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Auftritt Ahmed Abdul-Malik: Als John Coltrane Ende Oktober 1961 ein zweiwöchiges Engagement im New Yorker Jazzclub „Village Vanguard“ beginnt, tauchen dort neben den Mitgliedern seines Quartetts und dem Bassklarinettisten Eric Dolphy auch der Oboe, Englischhorn und Fagott spielende Garvin Bushell sowie Ahmed Abdul-Malik auf. Ahmed Abdul Malik spielt ein Instrument, das damals in Jazzkreisen unbekannt ist, er spielt Oud, die arabische Laute. Der, die oder das (alle drei Versionen sind im Umlauf) Oud, gilt als das Hauptinstrument der arabischen Kultur, nachweisbar bereits im 7. bis zum 10. Jahrhundert, mit Sicherheit aber wesentlich älter. Der Oud, eine bundlose, gezupfte Kurzhalslaute mit abgeknicktem Wirbelkasten, kam über die Mauren nach Andalusien und mit den heimkehrenden Kreuzfahrern nach Europa und gilt als der Vorläufer der europäischen Laute wie auch der Gitarre. Zurück ins „Village Vanguard“Ahmed Abdul-Malik packt sein edles Instrument aus, beginnt zu spielen, und John Coltrane ist begeistert. Mit dem Sopransaxophon hatte sich Coltrane intuitiv auf eine imaginäre Reise in Richtung Orient begeben. In seiner Version mutierte „My Favorite Things“, eine nette Musicalmelodie von Richard Rodgers, zum beschwörenden Ruf eines Muezzins. Coltranes Sopran-Klang ähnelte dem einer Zoukra, einer arabischen Oboe, oder dem einer nordindischen Shenai beziehungsweise dem eines südindischen Nagaswaram. Bereits mit „Africa Brass“ hatte er sich der orientalischen Welt genähert, mit „Olé“ der maurisch-spanischen und mit „India“ der indischen. Er sei, sagte John Coltrane damals, auf der Suche nach einem „universalen Klang“. Das nun meinte gewiss keine Allerwelts-Mixtur, sondern die mit spiritueller Konzentration einhergehende Besinnung auf die Urkräfte der Musik, die Aufgeschlossenheit für ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen und das Interesse an den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen modalem Jazz und den Modes der arabischen wie auch den Ragas der indischen Musik. In seinem Spiel machte Coltrane damals – mehr noch als von jenen Stilelementem, die man als „sheets of sound“, als Klangflächen, bezeichnet hat – reichlich Gebrauch vom Gestaltungselement der Arabesken. Handelte es sich bei Duke Ellingtons „Jungle Style“ in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhundert um eine romantische Aneignung von Afrikanismen im Rahmen des Show-Business’, so nahm mit erstarkendem Selbstbewusstsein der Afroamerikaner, zum Teil auch parallel zu den Unabhängigkeitsbestrebungen auf dem schwarzen Kontinent, die Beschäftigung mit den afrikanischen Roots zunehmend konkrete Gestalt an. Doch auch das Bekenntnishafte spielte eine wichtige Rolle. Seit den vierziger Jahren konvertierten eine ganze Reihe von afroamerikanischen Musikern zum Islam. Ahmed Abdul-Malik war keiner dieser Black Muslims. Er wurde 1927 als Sohn sudanesischer Einwanderer im Big Apple geboren, lernte zunächst Violine, wechselte dann zum Kontrabass, spielte mit Jugendsinfonieorchestern und wandte sich dann dem Jazz und dem Rhythm & Blues zu. Abdul-Malik spielte mit so herausragenden Jazzmusikern wie Art Blakey, Randy Weston und Thelonious Monk. Mit seinem Ensemble „Middle Eastern Music“ beschäftigte er sich als erster Musiker der Jazzgeschichte mit einer Fusion aus Jazz und arabischer Musik, nun auch Oud, das Urinstrument der orientalischen Kultur, spielend. Halten wir uns an die wenigen biografischen Zeugnisse, die von Ahmed Abdul-Malik überliefert sind, taucht der Oud vor 50 Jahren erstmals im Kontext des Jazzmusizierens auf. Night And Noon In Tunisia.Eine der berühmtesten Kompositionen des Bebop, geschrieben bereits
Anfang der vierziger Jahre von Dizzy Gillespie, flirtet mit arabischem
Kolorit: „A Night In Tunisia“. Rund zwei Jahrzehnte später
kommt der Schweizer Pianist George Gruntz während eines Aufenthaltes
in Tunesien mit authentischer Beduinenmusik in Kontakt. Diese lässt
ihn nicht mehr los, erweist sich für ihn als derart inspirierend,
dass er alles in Bewegung setzt, um 1967 – mit Unterstützung
Joachim Ernst Berendts – ein Projekt mit Jazzmusikern und maghrebinischen
Musikern zu realisieren. Neben George Gruntz waren Sahib Shihab, Jean-Luc
Ponty, Eberhard Weber und Daniel Humair beteiligt. Die Tunesier spielten
traditionelle Instrumente wie Nay, Darbouka und Bendire. Die Platte, veröffentlicht
in Berendts Reihe „Jazz meets the World“ bekam den Titel „Noon
In Tunisia“. Weitere Reisen nach Tunesien, Algerien und Marokko,
weitere Begegnungen von Jazzmusikern um George Gruntz mit Beduinen sollten
folgen. „Das ‚Weltmusikalische‘ meiner Erfahrungen in
Nordafrika“, so hat George Gruntz bescheiden und warnend resümiert,
„beschränkt sich darauf, dass ein brauchbares Ergebnis nur
deshalb erreicht wurde, weil wir gar nicht erst versuchten zu glauben,
es müsse in Tunesien zu einer neuen Akkulturation kommen! Sonst wären
wir eben dort gelandet, wo in vielen unnötigen Versuchen mit der
,Universalität musikalischer Sprachen‘ sich die Ergebnisse
auf Trivialität reduziert hätten“. Wurden die fremden und doch auf seltsame Weise verwandten Kulturen zunächst mit der Seele gesucht, trafen mit John Coltrane und Ahmed Abdul-Malik Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Prägungen in einer multikulturellen Metropole zusammen, so begaben sich seit den sechziger Jahren immer mehr Musiker auf kürzere oder längere Exkursionen in andere Erdteile, um deren Kultur „vor Ort“ kennenzulernen. Neben Schwarz-Afrika rückte auch der Maghreb in den Mittelpunkt des Interesses. Don Cherry reiste nach Marokko und Randy Weston lebte gar für viele Jahre in Tanger, wo er den „African Rhythms Club“ unterhielt und mit Gnawa-Musikern zusammenarbeitete. Auch den Altsaxophonisten Ornette Coleman zog es nach Marokko. Der Musikjournalist und Klarinettist Robert Palmer hatte ihm von seiner Begegnung mit den „Master Musicians“ von Joujouka, einem Dorf im unwegsamen nordmarokkanischen Gebirge, erzählt. Und so, wie sich John Coltrane von den Klängen Ahmed Abdul-Maliks faszinieren ließ, fing Ornette Coleman Feuer an der Idee, gemeinsam mit den Musikern von Joujouka zu spielen: „Lass uns aufbrechen. Lass uns hinfahren und eine Platte machen.“ Im Januar 1973 begab sich Ornette Coleman nach Joujouka. Nach beschwerlicher Anreise und vorsichtigem Herantasten an die Klänge der Joujouka-Musiker, fand er mit diesen einen gemeinsamen Nenner in einem auf spiritueller Kraft und Magie fundierten kollektiven Musizieren. Robert Palmer berichtete: „Ornette Coleman hatte ja schon vor langer Zeit seine eigene musikalische Realität geschaffen, eine ganze Klangwelt mit eigenen Regeln und Prozessen, mit eigener Logik. Aber er war immer noch zerissen, befangen in dieser Hochkultur/Volkskultur- oder Kunst/Unterhaltungs-Dichotomie. Wenn die Leute sagten, dass er verstimmt spiele oder nichts von Struktur verstehe, dann musste ihn das einfach verletzen. Durch Joujouka hat er all das überwunden. Joujouka gab ihm seine Seele zurück, und gab sie ihm heil zurück.“ Rabih, der wundersame Wanderer.Geboren und aufgewachsen in Beirut, verließ Rabih Abou-Khalil den Libanon in den Wirren des Bürgerkrieges Ende der siebziger Jahre. Daheim hatte er arabische Musik studiert, sich zu einem Meister auf dem Oud entwickelt. In Europa folgte ein Studium der Querflöte, das ihm ermöglichte, nun aus einer europäischen Perspektive auf das Spiel mit dem traditionellen arabischen Instrument zu schauen. In beiden Welten beheimatet, erschafft er eine eigene Musik, die sich kaum mehr kategorisieren lässt. Wenn engstirnige Jazzfans meinen, dies sei kein Jazz mehr, und dogmatische Tugendwächter der reinen orientalischen Lehre, ihm Verrat vorwerfen, dann antwortet er: „Jede Tradition war irgendwann einmal hochmodern. Nur Musik, die sich auch verändert, kann eine lebendige Tradition hervorbringen.“ Offenheit als Lebensprinzip und die Kultur des Dialogs sind unabdingbar für solches Fortschreiten. Die Musik von Rabih Abou-Khalil erweist sich nur deshalb als überzeugend und als authentisch, weil sie die Erfahrungen des Weges akkumuliert hat – ein Weg, der weit mehr impliziert als die im Geographischen zurückgelegten Entfernungen. Wenn Rabih Abou-Khalil mit Joachim Kühn musiziert, „stimmt“ – in Tonsystemen gedacht – gar nichts. Entfernteres als die temperierte Stimmung des Klaviers und die Mikrotonalität des für modale Musik geschaffenen Oud ist kaum vorstellbar. Und doch entsteht Hochspannendes, weil die beiden auf einer menschlichen Ebene „harmonieren“, weil sie komptabile Lebens- und Musikerfahrungen gesammelt haben, weil sie aufeinander neugierig und willens sind, vorurteilsfrei aufeinander zuzugehen. Andere sind andere Wege gegangen: der Tunesier Anouar Brahem und der gleichfalls aus Tunesien stammende Dhafer Youssef oder die beiden Musiker des Duos DuOud, Smadj und Mehdi Haddab. So viel Oud wie im Westen der Gegenwart gab es, mit Ausnahme vielleicht des Mittelalters, noch nie. Und auch so viele Begegnungen gab es, trotz fortwährender Bedrohung durch die Ideologen eines „clash of civilizations“, noch nie. Das Spektrum der Klänge reicht von feinsten kammermusikalischen Klängen über die Magie der Sufi-Ekstasen und den Kontext elektronischer Ambient-Sounds bis zur Fusion der traditionellen Rhythmen und Skalen mit der Kraft zeitgenössischer Rockmusik und den Improvisationen des Jazz. Oud, eine Laute aus ferner Vergangenheit, avanciert zu einem der Leitinstrumente des 21. Jahrhunderts. Wohin die Reise geht? Gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen mit Respekt gegenüber der Eigenart und dem Reichtum der Kulturen. Bert Noglik |
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