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Sicher fragen Sie sich schon, was aus meiner netten Nachbarin geworden ist. Stellen Sie sich vor: Vor kurzem sind wir sogar zusammen verreist. Zum ersten Mal. Vier Tage Zürich, ein Pauschalangebot der Deutschen Bahn. Sie kennen doch Zürich? Das ist diese Stadt, wo man jeden Tag zur Eröffnung eines neuen Restaurants gehen kann. Und wo das Essen umso teurer ist, je sparsamer die Teller belegt sind. Meine Nachbarin (soll ich sagen: meine gute, gute Freundin?) hat sich jedenfalls jeden Abend ganz toll geschminkt, roch immer extrem exotisch und suchte mit natürlichem Talent die unbezahlbarsten Lokale aus. Ist doch kein Wunder, dass meine Begeisterung für Zürich ein wenig nachließ. Mit Ausnahme der Buch-Antiquariate und Second-Hand-Plattenläden. Nina’s Jazz & Blues in der abschüssigen Kirchgasse beispielsweise. Ein Plattenladen wie früher: Familiäre Atmosphäre, Jazzerfotos an der Wand, echte Plattenspieler, die auch wirklich funktionieren, sogar Jazz-Magazine lagen herum. Wie soll ich sagen: Ich fühlte mich um 30 Jahre verjüngt. Und dann die alten Vinyl-LPs: Platten, die ich vor langer Zeit mal bei Freunden gehört hatte. Platten, die mal ganz oben auf meiner Wunschliste standen. Platten, von denen ich längst vergessen hatte, dass es sie gab. Platten, bei deren Anblick und Geruch mein Herz wieder zu rasen begann. Platten, die niemals eine CD-Reissue erlebten oder erleben werden. Platten, die in keiner Diskografie mehr auftauchen. Dachten wir nicht früher: Platten sind für die Ewigkeit? In Zürich begriff ich die wahre Bedeutung des Satzes: Jazz ist improvisierte Musik. Vergänglich, ein Augenblick, ein ewig Verlorenes. Meine Nachbarin wurde dann eifersüchtig auf die Jazz-&-Blues-Nina. Klar, sie hat zu Hause nicht einen einzigen Plattenspieler. Vielleicht ist sie doch nicht die Richtige für mich? Vielleicht brauche ich eine Frau mit Second-Hand-Laden. Reiner Wein
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