Anzeige |
||
Anzeige |
|
Früher war das eine klare Sache: Jazzmusiker sind toughe Kerle, Präriewölfe und Machos. Sie ziehen mit ihrem Instrument wie Billy the Kid oder der Highlander durch die kalte Welt, jammen die Nacht durch und vertragen einen ziemlichen Stiefel. Weicheier und Warmduscher sind da fehl am Platz. Wenn mal eine Frau mithalten wollte – Billie Holiday zum Beispiel –, musste sie zum harten Kumpel werden, musste fluchen, pokern, saufen und raufen wie die Jungs. Im zweiten Jahrhundert des Jazz hat sich das gründlich geändert: In den Festivalberichten gehört den Frauen schon die Mehrheit der Fotos, und sogar Tzadik, die letzte zornige Festung des Avantgarde-Willens, hat inzwischen ein Sublabel für Frauen. Der Jazz verweiblicht zusehends. Er besetzt die Spa-Hotels, räkelt sich in kuschligen Kaschmir-Pullovern und durchspült die Charts als milchgeschäumte Schmuse-Compilation. Früher war Jazz Herausforderung, Innovation, Risiko und Kraftakt. Der „Female Jazz“ von heute erinnert an eine Heimstrickarbeit, an eine kreative Freizeittherapie, den Groove einer Müttergruppe. Musikmachen als Wohlfühl-Workshop zwischen Kinderspielplatz und Volkshochschulkurs: „Frauen zeigen im Jazz ihre Schwächen, und das ist ihre Stärke.“ Auch im Publikum sieht man immer mehr strickende Frauen mit Cappuccino. Die finden es richtig „süß“, wenn vier großgewordene Jungs auf der Bühne so nett miteinander spielen. Die jungen Männer wissen das längst: „Früher spielten wir Räuber und Gendarm, jetzt spielen wir Saxofonist und Trommler.“ Heftigkeit ist da ein Fremdwort, so wie Dissonanz. Wellness-Jazz ist voller Harmonie – eine Art klingende Aromatherapie mit dem gewaltfreien, rauchfreien, feinstaubfreien, weich gepolsterten und frisch desinfizierten Groove eines Jungmädchenzimmers. Rainer Wein
rainer.wein@gmx.net |
|