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Jazzzeitung
2008/03 ::: seite 15
rezensionen
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Louis Satchmo Armstrong:
Rétrospective 1923-1956
Saga
Manchmal gelingt Jazzkundigen das scheinbar Unmögliche, zum Beispiel
das Schaffen eines für den Jazz, aber auch für die Popularmusik
im Allgemeinen so wegweisenden Künstlers wie Louis Armstrong auf
3 CDs bzw. 67 Stücke so zu kondensieren, dass man guten Gewissens
dazu raten kann, wenn jemand das Bedürfnis haben sollte, das Genie
mit nur einem günstigen Kauf „abdecken“ zu wollen. Bei
diesem einen Kauf dürfte es, sind erst einmal Neugier und Leidenschaft
geweckt, zwar nicht bleiben, doch die schönste chronologische Satchmo-Zusammenstellung,
das Satchmo-Album für die einsame Insel, ist es vielleicht doch.
Noch dazu ansprechend gestaltet mit einem 96-seitigen Büchlein,
das liebevoll mit schönen Fotos und zweisprachigen Texten (französisch/englisch)
von Daniel Nevers und Irakli versehen wurde. Es müsste schon seltsam
zugehen, wenn jemand, der sich dem Vergnügen hingibt, die Musik
zu hören und die Kommentare zu lesen, danach nicht von der Größe
des Musikers überzeugt wäre, der für die meisten ja nur
der Sänger mit den rollenden Augen ist, der „Hello Dolly“ sang.
Das war später. Die Auswahl beginnt beim ersten Solo bei King Oliver
1923 und endet aus rechtlichen Gründen 1956, im Zweiergesang mit
Ella Fitzgerald. Bis dahin hatte Satchmo schon nicht nur jeden geprägt,
der etwas mit Jazz zu tun hatte, sondern mehr Herzen tief im Inneren
berührt als es den meisten Menschen je vergönnt ist.
Louis Smith:
Here Comes Louis Smith
Blue Note Records RVG Edition
Zehn CDs der Rudy Van Gelder Edition erschienen
in diesem Frühling
bei Blue Note. Damit auch die Möglichkeit zu Überraschungen,
beziehungsweise Entdeckungen von vor einem halben Jahrhundert nachzuvollziehen.
Wie Gräber angesichts eines Riesengoldklumpens müssen sich
Alfred Lion und seine Freunde gefühlt haben, als sie ein bereits
fertiges Album eines unbekannten Trompeters abhörten, das sie – entgegen
ihrer Gewohnheiten alles selbst zu produzieren – gleich herausbrachten.
Da hatten sie 1957 einen begnadeten Solisten ins Boot geholt, den man – erst
ein Jahr nach dessen Tod – als „nächsten Clifford Brown“ vermarkten
konnte und eine Begleitband von mit allen Wassern gewaschenen Profis,
denen es hörbar Spaß machte, mit Louis Smith zu musizieren.
Parkers Pianist Duke Jordan bzw. dessen damals allgegenwärtiger
Kollege Tommy Flanagan teilten sich die Freude an den Tasten, begleitet
vom Bassisten Doug Watkins und dem Drummer Art Taylor. Hinter dem Pseudonym
Buckshot La Funke versteckte sich der gutgelaunte Altist Cannonball Adderley.
Trotz klitzekleiner Schwächen spielte Smith mit so ansprechendem
Sound und so einnehmenden Einfällen, dass man von einer großen
Karriere hätte ausgehen können. Erst vor einigen Monaten wurde
mit „Live in Newport ’58“ seine Zeit bei Horace Silver
dokumentiert. „Smithville“, ebenfalls 1958, erscheint demnächst
in Blue Notes Connaisseur-Serie.
Jutta Hipp:
Jutta Hipp With Zoot Sims
Blue Note Records RVG Edition
Alben von Jutta Hipp wiederzuveröffentlichen ist angesichts ihrer
sehr übersichtlichen, sich nur über vier Jahre erstreckenden
Diskografie besonders verdienstvoll. Die Aufnahmen mit Zoot Sims aus
dem Jahr 1956, die letzten der erst 2003 verstorbenen Pianistin, sind
legendär – doch werden sie ihr auch gerecht? Der Tenorist
passt zu ihr wie ein Seelenbruder, doch musiziert er so entspannt und
inspiriert, dass man ihm die Hauptgestaltungskraft zuerkennen muss. Ihm
tut die „live wirkende“ Atmosphäre der Studioaufnahmen
gut. Der Trompeter Jerry Lloyd ist nur ein moderater Zugewinn in einer
Band, die mit dem Bassisten Ahmed Abdul-Malik und dem Drummer Ed Thigpen
zwei damals noch nicht so bekannte, doch herausragende Rhythmusmusiker
bietet. Hipp spielt sehr hörenswert, doch um jenen Tick weniger
an Gelöstheit und Autorität, der den Unterschied macht. Sie
befand sich (nicht nur persönlich als Auswanderin) in einer Phase
des Übergangs, hatte ihre jahrelange Prägung durch Tristano
ergänzt durch eine durch neu einwirkende Hörerfahrungen, etwa
Horace Silver – eine Mixtur, die sie für die Westküste
prädestiniert hätte. Die neue Stilmischung ist noch nicht ganz
ausgereift. Dabei ist die Unsicherheit des Riesentalentes weniger zu
hören als zu spüren, vor allem wenn man die souveräneren,
früheren deutschen Aufnahmen im Ohr hat. Wir ahnen, was uns durch
das Scheitern ihrer Musikkarriere entging.
Ike Quebec:
Blue & Sentimental
Blue Note Records RVG Edition
Der in den 40er-Jahren bei Cab Calloway bekannt
gewordene Tenorist Ike Quebec schlug sich in den 50er-Jahren mit Taxifahren
und anderen Jazz-fernen
Jobs durch, bevor er 1959 beim Kultlabel Blue Note wieder eine Heimstätte
fand. Das Label hatte mit Quebec nicht nur einen Musiker an Land gezogen,
der wie die großen Alten mit seelenvollem Ton Geschichten auf seinem
Horn erzählte, er passte ebenso gut in die neue Ära des Soul
Jazz. Vor allem profitierten sie von Quebec als einem verdienstvollen
Talent-Scout, der zum Beispiel Alben von Dexter Gordon produzierte. Unter
seinen eigenen Alben für Blue Note nimmt „Blue & Sentimental“ eine
Sonderstellung ein, denn hier hört man den Musiker, der sonst meist
mit Organisten oder zumindest Pianisten ins Studio ging, ohne Begleitung
eines Tasteninstrumentalisten (bis auf ein Stück mit Sonny Clark).
Sieben der acht überwiegend aus Balladen und Blues bestehenden Stücke
wurden 1961 mit einem intimen, luftigen Traumquartett eingespielt, dem
der Gitarrist Grant Green, der Bassist Paul Chambers und der Drummer
Philly Joe Jones angehörten. Mit seinem betörenden Sound und
seiner gefühlsstarken Spielweise, einem Stil, den man irgendwo zwischen
Ben Webster und Gene Ammons ansiedeln könnte, spielt er ganz tief
aus der Soul. Zwei „bonus tracks“ ergänzen das ursprüngliche
Album. Leider starb er schon 1963 bevor er die Früchte einer einsetzenden
Popularität ernten konnte.
Horace Silver: Further Explorations By The Horace Silver Quintet
Blue Note Records RVG Edition
Warum ein Album berühmt wird, ein anderer ebenso großer Wurf
nicht? „Further Explorations“ steht anderen Horace-Silver-Alben
in nichts nach, aber es enthält eben keinen Hit aus der Feder des
Komponisten von „The Preacher“ und „Song For My Father“.
Silver schrieb, abgesehen von Arlens „Ill Wind“ alle Stücke
des Albums, hat sie aber offensichtlich kaum je wieder gespielt. Auch
wenn sie keine Standards wurden, sind sie voller faszinierender Einfälle.
Darunter sind „schwierigere“ Stücke wie „The Outlaw“ (ein
54-Takter!) und „Melancholy Mood“ (eine Folge siebentaktiger
Phrasen!) deren Bauart anno 1958 ungewöhnlich war. Untypisch im
Rückblick ist auch die kurzlebige Musiker-Konstellation mit dem
Trompeter Art Farmer, dem Tenoristen Clifford Jordan, dem Bassisten Teddy
Kotick und dem Drummer Louis Hayes. Erst ein Jahr später hatte er
die langlebige Frontline mit Blue Mitchell und Junior Cook. Auch die übrigen
Neuheiten der RVG seien wärmstens empfohlen, obgleich sie keine
Kultalben wurden wie andere Werke ihrer Urheber: Freddie Redd: „Shades
Of Redd“ (mit Jackie McLean und Tina Brooks), Stanley Turrentine: „Look
Out!“ (mit Horace Parlan), Wayne Shorter: „The Soothsayer“ (mit
Freddie Hubbard, James Spaulding, McCoy Tyner, Ron Carter, Tony Williams);
Lou Donaldson: “Here ‘Tis” (mit Grant Green) und zwei
Folgen „Jimmy Smith Live At The Club Baby Grand“ (im Trio
mit Thornel Schartz und Donald Bailey).
Marcus A. Woelfle |