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Alles andere als ein Zufall ist es, dass Kari Bremnes ihr einziges Deutschlandkonzert in diesem Sommer in Jena gab. Obwohl inzwischen 50, ist die Norwegerin die überraschendste und vielleicht typischste Stimme innerhalb eines geradezu inflationären femininen Stimmwunders, das in den letzten Jahren zuverlässig aus dem hohen Norden kommt und die Maßstäbe für den Rest setzt. Weil Kari Bremnes sich Zeit gelassen hat weit entfernt von überdrehter Betriebsamkeit, sind ihre Songs gereift und wie Jahresringe gewachsen. Unlängst ist die neue Platte „Over En By“ erschienen
und sie fügt sich in das umfangreiche Œuvre dieser Frau, die
sich nonchalant ihren Platz zwischen Pop, Folk und Jazz erobert hat. Ihn
zu behaupten, muss sie nicht einmal mehr englisch singen, sondern kann
bei ihrer Muttersprache – dem Norwegischen – bleiben. Kari Bremnes ist eine präzise Beobachterin des Alltags, die das Gesehene zu Poesie erhöhen kann. Sie singt von Frauen an Küchenfenstern und darüber, wie die Zeit vergeht. Sie beschreibt die Angst in der Dunkelheit und das große Orchester
der Stadtgeräusche. Sie zelebriert ein paar Verse von Edvard Munch,
die sie 1993 mit Ketil Bjørnstad vertont hat. Sie fragt, ob wir
den Mond beobachten oder er uns. Sie erzählt die Geschichten zu den
Songs und hat die Songs für die Geschichten. Und just bei der Vokabel
„Regentag“ beginnen tatsächlich die Tropfen zu fallen.
Ein wenig Hall liegt über dem perfekten Sound der beiden, der wie ein Fjord ist und aus dessen Zentrum diese Stimme emporsteigt. Sie zwingt die Leute in die Bänke oder zieht sie nach vorn zur Bühne. Die Blicke spielen ins Verklärte, denn was diese schöne und elegante Frau in Schwarz zu sagen hat, hat Grazie, Stolz, Dignität und Größe. „Worte sind wie Vögel“, singt sie, „plötzlich weg, nur einige bleiben“. Von diesem Abend werden es sehr viele sein. Und als wäre das noch nicht genug für ein Wochenende, tritt am nächsten Abend Metthew Herbert und seine achtköpfige Band in Morgenmänteln, umgelegten Handtüchern und Schlafanzügen zu einer ausgeruhten Lektion im Zusammenspiel von Mensch und Maschine auf. Der Brite ist nicht einfach ein Frickler, der sein Fest von der Platte feiern will. „A Long Good Evening Will Come Soon“ seziert der Computer am Beginn. Ein leeres Versprechen, denn nach einer Stunde schon wird ein professionell kalkuliertes Spiel um die Zugaben beginnen. Doch dazwischen gibt es Party. Der Brite weiß seinen weißen Gedankenballast mit schwarzem Soul und Funk zu grundieren, der in die Beine geht. Als House-Pionier, DJ, Sampling-Akrobat, Produzent und einer der qualitätvollsten Remixer ist er britisch verkopft und amerikanisch verwurzelt in einem. Das bringt Bewegung und befremdet nur ein wenig. Es ist noch nicht lange her, dass er in seinem Manifest die Szene verunsicherte. Kein Maschinenmusiker dürfe Parts anderer benutzen, in der Techno-Szene müsse sich jeder selbst seinen Bastelvorrat schaffen. Spielt wieder, aber richtig. Deswegen die opulente Band an seiner Seite, mit der er blitzschnell interagiert. Deswegen die Nummer mit der aufs Mikro geklopften Plastikflasche, die er reaktionsschnell einspeist und verfremdend türmt, bis sich die Band darauf eingegroovt hat. Da ist das Konzert richtig gut, weil es das Prinzip dieser Musik vorführt. Und der Regen stört gar nicht. Treibende Spontansamples aus dem Stand, der Kick des Programmierers, dann Drums und Brass, Mariachi und Swing, Bossa und der gute alte Jazz. Eine punktgenaue Vorführung war das in der Mitte dieses kurzen Abends, besonders gut, weil die beiden Sänger schwiegen. Sie sind bald wieder da. Sie sind nicht Dani Siciliano, mit der Herbert lange und weit unberechenbarer zusammengearbeitet hat. Die Beine zucken trotzdem wieder und wie zum Dank werden tausend Leute Publikum gesampelt. Der Nerd und seine Herde. Doch irgendwie bleibt die Stimmung gedimmt, als wäre die Euphoriebremse angezogen. Man steht und versteht und denkt an den Abend davor. Ulrich Steinmetzger |
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