stets schafft, eine einzige Stimmung bis in die letzten Verästelungen zu verfolgen. Zuweilen schwingt er sich zu einem müden Walzer auf, oder zu einer lässig-virtuosen Passage. Aber die Grundstimmung bleibt seltsam kaltblütig und fern aller menschlichen Leidenschaften. Schon Songtitel wie „Lonely in White“ oder „April in February“ deuten das an. Vielleicht ist die gleichmütige Gelassenheit darauf zurückzuführen, dass der ukrainische Pianist seit 15 Jahren in Oslo lebt. Oder aber auf die schwebende Tonalität der moldawischen Volksmusik, die viele seiner Kompositionen bestimmt. Gelegentlich dürfen auch die Cellistin Anja Lechner und der Hornist Arkady Shilkloper ein paar Melodien beisteuern. Ein echtes Trio bilden die drei dennoch nicht; zu sehr bleibt das Klavierspiel im Vordergrund. In eine Stil-Schublade lässt sich diese Musik nicht packen; es handelt sich um eine Art Skelett spätromantischer Harmonienfülle, umkleidet mit Fetzen aus Jazz und Folklore. Einem Abend gepflegter Melancholie gibt diese Platte den letzten Schliff.
Antje Rößler

Wolfgang Haffner: Acoustic Shapes
ACT 9468-2

Sein letztes Album „Shapes“ hat Wolfgang Haffner in elektronische Regionen geführt. Jetzt hat er das gute Stück noch einmal umarrangiert und als Akustik-Version neu aufgelegt. „Acoustic Shapes“ ist die Rückbesinnung auf Haffners ursprüngliche Absicht, aus „Shapes“ ein Klaviertrio-Album zu machen. Dazu hat er sich den Pianisten Hubert Nuss als Verstärkung geholt, der in der akustischen Variante den Trompeter und Keyboarder Sebastian Studnitzky und den Gitarristen Frank Kuruc ersetzt. Auch längst nicht alle Songs haben es auf die live eingespielte und unverstärkte Neuauflage geschafft. Die ursprünglich zwölf Stücke von „Shapes“ sind auf sieben eingedampft worden. Überstanden haben den Rotstift allerdings die stärkeren und vor allem melodisch interessanteren Nummern wie der Titeltrack, „Silent Way“ und „Some Other Time“. Mit dem boppigen „Star“, das ein wenig an „Seven Steps to Heaven“ erinnert, hat Haffner noch einen Song hinzugefügt, der das traditionelle Element dieser Trioplatte im Vergleich zum elektronisch geprägten Original betont. Das neue und doch alte Gewand von „Acoustic Shapes“ offenbart sich erst abseits der Themen, wo Haffners überwiegend loop-basierte Rhythmusparts von „Shapes“ einer offenen Jazzbegleitung mit zum Teil kleinstem Set weichen müssen, die Grundlage für einen flexibleren Dialog mit dem Solisten Hubert Nuss. Wer mehr Wert auf ein gut gespieltes Pianosolo legt, als auf durchgestylte Lounge-Jazz-Ästhetik, für den könnte „Acoustic Shapes“ die bessere Variante sein, die Spannendere ist sie nicht.
Jörg Lichtinger

Araxi Karnusian – strange sounds: beautiful music: Interrupted
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Irgendwo im magischen Dreieck zwischen weltmusikalischen, klassischen und jazzigen Einflüssen pulsiert das musikalische Herz der 1969 in Gstaad geborenen Berner Saxophonistin Araxi Karnusian.
Nach einem der Musik zuliebe unvollendeten Studium der Kunst- und Architekturgeschichte sowie Ethnologie absolvierte sie ihre Ausbildung an der Jazzschule Luzern, studierte unter anderem bei John Voirol (Saxophon), Ed Neumeister und David Angel (Arrangement und Komposition). Bereits 2003 ließ ihre erste „suite for string quartet and jazzband“ mit dem Ensemble „strange sounds – beautiful music“ aufhorchen. Grenzgänge zur Gregorianik, Filmmusik, Auftragskompositionen, Aufenthalte in Ghana, New York und Paris runden eine facettenreiche Biographie ab. Vielfältige Impulse bereichern die Phantasie, verleihen den drei suitenähnlichen Zyklen auf „Interrupted“ einen äußerst eigenwilligen, äußerst hörenswerten Charakter. Jazzquintett (Araxi Karnusian, ts, cl, comp, Jürg Bucher, ts, cl, Colin Vallon, p, Daniel Schläppi , b, Dominic Egli, dr, perc,) und Streichquartett (Simon Heggendorn, Tobias Preisig, Violine, David Schneebeli, Viola, und Bruno Fischer, Violoncello) tragen in komplementärem Miteinander und im dichten Geflecht aus Komposition, Improvisation und Interaktion bei zu einem stilbildenden Gesamtkunstwerk, das immer ein bisschen melancholisch klingt, dabei zugleich Zeugnis gibt von warmer Herzlichkeit und großer innerer Stärke.
Tobias Böcker

Henning Sieverts: Symmetry
Pirouet PIT 3022

Symmetrie bedeutet Ebenmaß. Soweit die Kurzdefinition nach Wikipedia, die neben Naturwissenschaften, Kunst und Kultur auch die Musik zu Wort kommen lässt: „In der Kompositionslehre bezeichnet die Symmetrie die Wiederholung einer Sequenz in umgekehrter Reihenfolge der Töne oder Akkorde.“ Sprachlich bezeichnet man solche Krebskanon-Symmetrie auch als Palindrom, zum Beispiel Otto, Anna, Rentner, Retsinakanister oder den bekannten Satz „Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie“. Der Münchener Bassist Henning Sieverts hat sich ganz solcher Symmetrie verschrieben, bezieht sie auf Melodien, Intervalle, Akkorde, Metrik und Rhythmen, mal direkt erkennbar, mal nur genauem Zuhören zu erschließen. Da geht’s mal um simpel erscheinende Skalen, mal um symmetrische Kleinterzverwandtschaften, mal um die symmetrische Struktur übermäßiger Akkorde, dann, nicht nur im 2-3-2-3-2 bzw. 3-2-3-2-3er, um die A-B-A-B-A-Form. Gemeinsam mit Chris Speed, ts, cl, Johannes Lauer, tb, Achim Kaufmann, p, und John Hollenbeck, dr, präsentiert Sieverts vierzehn variantenreich vertrackte symmetrische Kabinettstückchen im Vor- und Rückwärtsgang, zu denen er sich nicht nur paßgenaue Titel – von „Top Spot“ über „Sum summus mus“ bis zu „Luz azul“ – ausgedacht hat, sondern auch atmosphärisch dichte Kompositionen, in denen sich ein ausgezeichnet disponiertes Jazzquintett nach Herzenslust tummelt. Was schließlich bei aller noch so reizvollen Kopfakrobatik die Hauptsache ist.
Tobias Böcker

Sebastian Netta „tRIO“: Autumn Letters
MUSICOM, CD 0112154

Wenn alle Musiker, die eine musikhochschulische Ausbildung in den Niederlanden genossen haben, so klingen, sollten noch mehr Europäer dort ihr Studium absolvieren. Die Lehrzeit der drei Protagonisten dieser CD liegt zwar schon einige Jahre zurück, aber dennoch ist nicht zu überhören, dass hier Meister ihres Instruments am Werk sind. Es swingt mit einer Leichtigkeit und Musikalität, die ihresgleichen sucht und erinnert an die klassischen Klaviertrios à la Bill Evans, jedoch ohne diese nur zu kopieren, sondern in ganz eigenem Stil und mit großer Virtuosität. Neben Jazzstandards wie „In a Sentimental Mood“ und „Falling in Love with Love“ interpretieren Sebastian Altekamp (piano), Ingo Senst (bass) und Sebastian Netta (drums) auch Stücke der Beatles („Michelle“, „And I love her“), die durch ihre Verjazzung so gar nicht mehr an das Original erinnern, sondern sich harmonisch in die Riege der Standards einreihen. Herrlich melodisch und unbeschwert kommen Nettas Eigenkompositionen „Autumn Letters“, „Balahé“ und „Michael’s Delight“ daher, ganz besonders erwähnenswert ist jedoch die außergewöhnliche Improvisation über „Du, Du liegst mir im Herzen“, einem norddeutschen Volkslied aus dem 19. Jahrhundert. Die nicht ohne Grund international gefragten Musiker beweisen hervorragenden Geschmack, Charme und Können und lassen den Hörer ihre Spielfreude hautnah miterleben. Sie bieten eine Musik die belebt, beschwingt und zugleich entspannt Hörenswert!
Charlotte Schick

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