Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Die Geschichte des Jazz ist stets weitergegangen. Diese Musik muss sich immer wieder neu erfinden, will sie nicht in Nostalgie erstarren. Sie tut es, indem sie sich ihrer Wurzeln versichert, abschneidet, was nicht mehr in die Zeit passt und integriert, was diese ausmacht. Jazz ist nur gut, wenn er vital bleibt und Experimente nicht scheut. Das gehört zum Prinzip Improvisation und hält es im Fluss, sorgt zuverlässig für die Übergabe des Staffelstabs zwischen den Generationen. Zwei in hohem Maße exponierte Formationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen geradezu paradigmatisch für diese Entwicklung. An zwei aufeinanderfolgenden April-Donnerstagen gastierten sie im hallischen Steintor-Varieté und es war, als würde eine neue Jazzoffensive in der Stadt eingeläutet.
Draußen Regen, Regen, Regen. Drinnen ist hoch oben ein blauer Sternenhimmel angemalt. „Europas ältestes Varieté“, marketingte die Tonband-Stimme in der Tram und der Veranstalter Steffen Wilde von subtone concerts schwärmte wenig später mit: „Die Gemeinde hat sich vergrößert.“ Es gilt, einen Weltstar anzukündigen, der den Jazz am neuen Ort in Halles „Steintor“ adeln und anschieben soll: Wallace Roney, den Trompeter, den Wiedergänger von Miles Davis, den mit drei Grammies Dekorierten, den mit eigenen Bands den Staffelstab Aufnehmenden. Immer wieder hat er fortan höchst individuell moderne Popelemente integriert, Scratches, Samples und HipHop etwa und trotzdem hat man Roney abhören können, dass ihn die beiden Jahre in Art Blakeys Jazz Messengers nachhaltig prägten. Hard Bop, da kommt er her und genau so startet das Konzert. Wunderschöne Bläsersätze fädelt er mit dem Saxofonisten Antoine Roney, seinem drei Jahre jüngeren Bruder, der zuverlässig den Geschmacksverstärker gibt. Schlicht „Jazz“ heißt Roneys aktuelle CD, denn mehr braucht es nicht, wenn zwei solche Virtuosen der schwarzen Musik anheben zu ihren Chorusrotationen. Strahlend authentische Linien, gestochen scharf, spitze Höhen und raunende Tiefen, verhangene Präzision und schwelende Lyrizismen. Leider aber stören frappierende Soundprobleme beim Begleittrio. Vor allem Schlagzeuger Eric Allen scheppert blechern und viel zu laut. Die großartigen Bläser aber werden bleiben von diesem irritierenden Abend. Jenseits von Gerhard Polt und Badesalz verortete Steintor-Impresario Rudenz Schramm beim folgenden Konzert sein Publikum: „Sie sind die Mutigen.“ Dann ließ Saxofonist Heinrich von Kalnein aus Graz seine mit anderthalb Dutzend Leuten bestückte Bigband Mann für Mann aufmarschieren. Die große Bühne stand voll, und vom Start weg sollte sich zeigen, dass Mut manchmal auch belohnt wird. Im doppelten Wortsinn in diesem Fall, denn nach einem dichten Zwei-Stunden-Konzert gingen glückliche Menschen nach Hause, die nachvollzogen hatten, warum ein mutiges Konzept das österreichische Orchester europaweit in eine unverhoffte Spitzenposition des aktuellen Jazz katapultiert hat. Bigbands haben inzwischen als imposante Schwellkörper des Jazz die
Aura des Angestaubten. Sie schmecken nach Konservatorium, sind schwer
zusammenzuhalten und ein bisschen aus der Zeit. Doch seit vor der Fletscher-Henderson-Druckwelle
getanzt wurde und das die Teamchefs Basie, Goodmann, Kenton und Ellington
fortsetzten, bilden sie mit leichtem Hang zu Größenwahn und
Schwerem, zu Disziplin und Konzept, noch immer die Königsklasse.
Aber aktuell Spannendes wächst nur, wenn konservative Kostümierungen
abgelegt werden. Weil sie das tun, sind die Grazer so weit vorn. Tatsächlich, diese Band, die sich neuerdings nur noch jbbg nennt,
steht dazwischen und macht sich dort breit aus Prinzip. Jazz und Pop,
Club und Akademie, Zeitgeist und Tradition, Organisches und Electronica
sind keine Gegensätze mehr. Kurzweilige Arrangements und darin eingebettete
Solos verschmelzen zu großer Kunst im Breitwandformat, die leicht
und eingängig ist und den Hörer nicht vergisst. Ungewöhnliche
Additionen der Elemente sorgen für diese Reformation eines Genres,
in dem plötzlich erstaunlich große Brötchen gebacken
werden. „Vor ein paar Tagen ... in der Zukunft“, heißt
das nächste Stück. „The Smile of Smiles“ dann,
ein richtiger Song nach einem Text von William Blake, könnte in
einer gerechten Welt ein Hit sein. Horst-Michael Schaffer, der zweite
Chef des Orchesters, fräst eine berückende Melodie in die Köpfe. Ulrich Steinmetzger |
|