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Jazzzeitung

2008/03 ::: seite 7

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Inhalt 2008/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 3


TITEL -
Young lions, old cats
Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Jazz-Zirkus


DOSSIER
- Jazzfestivals im Sommer (als pdf)

Berichte
50 Jahre Birdland Jazzclub in Neuburg an der Donau // Impressionen vom 23. INNtöne-Festival // Die soziale Funktion von Musik in Schulprojekten als Thema der „jazzahead!“ // 37. Moers-Festival


Portraits

Die nigerianische Sängerin Asa // Das Bundesjugendjazzorchester feierte Geburtstag // Wolfgang Haffner mit neuer Live-CD // Lee Konitz im Portrait // Pat Metheny im Interview // Titus Waldenfels // Jamie Wong-Li // …


Jazz heute und Education
Wolfram Knauer organisierte Podiumsdikussion in New York // Das Konzertprogramm der BMW-Welt in München // ...

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Eine kleine Jazzoffensive im Varieté

Die Geschichte des Jazz ist stets weitergegangen. Diese Musik muss sich immer wieder neu erfinden, will sie nicht in Nostalgie erstarren. Sie tut es, indem sie sich ihrer Wurzeln versichert, abschneidet, was nicht mehr in die Zeit passt und integriert, was diese ausmacht. Jazz ist nur gut, wenn er vital bleibt und Experimente nicht scheut. Das gehört zum Prinzip Improvisation und hält es im Fluss, sorgt zuverlässig für die Übergabe des Staffelstabs zwischen den Generationen. Zwei in hohem Maße exponierte Formationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen geradezu paradigmatisch für diese Entwicklung. An zwei aufeinanderfolgenden April-Donnerstagen gastierten sie im hallischen Steintor-Varieté und es war, als würde eine neue Jazzoffensive in der Stadt eingeläutet.

Horst-Michael Schaffer. Foto: Roland Heinrich

Bild vergrößernHorst-Michael Schaffer. Foto: Roland Heinrich

Draußen Regen, Regen, Regen. Drinnen ist hoch oben ein blauer Sternenhimmel angemalt. „Europas ältestes Varieté“, marketingte die Tonband-Stimme in der Tram und der Veranstalter Steffen Wilde von subtone concerts schwärmte wenig später mit: „Die Gemeinde hat sich vergrößert.“ Es gilt, einen Weltstar anzukündigen, der den Jazz am neuen Ort in Halles „Steintor“ adeln und anschieben soll: Wallace Roney, den Trompeter, den Wiedergänger von Miles Davis, den mit drei Grammies Dekorierten, den mit eigenen Bands den Staffelstab Aufnehmenden. Immer wieder hat er fortan höchst individuell moderne Popelemente integriert, Scratches, Samples und HipHop etwa und trotzdem hat man Roney abhören können, dass ihn die beiden Jahre in Art Blakeys Jazz Messengers nachhaltig prägten.

Hard Bop, da kommt er her und genau so startet das Konzert. Wunderschöne Bläsersätze fädelt er mit dem Saxofonisten Antoine Roney, seinem drei Jahre jüngeren Bruder, der zuverlässig den Geschmacksverstärker gibt. Schlicht „Jazz“ heißt Roneys aktuelle CD, denn mehr braucht es nicht, wenn zwei solche Virtuosen der schwarzen Musik anheben zu ihren Chorusrotationen. Strahlend authentische Linien, gestochen scharf, spitze Höhen und raunende Tiefen, verhangene Präzision und schwelende Lyrizismen. Leider aber stören frappierende Soundprobleme beim Begleittrio. Vor allem Schlagzeuger Eric Allen scheppert blechern und viel zu laut. Die großartigen Bläser aber werden bleiben von diesem irritierenden Abend.

Jenseits von Gerhard Polt und Badesalz verortete Steintor-Impresario Rudenz Schramm beim folgenden Konzert sein Publikum: „Sie sind die Mutigen.“ Dann ließ Saxofonist Heinrich von Kalnein aus Graz seine mit anderthalb Dutzend Leuten bestückte Bigband Mann für Mann aufmarschieren. Die große Bühne stand voll, und vom Start weg sollte sich zeigen, dass Mut manchmal auch belohnt wird. Im doppelten Wortsinn in diesem Fall, denn nach einem dichten Zwei-Stunden-Konzert gingen glückliche Menschen nach Hause, die nachvollzogen hatten, warum ein mutiges Konzept das österreichische Orchester europaweit in eine unverhoffte Spitzenposition des aktuellen Jazz katapultiert hat.

Bigbands haben inzwischen als imposante Schwellkörper des Jazz die Aura des Angestaubten. Sie schmecken nach Konservatorium, sind schwer zusammenzuhalten und ein bisschen aus der Zeit. Doch seit vor der Fletscher-Henderson-Druckwelle getanzt wurde und das die Teamchefs Basie, Goodmann, Kenton und Ellington fortsetzten, bilden sie mit leichtem Hang zu Größenwahn und Schwerem, zu Disziplin und Konzept, noch immer die Königsklasse. Aber aktuell Spannendes wächst nur, wenn konservative Kostümierungen abgelegt werden. Weil sie das tun, sind die Grazer so weit vorn.
„ Trancefactor“ heißt konsequent ihr erstes Stück, denn diese Musik zelebriert ein weiches Schweben, punktgenau im Fluss gehalten von Grooves, gebündelt in satten Bläsergesängen und vorangetrieben von Schlagzeuger Gregor Hilbe, der nicht nur trommelt, sondern via Laptop das Bandgeschehen einfängt und daraus gebastelte Rhythmuspattern zurückschickt. Im Bühnenhintergrund fließen Live-Visuals ineinander, vorn steht Barbara Buchholz und zaubert mit ihren Fingern zwischen den Antennen des Theremins. Es ist das seltsamste Instrument der Musikgeschichte, weil man es spielt, ohne es zu berühren. Um 1920 hat es ein russischer Geheimdienstingenieur erfunden, nach singender Säge klingt es oder wie ein ungeschickter Synthesizer – spacige Signale aus irgendeinem Zwischenreich.

Tatsächlich, diese Band, die sich neuerdings nur noch jbbg nennt, steht dazwischen und macht sich dort breit aus Prinzip. Jazz und Pop, Club und Akademie, Zeitgeist und Tradition, Organisches und Electronica sind keine Gegensätze mehr. Kurzweilige Arrangements und darin eingebettete Solos verschmelzen zu großer Kunst im Breitwandformat, die leicht und eingängig ist und den Hörer nicht vergisst. Ungewöhnliche Additionen der Elemente sorgen für diese Reformation eines Genres, in dem plötzlich erstaunlich große Brötchen gebacken werden. „Vor ein paar Tagen ... in der Zukunft“, heißt das nächste Stück. „The Smile of Smiles“ dann, ein richtiger Song nach einem Text von William Blake, könnte in einer gerechten Welt ein Hit sein. Horst-Michael Schaffer, der zweite Chef des Orchesters, fräst eine berückende Melodie in die Köpfe.
Es folgen raffinierte Spiele mit neuem Tango, afrikanischen Mustern und schlussendlich, transkribiert in Spoken Word-Poesie auf wabernden Klangflächen, Simon & Garfunkels „Sound of Silence“. Noch so eine Geschichte, die einfach weitergeht, wenn sie so in einen Jungbrunnen getaucht wird.

Ulrich Steinmetzger

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