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Die Entwicklung des Jazz in Deutschland ist stark vom Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen geprägt worden. In Baden-Württemberg, Bayern und Hessen vor allem durch die amerikanischen Besatzer. Unser Autor Jörg Lichtinger hat sich mit Jazzmusikern getroffen, die im München der Nachkriegszeit für die GIs und mit ihnen gespielt haben. In dieser Ausgabe können Sie einen gekürzten Abschnitt aus seiner Arbeit „Wie der Jazz nach München kam“ nachlesen. Weitere Kapitel über die Dixieland-Bewegung, den Modern Jazz und den Münchner Jazz-Club „Domicile“ können Sie in kommenden Ausgaben der jazzzeitung lesen. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich war München nicht gerade als Hochburg des Jazz in Deutschland bekannt. Als in den 30er-Jahren in Berlin die ersten Jazzbands wie „Teddy Stauffer’s Original Teddies“ die Tanzlokale eroberten und als während des Krieges Hamburg und Frankfurt zu Zentren einer swingbegeisterten Subkultur wurden, fühlte man sich an der Isar noch mehrheitlich der deutschen Schlager- und Tanzmusik verbunden. Seltene Höhepunkte für die bayerischen Jazzfans waren Gastspiele meist ausländischer Orchester, die im Café Luitpold oder dem Regina Palast Hotel auftraten. Von einer pulsierenden Szene, wie sie Berlin hatte, konnten die Münchner nur träumen.
Das sollte sich 1945 ändern. Allerdings zunächst nicht so, wie es sich die Jazzfreunde gewünscht hatten. Auf das, was im Krieg ihr Traum gewesen war, nämlich der freie Zugang zu unbegrenztem Jazzangebot, haben viele von ihnen lange warten müssen. Unmittelbar nach Kriegsende setzte bei den Besatzern der Vergnügungsbetrieb ein und die Amerikaner suchten nach fähigen deutschen Musikern, die in den Clubs der Armee für die Soldaten spielen sollten. Viele dieser Clubs zur Unterhaltung der Besatzungstruppen befanden sich direkt in den Kasernen und die Musiker wurden mit Armeelastern dorthin gebracht. Dies war die große Stunde derer, die sich trotz des Verbots schon früh mit dem Jazz beschäftigt hatten. Neben einigen etablierten Musikern wie Ernst Jäger, Hans Rosenfelder oder Kurt Edelhagen, die bereits während des Krieges mit echtem Jazz oder der jazzbeeinflussten deutschen Tanzmusik Erfahrungen gesammelt hatten, waren es vor allem ganz junge Musiker, die den Jazz nun rasch in sich aufsogen und zu ihrer musikalischen Sprache machten. Der amerikanische Militärsender AFN war bereits während des Krieges für die alliierten Truppen eingerichtet worden und bei den deutschen Soldaten durch die eigens in deutscher Sprache gesendete „Wehrmacht Hour“ von Glenn Miller bekannt. Nun hatte der AFN Quartier in der Münchner Kaulbachstraße bezogen. Als einzige Informationsquelle unmittelbar nach dem Krieg hatte der Militärsender, obwohl seit Kriegsende nur noch auf Englisch gesendet wurde, eine Monopolstellung inne. Dadurch kam nun auch ein größerer Teil der Bevölkerung mit dem Jazz in Berührung. Die ehemaligen Feindsender-Hörer machten einfach weiter wie bisher und nutzten das Privileg, nun ganz legal ihre Musik genießen zu können. Die anderen sahen sich nun regelmäßig mit einer Musik konfrontiert, die ihnen ein paar Monate zuvor noch als Auswuchs „jüdischer Unkultur“ verkauft worden war. Nicht wenige, gerade aus der älteren Generation, lehnten den Jazz auch nach wie vor als „Negergedudel“ ab, was vor allem für die Jugendlichen unangenehm deutlich wurde, deren Elterngeneration zum Teil sehr wenig Verständnis für die musikalischen Vorlieben ihrer Sprösslinge hatte. Der Jazz tat sich weiterhin schwer, eine breite Masse in der Bevölkerung zu erreichen. Und auch die kulturelle Elite war auf den Jazz schlecht zu sprechen. Der Münchner Musikprofessor und Autor Joe Viera beschreibt den schweren Stand des Jazz in Deutschland so: „Für die einen war er nichts, weil so viele jüdische Musiker beteiligt waren, für die anderen war er nichts, weil so viele schwarze Musiker beteiligt waren und für die dritten war er nichts, weil das Ganze aus Amerika kam. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass zumindest bis 1945 Amerika und Kultur zwei Begriffe waren, die überhaupt nicht zusammengebracht wurden. Die Amerikaner waren für die Deutschen ein völlig kulturloses Volk. Die hatten eben keine Ahnung von dem, was sich da drüben abgespielt hat.“
Aber auch die Amerikaner standen weit weniger hinter dem Jazz als gemeinhin angenommen. Das amerikanische Bildungsbürgertum war ganz und gar nicht von dieser Musik begeistert, die der schwarzen Bevölkerung Amerikas so viel bedeutete. Viele der weißen Amerikaner bekannten sich eindeutig zu ihren europäischen Wurzeln und sahen im Jazz eine unreine Musik der Afroamerikaner. Somit war der Musikgeschmack der amerikanischen Soldaten und damit das Club- und Radioprogramm recht ambivalent. Während sich die schwarzen GIs zur Musik von Count Basie und Duke Ellington hingezogen fühlten, schwärmten die weißen oft für Hillbilli-, Country- oder ganz einfach Schlagermusik. Einer der Musiker in den amerikanischen Clubs war Gottfried Luber. Er und seine Jazzerkollegen mussten bei Konzerten auf die unterschiedlichen Erwartungen der GIs vorbereitet sein. „Wenn man als Jazzer in einen Hillbilli-Club gekommen ist, konnte es passieren, dass einem ein Salzfassl auf die Bühne geschmissen wurde. So ging es uns mal. Man musste schon etwas flexibel sein. Wir hatten also auch ein Notrepertoire für solche Fälle. Man konnte vom Jazz allein auch bei den Amerikanern nicht leben. Es gab ausgesprochene Jazzclubs, wo man sich freute, wenn man da spielen durfte und es gab andere, wo das eben nicht so war.“ So war die erste Phase des Münchner Musiklebens nach dem Krieg alles andere als eine reine Jazzveranstaltung. Insgesamt hatten sowohl deutsche als auch amerikanische Tanz- und Schlagermusik die größten Anteile an der Nachkriegsunterhaltung in Münchner Clubs. Junge Musiker, die heiß auf Jazz waren, mussten sich öfter als ihnen lieb war, mit seichten Schlagern auseinandersetzen. Viele der älteren Musiker wussten gar nichts mit dem Swing anzufangen und konnten ihn auch nicht spielen. Sie boten weiterhin Tanzmusik nach Art der klassischen Kaffeehausunterhaltung, die bereits während des Krieges gemacht wurde.
München war eine zerstörte Stadt und es war schwer, hier seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Glück hatte, wer für die Besatzer arbeiten konnte. Die Jobs in den Soldatenclubs waren für die Musiker eine willkommene Einnahmequelle in dieser Zeit, in der es an allem mangelte. Die schwierigen Lebensbedingungen während der Besatzung forderten von den Musikern extreme Flexibilität und ließen die Begeisterung für die Musik manchmal in den Hintergrund treten. Jeder brauchte Arbeit und man musste bereit sein, musikalische Kompromisse einzugehen, um an möglichst viele Jobs zu kommen. Das bedeutete eben auch hin und wieder Country-Musik. Wenn das Loch im Bauch zu groß wurde, verlor der Hunger nach Jazz schnell an Bedeutung. „Es hat ja überhaupt nichts gegeben“, meint Ado Schlier. „Es gab kein Brot, es war alles kaputt. Es ging vielen gar nicht ums Musikmachen. Es ging um ein Kopfkissen, um zu schlafen, um ein Zimmer, in das es nicht reinregnete.“ Das Unterhaltungsgeschäft in den Clubs war hart. Das mussten auch der junge Musiker Werner Götze und seine Bandkollegen erfahren, als sie in der Sylvesternacht 1946/47 mit leeren Mägen in einem amerikanischen Club am Ammersee spielen sollten. „Wir hatten furchtbaren Hunger und sagten dem Clubsergeant: ‚Wir spielen nicht, wenn wir nicht vorher etwas zu essen kriegen.‘ Dann stellte der sich mit der Pistole vor uns hin und antwortete: ‚Wenn ihr nicht spielt, niete ich euch alle um!‘ Dann haben wir gespielt und etwas zu essen gekriegt.“ Auf der Jagd nach Essbarem hatten es die Musiker in der Regel etwas leichter, da sie enge Kontakte zu den Besatzern pflegen konnten, die den übrigen Deutschen wegen des „Fraternisierungsverbots“ verwehrt waren. Neben den obligatorischen „Fräuleins“ waren die Musiker die Einzigen, die zu den amerikanischen Soldatenclubs Zutritt hatten. Dort wurden sie in der Regel anstatt mit Geld in Naturalien ausbezahlt. In der üblichen Zigarettenwährung oder mit Butter und Schokolade. Auf dem Schwarzmarkt wurde die „Gage“ dann meist gegen etwas anderes eingetauscht, in Essbares oder Luxuswaren wie Kleidung. „Immer wenn einer sich ,Deep in the heart of Texas‘ gewünscht hat“, berichtet Werner Götze, „kriegte man ein Päckchen Zigaretten. Und wenn man zehn Päckchen Zigaretten gekriegt hat, hatte man einen Anzug zusammen. Den Schneider konnte man davon auch noch bezahlen. Wir waren sehr schick angezogen.“ Der Kontakt zu Besatzern und Schwarzhandel bedeutete aber nicht nur Annehmlichkeiten für die Musiker. Gesellschaftlich standen sie bald auf einer Stufe mit den „Fräuleins“, deren hingebungsvolles Engagement zwar oft ganze Familien ernährte und die dennoch gemeinhin als „Schlampen“ und „Flitscherl“ verachtet wurden. Auch Werner Götze hat das zu spüren bekommen: „Jazzmusiker waren gesellschaftlich überhaupt nicht angesehen. Wir kamen gleich nach Friseuren und Huren. Das war aber schon immer so. Nach dem Motto: ,Nehmt die Wäsche von der Leine, die Musiker kommen!‘“ Über ihr Ansehen machten sich die Musiker damals aber wenig Gedanken. Schließlich brauchte man Arbeit. Die Verteilung der Jobs lag in den Händen der US-Army. Anfangs konnten die Musiker noch einfach zum Manager eines Clubs gehen, dem Clubsergeant, und fragen, ob sie spielen dürften. Bald wurde die Verteilung der Bands vom Special Service der Amerikaner in Harlaching übernommen. Von dort aus wurde koordiniert, wer wann wo spielte. Die Behörde führte sogar Buch über die Qualität der einzelnen Bands. Die amerikanischen Soldatenkneipen waren kein Ort für Zartbesaitete. Dort ging es hoch her und Schlägereien waren Tagesgeschäft. Vor allem ein Streit um die „Fräuleins“ war nicht selten auch ein guter Grund, um von der Waffe Gebrauch zu machen. Im Kellerclub Freimann warf ein wütender GI sogar einmal eine Handgranate auf die Bühne. Zum Glück war gerade Pause und so wurde niemand verletzt. Großen Respekt hatten die Soldaten allerdings vor der amerikanischen Militärpolizei (MP). Manch findiger Wirt nutzte diese Angst vor den nicht gerade zimperlichen Ordnungshütern, um Krisensituationen im Keim zu ersticken. Wenn Gäste rabiat wurden, genügte oft ein Griff unter die Ladentheke zur dort versteckten Sirene, um die Ankunft der MP zu simulieren. Danach war der Club wie leergefegt. Die deutschen Jazzhörer konnten von den Konzerten in den Soldatenclubs überhaupt nicht profitieren, denn der Zutritt blieb ihnen verwehrt. „Off-limits!“ – „Kein Zutritt!“ hieß es für Deutsche an den Eingangstüren der Clubs. Es sei denn, man hatte Beziehungen. Was in diesem Fall meistens bedeutete, man kannte ein Mädchen, das wiederum „Beziehungen“ zur Besatzungsmacht hatte, so wie Josef Werkmeister. „Ich hatte eine Freundin, die Lili, ein steiler Zahn, wie man damals gesagt hat. Die war mit einem Schwarzen zusammen, mochte mich aber nach wie vor ganz gerne. Die gab mir dann 10 oder 20 Script-Dollar, das damals übliche Zahlungsmittel für die GIs. Damit kam man auch als Deutscher in die amerikanischen Clubs rein. Nicht jeder, aber wir haben ja versucht uns anzupassen mit amerikanischer Kleidung und dem Slang, den wir imitierten.“ Die Amerikanisierung der Jugend passierte beinahe über Nacht. Obwohl die Jugendlichen sich die Besatzer während des Krieges in mancher Hinsicht ganz anders vorgestellt hatten. „Ich dachte zuerst, die Amerikaner kämen mit langen Haaren und weiten Hosen an“, erinnert sich Josef Werkmeister. „weil das die Mode unter den Leuten war, die gegen Hitler waren. Kurze Haare waren ja quasi Pflicht. Wir hatten darum eben die langen Haare. Ich kann mich erinnern, als ich als ganz junger Kerl einmal im Hauptbahnhof von einer HJ-Streife erwischt wurde. Die haben mich sofort mitgenommen und mir mit einem Zwickapparat quer über den Kopf geschnitten. Links und rechts standen die Haare noch und in der Mitte waren sie weg. Das war eine regelrechte Bestrafungsaktion. Da habe ich gedacht: ,Wartet nur, wenn die Amis kommen!‘ Und dann kamen sie. Mit millimeterkurzen Haaren. Das war das Stubblefield. Naja, dann haben wir unsere Haare eben auch so getragen. Den ganzen Krieg über hatten wir in Uniformen gesteckt. Über Nacht hat sich das alles aufgelöst. Plötzlich kamen Care-Pakete, man hat Jacketts gekriegt und diese Hochwasserhosen. Die haben wir angezogen und uns die Haare geschnitten. Wir haben ganz schnell versucht uns an die Amerikaner anzupassen.“ Mit den neuen Hochwasserhosen bewaffnet, stürmten die Ex-Pimpfe die amerikanischen Clubs, wo nach so langer Zeit endlich wieder getanzt wurde. Tanzmusik – das war der eigentliche Hauptzweck, den der Swing damals erfüllen musste. Viele der Hörer, amerikanische wie deutsche, sahen darin reine Gebrauchsmusik und waren eher begeisterte Anhänger des „American way of life“ als echte Jazzfans. Musikalisch waren sie nicht festgelegt. Es war ihnen völlig egal, ob sie zu Coca-Cola und Camelzigaretten nun Musik aus New York oder aus Nashville hörten. Hauptsache man konnte darauf tanzen. Echte Jazzfans sahen im Jazz mehr als bloße Unterhaltung. Für sie war er Lebensmaxime und Ausdruck einer Liebe zur Freiheit, die lange unterdrückt worden war. Manche nutzten den Swing, um ihren unerträglichen Lebensbedingungen für eine Weile zu entfliehen oder Erlebtes zu vergessen. Vielleicht sind die Helden dieser Zeit deshalb nach wie vor so gefragt. Die Resonanz auf die „Swing-legenden“-Konzerte mit Max Greger, Hugo Strasser und Paul Kuhn ist heute ebenso groß wie vor 50 Jahren, als die „Swinglegenden“ noch die „jungen Wilden“ waren. Max Greger gründete, nachdem er in den Bands von Toni Gaukler, Ernst Jäger und Charly Tabor seine Sporen verdient hatte, eine eigene Band und spielte im „Orlando Di Lasso“ und im „Keller-Club“ Freimann. In diesen von Schwarzen bevorzugten Clubs musste er sich wenig Gedanken um den jazzfremden Musikgeschmack weißer GIs machen und pflegte den rauen schwarzen Jump-Stil, der ihn schnell bei den Amerikanern bekannt machte. Auftrittsmöglichkeiten gab es durch die Ami-Clubs genug. Gute Musiker
waren spärlicher gesät. Deshalb kämpften die Bandleader
hart um das verfügbare Personal. Das musste auch der aus Stuttgart
zurückgekehrte Bandleader Freddie Brocksieper erfahren, wie sich
Hugo Strasser erinnert. Er wurde 1949 von Max Greger aus Brocksiepers
Band abgeworben. „Das kann man nicht als etwas Negatives sehen“,
nimmt Strasser seinen Freund Max Greger in Schutz, „denn dazu muss
man schon auch die damalige Zeit mit berücksichtigen. Es gab nämlich
nur eine Hand voll guter Musiker. Wenn da so einer wie der Greger den
Wunsch hatte, eine eigene Band zu gründen, weil er auch schon die
Möglichkeit hatte, fest in einem Club Fuß zu fassen, hat er
sich natürlich die besten vorhandenen Musiker zusammengesucht. Das
war ein ganz normaler Vorgang. Ich war dann fünf Jahre beim Max,
war aber hinterher auch derjenige, der ihm die Musiker, die er damals
hatte, weggenommen hat, als ich meine eigene Band aufgemacht und vom Deutschen
Theater meinen Vertrag bekommen habe. Da sind die meisten Musiker eben
mit mir mitgegangen: Der Max stand dann vor der gleichen Situation wie
der Freddie ein paar Jahre vorher.“ In den 40ern zeigte sich die Münchner Jazzlandschaft noch nicht voll entfaltet. Der Jazz in den Soldatenclubs wird vielfach als Subkultur betrachtet und als solche gerne verneint. Das ist verständlich, denn die Jugendlichen von damals standen oft vor verschlossenen Türen und haben das bis heute nicht vergessen. Die Tatsache, dass die Münchner Bevölkerung nicht an diesem Clubleben teilnehmen konnte, ändert aber nichts daran, dass es Jazz war, der dort in München von Münchner Musikern geboten wurde. Anfang der 50er begannen die zuvor verstreuten Gruppen jugendlicher Musiker langsam zusammenzuwachsen und die Netzwerke verdichteten sich. Gymnasiasten begannen, sich zusammenzuschließen, so dass über die Jahre endlich eine Jazzszene entstand, zu der alle, auch die Deutschen, Zugang hatten. Jörg Lichtinger |
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