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Jazzzeitung
2008/03 ::: seite 13
rezensionen
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Ströer Brothers & Howard Fine:
Nomaden
Ilusion Records
Wiederveröffentlichungen haben ja manchmal so ihre Tücken.
Manches wird peinlich aus der Distanz, anderes belanglos, im Idealfall
erweist sich eine Musik als zeitlos. „Nomaden“ ist vor allem überraschend.
Das Album der Brüder Ernst und Hans P. Ströer mit dem Sprech-
und Tanzperformer Howard Fine erschien original 1985 bei den Profi-Alternativen
von Mood Records, wurde damals mit einem Preis der Schallplattenkritik
bedacht und galt seitdem als furiose Rarität einer Ära, die
sich des Endes der über Punk und Ähnliches hinausgezögerten
experimentellen Freiheit der Popmusik intuitiv bewusst war. Und tatsächlich
erkennt man vieles wieder: Verwandtschaften zur Spliff Radio Show natürlich,
auch zu den frühen Heaven 17, zum Konzeptualismus des Prog Rocks,
dem jazzig komplexen Gefrickel der Fusion Freaks, den eigenartigen mentalen
Trips der Mutigen unter den Wave-Ästheten an der Schwelle zur Erfindung
der Rap Culture als neuem Idiom des obsessiv Juvenilen. Je mehr man sich
mit auf die Reise in die Phantasmagorien des Texters und Rezitators Fine
nehmen lässt, je intensiver man seiner Energie nachspürt, um
so tiefer taucht man in die irritierende, stellenweise beängstigende
Klang- und Bilderwelt der Achtziger ein, die nichts mit der dümmlich
schlichten Ü30-Verklärung der Gegenwart zu tun hat. Insofern
sei „Nomaden“ allen ans Herz gelegt, die ihre Jugend damals
nicht verschwendet haben. Es ist ein irisierendes Zeitdokument, so erfrischend
Eighties wie nur möglich.
Ralf Dombrowski
Wolfgang Muthspiel 4tet:
Earth Mountain
Material Records
Wolfgang Muthspiel ist an einer Grenze angekommen.
Besser spielen kann er kaum noch, die Finger gehorchen seinem musikalischen
Willen in vorbildlicher
Weise. Stilistisch ist ihm nichts wirklich fremd, abgelegene ethnische
Idiome vielleicht ausgenommen. Muthspiel kann an seiner Gitarre eigentlich
alles und das macht es nicht leichter. Denn wo lauern noch die Herausforderungen,
die den Künstler über sich hinaus wachsen lassen? In der Kommunikation
mit anderen vielleicht, aber da ist das aktuelle Quartett des Österreichers
mit den Pichler Brüdern und dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck vorbildlich
eloquent; im Kompositorischen womöglich, doch da präsentiert
das aktuelle Album „Earth Mountain“ versiert modernes Handwerk,
harmonisch ausgefuchst und manchmal tricky.
Muthspiels Interessen also müssen sich um etwas anderes drehen und
tatsächlich wird deutlich, dass der lakonische Saitenhexer sich
derzeit im Dialog mit der Historie befindet. Über eine knappe Stunde
hinweg machen im Geiste viele der Referenzgestalten des modernen Gitarrenspiels
ihren Diener, mal in Hinblick auf den Sound, mal in Details der Phrasierung,
der Linienbildung. Sie grüßen durch Mutspiels Saiten, die
Methenys, Frisells, Akkermans & Co. Dabei geht es nicht um Imitation,
sondern um den Kommentar einer Haltung, die bereits die alterierte Moderne
als Geschichte wahrnimmt. Muthspiels Grenzen sind die Chimären der
Perfektion, denen er die lange Nase zeigen will. Eine große Aufgabe,
deren Bewältigung mit „Earth Mountain“ erst ihren Anfang
nimmt.
Ralf Dombrowski
Olaf Schönborn’s Q4:
Radio Jazz
Jazz’n’Arts JnA 3808
Der Saxophonist Olaf Schönborn hat nach einigen Jahren im Geschäft
nun auch eine Platte unter eigenem Namen herausgebracht. Der thematische
Bogen unter den er seine Musik gestellt hat, „Radio Jazz“,
wird dem verhärmten Jazzliebhaber wie ein höhnisches Echo
aus längst vergangenen Zeiten vorkommen, als die Welt noch gut war
und Ellington ein Star. Wer heute versucht, Jazz und Radio in eine Linie
zu bringen, hört sich freilich anders an. So ist „Radio Jazz“ eher
eine typische Easy Listening-Platte. Keine vordergründig verkopften
Stücke, dafür schön dahinrollende Latin-Grooves, eingängige
Themen und manchmal wird das Ganze auch etwas langweilig. Nachdem Schönborn
uns aber keine Hörner aufsetzt und sagt, wohin die Reise geht, kann
man das verschmerzen, denn seine an Methenys Positivismus erinnernden
Themen sind wirklich schön gesetzt. Ein wenig zu vorsichtig, aber
so ist das eben mit dem Radio, man möchte ja niemanden verschrecken.
Außerordentlich gut funktioniert die schlanke Besetzung des Quartetts
mit Percussion statt Drumset und akustischer Gitarre statt Piano. Der
Sound wird durchsichtig und klar, die Musik leicht und beweglich. Gitarrist
Daniel Stelter macht bei seinen Soli sowohl im Blues- als auch im
Latin-Kontext eine sehr gute Figur und auch Schönborn weiß,
sich zwischen den Stilen zu bewegen. Nachdem im Radio leider in der Regel
keine Instrumentalmusik läuft, werden sich auch Olaf Schönborns
Airplays auf die wenigen Smooth-Jazz-Sender beschränken, die das
Internet zu bieten hat, wer aber im Bügelzimmer keinen Rechner stehen
hat, der sollte sich „Radio Jazz“ zulegen.
Jörg Lichtinger
Lygia Campos:
Meu Nome é Brasil
Galileo MC
So klingt Brasilien im Zeitalter der Globalisierung: Folklore trifft
auf Club-Musik von heute. Moderne Samba-Interpretationen, coole Ambient-Loops,
Bossa Nova, Brasil-Pop, Jazzimprovisation und Afro-Rhythmen verbinden
sich zu einer Sound-Tapete. Die Rede ist von der Sängerin, Pianistin
und Komponistin Lygia Campos, die soeben ihr erstes Solo-Album veröffentlicht
hat. Seit 17 Jahren lebt die Musikerin in Deutschland; der Album-Titel „Mein
Name ist Brasilien“ ist eine Referenz an ihre Heimat.
Der Song „Fé“ greift die Rhythmen der Afro-Brasilianer
auf und verbindet sie mit Hardrock-Gitarrenriffs. Eine Ballade vereint
französischen Text und orientalische Tonleitern. In der Swing-Nummer „Amigos
Do Rio“ wiederum verbeugt sich die Sängerin vor den temperamentvollen
Cariocas, den Einwohnern ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro. Die Begleitband,
bestehend aus Gitarre, Schlagzeug, Perkussion, Bass und Klarinette ist
souverän und stilistisch vielseitig zugange. Lygia Campos singt
dazu mit ihrer beweglichen Altstimme auf Portugiesisch, Englisch und
Französisch. Auch den Scatgesang beherrscht sie virtuos.
Dennoch ist das Album nicht so vielfältig, wie man nun glauben mag.
Die Songs sind recht einförmig und unaufdringlich instrumentiert;
sie verbinden sich zu einem fortlaufenden Einheitssound. Als Hintergrundmusik
stört diese Platte nicht. Sie wolle einen „zeitgenössischen,
globalen Sound kreieren, fernab jeglicher Brasil-Nostalgie“, meint
Lygia Campos. Der Gefahr, damit der Beliebigkeit anheimzufallen, ist
sie nicht ganz entgangen.
Antje Rößler
max.bab: Bright eyes celebrating Simon & Garfunkel
embab 398.9934.2
Jazz meets Pop – Paul Simons „alte Hits“ haben
inzwischen eine Distanz-Patina angelegt, die es möglich macht, sie
auch ohne die „alten“ Rahmengefühle zu hören. Das
können
die noch jungen Musiker von max.bab natürlich noch besser empfinden.
Pianist Benedikt Jahnel bezeichnet die Originalkompositionen als „unglaublich
perfekt, rund und nie platt“. Das erhöht die Schwierigkeiten,
dem unglaublich Perfekten etwas weiteres draufzusetzen, nämlich
die Transfusion in einen Jazz-Rahmen; in etwa: Popblut raus, Jazzblut
rein – und
hoffen, dass es zu keiner Abstoßungsreaktion kommen mag. Ob es
besser gelungen sein mag als im Original, mögen die Musiker von
max.bab selbst entscheiden. Vor allem auch im Zusammenhang mit den drei
eigenen Stücken
auf der CD. „Broken Processions“ [Track 3] von Max von Mosch
wirkt in dem Zusammenhang des Ganzen fast schon deplatziert und hat Nervpotenzial,
auch die beiden anderen Eigenkompositionen fühlen sich nicht so
recht wohl neben denen von Paul Simon. Auf jeden Fall haben max.bab das
musikalische
Material der Originale eingekocht – ummodelliert, häufig in
Pattern-, und Repetitionsmuster aufgelöst, die das oft sehr zurückhaltend
agierende Saxophon melodisch überschwebt. So entsteht durchaus der
Eindruck einer ätherischen Musik, die man meint, sofort in allen
Formen wie beiläufig mitsummen zu können. Eine Platte für
Kenner und Liebhaber.
Martin Hufner
Marty Ehrlich & Myra Melford:
Spark!
Palmetto
Nimmt man „Spark!“ metaphorisch, dann hat es bei Marty Ehrlich & Myra
Melford im Studio gefunkt – musikalisch. Ihre Dialoge schüren
eine spirituelle Glut. Insbesondere wenn Marty Ehrlich am Alto-Sax seine „Hymn“ mit
hartem Staccato beginnt, bald aber zu so etwas wie Gospel-Bebop umschwenkt,
den Myra Melford am Klavier mit charakteristischen rhythmischen Vamps trägt.
Ihr Song „A Generation Comes And Another Goes“ hat (beeinflusst
von der Poesie des Autors al-Jawahiri) ebenso eine Priester-Rhetorik, beschwörend
wünscht sie dadurch Frieden im Irak, von Marty Ehrlich mit milden
langen Saxtönen unterstützt. Auch „For Leroy“ hat
ein Deklamando, allerdings in Bluesmanier, und bei „I See A Horizon“ berührt
Marty Ehrlich Klezmersoul. Außer durch Ritual und Religion begegnen
sich Marty Ehrlich und Myra Melford in sehr variablem Stil auch bei elegischer „Night“ oder
in der hektischen Metropole „Blue Dehli“, wo pochende beats
und agile Klarinettenmanöver das Geschehen bestimmen. Während
Myra Melford mit Soul-Akkorden, Arpeggios und grundierenden Ostinati die
emotionale Kulisse dieses Programms formt, kann Marty Ehrlich die expressiven
Register bedienen und sich manche Eskapade erlauben. Wie flexibel sie dabei
sind, ist bei der zweiten Version der „Hymn“ zu hören,
denn deren Energieniveau ist viel niedriger, das Saxophon klingt fast
besänftigend. Aus solch dichten Interaktionen sprühen magische
Funken.
Hans-Dieter Grünefeld
jbbg:
Electric Poetry & Lo-Fi Cookies
Intuition INT 34072
Groovige Zukunftsmusik der Extraklasse bietet jbbg,
wie sich die Jazz Bigband Graz kurz und hip nennt, auf ihrer neuen CD Electric
Poetry & Lo-Fi
Cookies. Bläserlastig und mit recht einfacher Melodik beginnt der
erste Track, doch nach wenigen Minuten lässt sich erahnen, was hier
auf den Hörer hereinbrechen wird: Elektro-Beats meet Bigband. Geht
nicht? – Weit gefehlt.
Der zweite Track „Some days ago...in the future“ wartet mit
einem besonderen Gast auf, der Theremin-Spielerin Barbara Buchholz. Das
Theremin, in den 1920er-Jahren als erstes elektronisches Musikinstrument
entwickelt, wurde auf Buchholz‘ Anregung hin zeitgemäß zu
einem Midi-Theremin weiterentwickelt, mit dem sie auch Samples und Loops
durch einfache Handbewegungen steuern kann. Bei „The smile of smiles“ singt
Horst-Michael Schaffer einen Text von William Blake, ergänzend greift
Heinrich von Kalnein zum Megafon. Besonders schön anzuhören ist
das Django Bates gewidmete Stück „Shades of tango“ mit
spanischem Text von Horacio Ferrer, beginnend mit einer an herrlich traurigen
Klezmer erinnernden Klarinette (Robert Friedl), das jedoch nach etwa vier
Minuten in einen wilden Bebop-Wettlauf übergeht, der sich nach einiger
Zeit wieder in den Anfangs-Tango auflöst. Ausklingen lassen die jbbg‘ler
ihr Klangkunstwerk erneut groovend nu-jazzig mit „Meshell‘s
dreamland“ (Text: Colonel Henry Heveningham). Insgesamt ein neuartiges
Klangerlebnis, dessen Gesamtkonzept aufgeht.
Charlotte Schick
Gabriele Hasler:
G.bete 365
FM 211107/nrw-Vertrieb
Wer etwas für Vokalkunst übrig hat oder musikalisch neugierig
genug ist, sich auf ein ausnehmend spannendes Stimm-Erlebnis einzulassen,
liegt bei Gabriele Hasler eigentlich immer richtig. Lange vor dem Neue-Frauenstimmen-im-Jazz-Boom
als Liebling der Feuilletons von Brigitte & Co. umschwärmt, ist
Hasler eigene Wege gegangen. Konsequent. Diese haben sie in Bereiche geführt,
die weit ab jeglicher glamourösen Feuilletonschickeria liegen. Duoprojekte
mit Roger Hanschel, Chorprojekte, CD-Produktionen nach Gedichten des 2006
verstorbenen Oskar Pastior und von Gertrude Stein und sogar die Erfindung
einer eigenen Sprache, „Esperango“. Wie sehr es Hasler um Texte – seien
sie noch so verschlungen, schwer verständlich oder krude – und
deren Klang, Intensität, Modulation und farbliche Nuancen geht, wird
bei ihrem neuesten Soloprogramm „G.bete 365“ überdeutlich. „Ein
Ge-Bets-Buch für die Tage des Jahres. Beiträge zu einer Enzyklopädie
der Vor-Silben. Anrufungen und Bittgesänge, Beschwörungsformeln
und Heilungsverse“, notiert Bert Noglik bewundernd in den Linernotes.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Wie nach dem Urknall dehnt Hasler
das Vokaluniversum seit Jahren immer weiter aus, eröffnet faszinierende
Einblicke und definitiv un-erhörte Eindrücke. Mal groovend, mal
geräuschhaft bedrohlich, sanft oder wild, lockend und distanziert:
Es ist ein „Klangkosmos des Menschlichen“.
Michael Scheiner
Carte Blanche:
carte blanche
Radau Records 071125/amazon.de
Fünf Münchner, die sich selbst die „Weiße Karte“ ausstellen
und damit eine klangliche Welt entwerfen, die alle Ingredienzien eines
eigenwillig-poetischen Charakters, spannender Ideen und unabhängigen
Geistes enthält. 18 Kompositionen, zwei Gemeinschaftsarbeiten, der
Rest aus der Feder des Schlagzeugers Jürgen Schneider, die stilistisch
zwischen vielen Stühlen angesiedelt sind. In unterschiedlichen Konstellationen
vom Duo bis zum Quintett loten die Instrumentalisten die Kompositionen
zwischen swingenden und souligen Grooves, rhythmischer Freiheit, Improvisation
und geräuschhaften Klangexkursion, Marsch-Irrwitz und hallig schwebenden
Sounds aus. Auf nichts kann man sich entspannt zurücklehnend einlassen,
es sei denn, auf den Wechsel, die ständige Veränderung.Die Orgel
(Leonhard Schilde, auch piano u.a. Tasten) lässt gelegentlich soulige
60er-Jahr-Stimmungen aufleuchten, die vielseitige exzellente Gitarre (Carsten
Radtke) reflektiert John Scofield und andere Jazzheroen und klingt ausnehmend
eigen. Peter Hops am Bass slappt, marschiert, malt und begleitet mal zurück
genommen, mal drängend, und Christoph Reiserer beleuchtet die kühne
intellektuelle Kantigkeit mancher Stücke mit melodisch-sinnlichem
Einfalls- und Ausdrucksreichtum. Ein intelligentes und sinnliches Vergnügen,
frei und eigenständig treibend zwischen Jazz, Improvisation und Neuer
Musik, wie man es aus München kaum erwartet.
Michael Scheiner
Misha Alperin:
Her First Dance
ECM
Dies ist ein Album für Puristen: Mit seinem transparenten, beherrschten
Tastenspiel verbreitet Misha Alperin die kalte Reinheit eines Gletschers.
Beispielhaft für seinen Minimalismus ist der Titel „Frozen Tears“,
in welchem der Klavierpart aus einem einzigen, fortwährend wiederholten
Akkord besteht. Der klar artikulierte Anschlag gibt Zeugnis von Alperins
erster Karriere als klassischer Pianist. Sein neues Album enthält
eine Reihe aphoristischer Miniaturen, wobei der 52-jährige Pianist
es stets schafft, eine einzige Stimmung bis in die letzten Verästelungen
zu verfolgen. Zuweilen schwingt er sich zu einem müden Walzer auf,
oder zu einer lässig-virtuosen Passage. Aber die Grundstimmung bleibt
seltsam kaltblütig und fern aller menschlichen Leidenschaften. Schon
Songtitel wie „Lonely in White“ oder „April in February“ deuten
das an. Vielleicht ist die gleichmütige Gelassenheit darauf zurückzuführen,
dass der ukrainische Pianist seit 15 Jahren in Oslo lebt. Oder aber auf
die schwebende Tonalität der moldawischen Volksmusik, die viele seiner
Kompositionen bestimmt. Gelegentlich dürfen auch die Cellistin Anja
Lechner und der Hornist Arkady Shilkloper ein paar Melodien beisteuern.
Ein echtes Trio bilden die drei dennoch nicht; zu sehr bleibt das Klavierspiel
im Vordergrund. In eine Stil-Schublade lässt sich diese Musik nicht
packen; es handelt sich um eine Art Skelett spätromantischer Harmonienfülle,
umkleidet mit Fetzen aus Jazz und Folklore. Einem Abend gepflegter Melancholie
gibt diese Platte den letzten Schliff.
Antje Rößler
Wolfgang Haffner:
Acoustic Shapes
ACT 9468-2
Sein letztes Album „Shapes“ hat Wolfgang Haffner in elektronische
Regionen geführt. Jetzt hat er das gute Stück noch einmal umarrangiert
und als Akustik-Version neu aufgelegt. „Acoustic Shapes“ ist
die Rückbesinnung auf Haffners ursprüngliche Absicht, aus „Shapes“ ein
Klaviertrio-Album zu machen. Dazu hat er sich den Pianisten Hubert Nuss
als Verstärkung geholt, der in der akustischen Variante den Trompeter
und Keyboarder Sebastian Studnitzky und den Gitarristen Frank Kuruc ersetzt.
Auch längst nicht alle Songs haben es auf die live eingespielte und
unverstärkte Neuauflage geschafft. Die ursprünglich zwölf
Stücke von „Shapes“ sind auf sieben eingedampft worden. Überstanden
haben den Rotstift allerdings die stärkeren und vor allem melodisch
interessanteren Nummern wie der Titeltrack, „Silent Way“ und „Some
Other Time“. Mit dem boppigen „Star“, das ein wenig an „Seven
Steps to Heaven“ erinnert, hat Haffner noch einen Song hinzugefügt,
der das traditionelle Element dieser Trioplatte im Vergleich zum elektronisch
geprägten Original betont. Das neue und doch alte Gewand von „Acoustic
Shapes“ offenbart sich erst abseits der Themen, wo Haffners überwiegend
loop-basierte Rhythmusparts von „Shapes“ einer offenen Jazzbegleitung
mit zum Teil kleinstem Set weichen müssen, die Grundlage für
einen flexibleren Dialog mit dem Solisten Hubert Nuss. Wer mehr Wert auf
ein gut gespieltes Pianosolo legt, als auf durchgestylte Lounge-Jazz-Ästhetik,
für den könnte „Acoustic Shapes“ die bessere Variante
sein, die Spannendere ist sie nicht.
Jörg Lichtinger
Araxi Karnusian – strange sounds:
beautiful music: Interrupted
yvp 3147
Irgendwo im magischen Dreieck zwischen weltmusikalischen, klassischen
und jazzigen Einflüssen pulsiert das musikalische Herz der 1969 in Gstaad
geborenen Berner Saxophonistin Araxi Karnusian.
Nach einem der Musik zuliebe unvollendeten Studium der Kunst- und Architekturgeschichte
sowie Ethnologie absolvierte sie ihre Ausbildung an der Jazzschule Luzern,
studierte unter anderem bei John Voirol (Saxophon), Ed Neumeister und
David Angel (Arrangement und Komposition). Bereits 2003 ließ ihre erste „suite
for string quartet and jazzband“ mit dem Ensemble „strange
sounds – beautiful music“ aufhorchen. Grenzgänge zur Gregorianik,
Filmmusik, Auftragskompositionen, Aufenthalte in Ghana, New York und Paris
runden eine facettenreiche Biographie ab. Vielfältige Impulse bereichern
die Phantasie, verleihen den drei suitenähnlichen Zyklen auf „Interrupted“ einen äußerst
eigenwilligen, äußerst hörenswerten Charakter. Jazzquintett
(Araxi Karnusian, ts, cl, comp, Jürg Bucher, ts, cl, Colin Vallon,
p, Daniel Schläppi , b, Dominic Egli, dr, perc,) und Streichquartett
(Simon Heggendorn, Tobias Preisig, Violine, David Schneebeli, Viola, und
Bruno Fischer, Violoncello) tragen in komplementärem Miteinander und
im dichten Geflecht aus Komposition, Improvisation und Interaktion bei
zu einem stilbildenden Gesamtkunstwerk, das immer ein bisschen melancholisch
klingt, dabei zugleich Zeugnis gibt von warmer Herzlichkeit und großer
innerer Stärke.
Tobias Böcker
Henning Sieverts:
Symmetry
Pirouet PIT 3022
Symmetrie bedeutet Ebenmaß. Soweit die Kurzdefinition nach Wikipedia,
die neben Naturwissenschaften, Kunst und Kultur auch die Musik zu Wort
kommen lässt: „In der Kompositionslehre bezeichnet die Symmetrie
die Wiederholung einer Sequenz in umgekehrter Reihenfolge der Töne
oder Akkorde.“ Sprachlich bezeichnet man solche Krebskanon-Symmetrie
auch als Palindrom, zum Beispiel Otto, Anna, Rentner, Retsinakanister oder
den bekannten Satz „Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie“.
Der Münchener Bassist Henning Sieverts hat sich ganz solcher Symmetrie
verschrieben, bezieht sie auf Melodien, Intervalle, Akkorde, Metrik und
Rhythmen, mal direkt erkennbar, mal nur genauem Zuhören zu erschließen.
Da geht’s mal um simpel erscheinende Skalen, mal um symmetrische
Kleinterzverwandtschaften, mal um die symmetrische Struktur übermäßiger
Akkorde, dann, nicht nur im 2-3-2-3-2 bzw. 3-2-3-2-3er, um die A-B-A-B-A-Form.
Gemeinsam mit Chris Speed, ts, cl, Johannes Lauer, tb, Achim Kaufmann,
p, und John Hollenbeck, dr, präsentiert Sieverts vierzehn variantenreich
vertrackte symmetrische Kabinettstückchen im Vor- und Rückwärtsgang,
zu denen er sich nicht nur paßgenaue Titel – von „Top
Spot“ über „Sum summus mus“ bis zu „Luz azul“ – ausgedacht
hat, sondern auch atmosphärisch dichte Kompositionen, in denen sich
ein ausgezeichnet disponiertes Jazzquintett nach Herzenslust tummelt. Was
schließlich bei aller noch so reizvollen Kopfakrobatik die Hauptsache
ist.
Tobias Böcker
Sebastian Netta „tRIO“:
Autumn Letters
MUSICOM, CD 0112154
Wenn alle Musiker, die eine musikhochschulische
Ausbildung in den Niederlanden genossen haben, so klingen, sollten noch
mehr Europäer dort ihr Studium
absolvieren. Die Lehrzeit der drei Protagonisten dieser CD liegt zwar schon
einige Jahre zurück, aber dennoch ist nicht zu überhören,
dass hier Meister ihres Instruments am Werk sind. Es swingt mit einer Leichtigkeit
und Musikalität, die ihresgleichen sucht und erinnert an die klassischen
Klaviertrios à la Bill Evans, jedoch ohne diese nur zu kopieren,
sondern in ganz eigenem Stil und mit großer Virtuosität. Neben
Jazzstandards wie „In a Sentimental Mood“ und „Falling
in Love with Love“ interpretieren Sebastian Altekamp (piano), Ingo
Senst (bass) und Sebastian Netta (drums) auch Stücke der Beatles („Michelle“, „And
I love her“), die durch ihre Verjazzung so gar nicht mehr an das
Original erinnern, sondern sich harmonisch in die Riege der Standards einreihen.
Herrlich melodisch und unbeschwert kommen Nettas Eigenkompositionen „Autumn
Letters“, „Balahé“ und „Michael’s
Delight“ daher, ganz besonders erwähnenswert ist jedoch die
außergewöhnliche Improvisation über „Du, Du liegst
mir im Herzen“, einem norddeutschen Volkslied aus dem 19. Jahrhundert.
Die nicht ohne Grund international gefragten Musiker beweisen hervorragenden
Geschmack, Charme und Können und lassen den Hörer ihre Spielfreude
hautnah miterleben. Sie bieten eine Musik die belebt, beschwingt und zugleich
entspannt Hörenswert!
Charlotte Schick
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