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Und mag es auch noch so gewagt sein, zum Auftakt dieser Kolumne ein Geständnis: Ich habe eine Leiche im Keller. Ich bin nicht so liberal, wie es scheint. Ich bin einer dieser Alphabeten. Will sagen: Meine Platten sind alphabetisch geordnet, nach den Initialen der Namen der Künstler oder Gruppen, unabhängig von Stilen. Nach Till Brönner (Systematik „BRO“) kommt beispielsweise gleich James Brown (ebenfalls „BRO“). Mag spießig sein, hilft einem aber, Ordnung zu halten (ein Vorsatz, der natürlich nicht einen Deut weniger spießig klingt). Unangenehm wurde mir dieses ordinäre und zutiefst bürokratische System zum ersten Mal, als ich den Film „High Fidelity“ (nach dem gleichnamigen Roman von Nick Hornby) im Kino sah, in dem der Protagonist Rob – nachdem ihn seine Freundin verlassen hat – seine Plattensammlung neu sortiert, um damit stellvertretend für sein ganzes Leben Ordnung zu schaffen. Er bekommt Besuch von seinem Freund Dick, der sich nach seinem Sortiersystematik erkundigt und zum Schluss mit einem angewidert verzogenem Gesicht die elementare Frage nachschiebt: „Doch nicht etwa alphabetisch?!?” Das Kino war in diesem Moment zweigeteilt, in die Musikfreaks auf der einen Seite, die Dicks Kommentar in schallendes Gelächter ausbrechen ließ, und in die schweigenden und etwas irritiert blickenden Menschen auf der anderen Seite, denen man förmlich ansah, dass sie sich mit dem Problem einer ordentlichen Sortiersystematik noch nie auseinandersetzen mussten, da sie nur zwei CDs daheim stehen haben, eine zum Kochen und Putzen und eine zur klanglichen Untermalung des Beischlafes. Ganz schlimme Finger haben eine CD für beide Gelegenheiten. Und ich saß dazwischen, wohl als einziger im Saal peinlich berührt und irgendwie ertappt. So peinlich es mir doch gewesen sein mag, meine musikalischen Schätze pedantisch wie ein alternder Amtsrichter nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen der Interpreten einzuordnen, kristallisierte sich doch, daheim angekommen, neben einer klaren Infrastruktur – 95 Prozent der Alben waren jederzeit sofort zu finden – ein Nebeneffekt heraus, den ich beim Sortieren gar nicht im Sinn gehabt hatte und der mich bis heute in höchstem Maße erfreut: Es waren Grenzen niedergerissen worden! Zwar ist immer noch nicht ganz klar, ob man unsere allerliebste Berliner Punkband unter AE wie Ärzte oder doch eher unter DI wie Die Ärzte findet, und auch bei Nils Landgren (einsortiert unter LA) besteht die Möglichkeit, dass der ein oder andere Landgrens Band Funk Unit unter FU sucht, größtenteils jedoch findet man, was man sucht. Darüber hinaus wird der Traum einer wahrhaften Vermischung der Stile, ein Kerngedanke des Fusion der 70er- und 80er-Jahre, wahr: unseren Nürnberger Lieblingsjazzer Wolfgang Haffner (HA) trennt vom stilbildenden „Appetite for Destruction“ der genialen Rock’n’Roller „Guns’n’Roses“ (GU) nur der Weltmusiker (oder wie ein guter Freund von mir in seiner zeitweise vulgären Art gerne sagt: Ethno-Wichser) Trilok Gurtu (ebenfalls GU). Der Schönklang der 80er-Jahre, wie ihn Grover Washington Junior (WA) in seiner schmalzig-funkigsten Variante propagierte, lehnt beinahe eng umschlungen am selbstbetitelten Debütalbum der unglaublichen „Weezer“ (WE), die zwar mit fettem Gitarrenbrett eher rockig bis punkig als schmalzig rüberkommen, streckenweise jedoch noch schöner als Herr Washington Junior klingen. Die in vielen Regalen auch in unserer heutigen und scheinbar aufgeklärten Gesellschaft immer noch herrschende Apartheid hat somit in meinem Regal keine Chance, eine Ghettoisierung findet nicht statt. Auch musikalische Euthanasie ist verpöhnt, Jugendsünden wie „Bravo Hits“ (BR) stehen zwischen den jazzigen „Brasilectro“-Samplern (ebenfalls BR) und dem bereits erwähnten Trompetenjungen Till (schon wieder BR). Alles wird offener und toleranter, die Spider Murphy Gang und die Sportfreunde Stiller (beide SP und dazu auch noch beide aus München!) lächeln freundlich zu Sting (ST) hinüber, John Scofield fühlt sich neben den Scorpions (beide SC) pudelwohl und auch Cornelius Claudio Kreusch scheint sich an der Seite von Lenny Kravitz (beide KR) gut einzuleben. Bizarr wird es unter Umständen erst, wenn meine Hörspiel-CDs der „Drei ???“ (zum Einschlafen gibt es nichts besseres!), nach dem Ideengeber Alfred Hitchcock unter HI ins Regal gestellt, zwischen Jimi Hendrix (HE) und John Lee Hooker (HO) feststecken. Bin ich aber nun ein Spießer, nur weil bei mir Kenny Burrell (BU) neben den US-amerikanischen Cake (CA) steht und nicht stilgerecht neben George Benson (BE) oder Wes Montgomery (MO)? Ich denke nicht, vielleicht sogar im Gegenteil: Denn hier findet wahre musikalische Integration und Offenheit statt, was ja im Grunde auch die Maxime des modernen Jazz ist. Dieses musikalische Mestizentum muss sogar die Jazzpolizei dulden und verstehen, wenn sie nicht auf Dauer auf das Niveau einer „Jazztapo” sinken möchte. Denn, wenn wir die ganze Szene mal ganz unvoreingenommen betrachten, sind die Einzigen, die noch allen Ernstes Grenzen zwischen den Genres zu erkennen glauben wir Musikjournalisten, und das, ohne zu beachten, dass die größten Jazzer wie beispielsweise John Scofield die größten Crossover-Helden wie beispielsweise die mittlerweile aufgelösten „Rage against the Machine“ verehren und damit stilistische Abgrenzungen auf Dauer sowieso null und nichtig machen. Rob hatte sich in „High Fidelity“ übrigens dazu entschlossen, seine Platten in eine autobiografische Ordnung zu bringen. Klingt auch irgendwie interessant und vermischt im Regelfall die Stile mindestens genauso… Sebastian Klug |
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