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„Naah“, sagt der Kellner im Hotel Hindenburg auf die Frage, ob Saxophone das ganze Jahr die Frühstückskarte zieren. Wie er das aber sagt, passt ins einhellige „Jaah“, das es zum 27. Mal zum Standortfaktor Jazz gibt am letzten Augustwochenende der Saison im österreichischen 15.000-Einwohner-Städtchen Saalfelden. Das liegt neben dem Steinernen Meer, südlich des Berchtesgadener Landes und eine Autostunde von Salzburg entfernt.
Nachdem eines von Europas imposantesten und progressivsten Rundumevents vor zwei Jahren finanziell ins Trudeln geraten war, ist der Tourismusverband als Veranstalter langfristig in die Bresche gesprungen. Sein Leiter Christian Kresse gibt einen bemerkenswerten Satz zu Protokoll: „Kommerzielle Überlegungen sollen und werden auch in Zukunft keinen Platz in der Programmgestaltung finden.“ Und als er auf der Bühne der Congress Halle die ersten fünf Hauptkonzerte loslässt, ergänzt er: „Aufgegeben werden Briefe, nicht das Jazzfestival.“ Kunst ist, was man trotzdem macht. Also wird vier lange Tage lang ein idyllischer Bergort mit Jazz ausgegossen, wozu ein babylonisches Sprachengewirr der aus aller Welt angereisten Gäste das Grundrauschen gibt. In 35 Länder werden die meisten der 31 Konzerte ausgestrahlt. Um sie zu hören, kann man zu Almhütten steigen, ins vorbildliche Kunsthaus Nexus gehen, unters Zelt auf dem Marktplatz, in die Haupthalle, die drei Abende lang mehr als nur ausverkauft ist, oder eben auch in die ausgreifend überdachte Verpflegungsstrecke davor, wohin die Musik per Videoleinwand übertragen wird. Und spätestens wenn man dort inmitten der in Mannschaftsstärke erschienenen Einwohnerschaft hockt, wozu beispielsweise das amerikanische Brachialtrio Ahleuchatistas seinen nervös ziselierten Dampfhammerpunk berserkert, reibt man sich die Augen und sieht einen idealen Ort. Eben weil man in Saalfelden nicht auf feste Bänke setzt, ist das so. Und die regionstypische Wandererfrage „Woher – Wohin?“ gilt aus dem Stand für eine irritierende, faszinierende, sich addierende Großinventur eines kompletten Genres. Wobei das Woher eher vorausgesetzt wird, um in diversen Facetten über das Wohin zu spekulieren. Zum Rock, könnte ein Fazit lauten, denn tatsächlich wurden nicht nur überproportional viele E-Gitarren bei der Wurzel gepackt oder an diversen Enden, sondern auch diverse Spielarten von Electronica, Noise und Groove.
Da charmebolzte das Quartett des New Yorker Superdrummers Bobby Previte gar zu geradlinig sein Fest für losgelassene Luftgitarristen, während Tom-Waits-Kompagnon Marc Ribot im fantastischen Trio des Albert Ayler und Punk zusammenführenden Schweizers Lucien Dubuis mit schrundiger Ironie für einen intensiven Höhepunkt sorgte. Tags zuvor hatte im Club schon die finnisch-deutsch-amerikanische Gang Johnny La Marama unverhoffte Maßstäbe für heutigen Gitarrensound gesetzt, wogegen sich beim traditionellen Eröffnungsheimspiel Österreichs Trompeter Lorenz Raab einsam verlor vor opulentem Soundteppich aus zwei Bässen, zwei Schlagzeugen, Elektro-Hackbrett, -Zither und -Harfe. Überhaupt fielen unorthodoxe Besetzungen auf. Eine zweite Harfe zupfte Iro Haarla bei Rinne Radio, die sphärische Töne aus einem skandinavischen Märchenland brachten und schwelgend das Publikum spalteten, auf dass es sich dann nach zwei Uhr in der Nacht bei Gutbucket aus New York wieder vereinigte. Die springlebendige Band gab mit dem furiosen Streichquartett Ethel einen halsbrecherischen Parforceritt und bei den Standing Ovations danach war es fast vier Uhr. Bemerkenswert im Spiel mit den Patterns von Groove und Avantgarde-Rock war auch das Robert-Wyatt-Programm des Wieners Max Nagl und vor allem der punktgenau und stoisch insistierende Zen-Funk des Zürchers Nik Bärtsch. Kein Solo, nirgends, dafür eine imponierende Einheit repetitiver Details: minimal als maximal. Ein einziges Solo war der Auftritt des hoch gehandelten Kubaners Dafnis Prieto, dessen Band ihrem Chef beim Muskelspiel sekundierte, was man entweder druckvoll oder penetrant nennen konnte, und hinter dem leider Avantgarde-Altmeister Henry Threadgill weitgehend verschwand. Großartig aber nuancierte, akzentuierte und trieb Prietos Spiel zwei Tage später den in einsamer Konsequenz beeindruckenden Auftritt von Steve Coleman & Five Elements, die sich wie in einer gigantischen Endlosschleife tiefer und tiefer bohrten. Und das Woher zum Wohin? Abdullah Ibrahim verabreichte es allein vom Piano aus als mild gewordene Rhapsody in Black und Christian McBride als Kraftpaket im Quartett. Der immer besser werdende Tomasz Stanko ließ es brillant funkeln ohne modischen Schnickschnack und ohne jede Kopie nach Originalen. Mittlerweile und endlich ist er selber ein Original. Zwischen Elegie und spitzer Attacke changierte er und bewies in einem der besten Konzerte, dass man am stärksten ist, wenn man bei sich bleibt. Und auch seinen Pianisten Marcin Wasilewski sollte man endlich zu den Großen der Branche zählen. Ebenso wie Jason Moran, der mit seiner Band wie Sommergäste aus Harlem von einer Veranda herunter das Publikum schwindlig spielte. Moran behält den Hut auf, wenn er Blues, Ragtime, Swing und die ganze Muttersprache aus ihrem Gestern in ein Morgen hinein verwirbelt, dekonstruiert und neu zusammen gesetzt. Ein großartiger Schlusspunkt für ein ebensolches Festival oder wie es dieser aktuell wichtigste junge Pianist sagt: „Ein bisschen schmutzige Musik an diesem sauberen Ort.“ Ulrich Steinmetzger |
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