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Ein Lächelnder betritt die Bühne. Neben seiner dunklen Kleidung trägt er eine Klarinette. Es ist ein Schamane. Ihm erklingt ein Ton: Und die Zeit beginnt von woanders her zu fließen. Es scheint als seien in diesem dämmrigen Licht nur Eingeweihte aufgetaucht. Wir sind in der Höhle einer Großstadt: die naTo ist ein kultureller Geheimplatz. Tim Hodgkinson hat immer noch keinen weiteren Ton gespielt. Jetzt spaltet sich ein Klang und der Bauch kommt hinzu. Dieser Introitus zum Konzert hat für Minuten etwas Nächtliches, Einsames. Hodgkinson hat den Ort eines anderen Kontinents mitten nach Deutschland geholt. Vielleicht einen anderen Atem. Bald darauf nimmt der nicht lächelnde Schlagzeuger Platz, rückt,
verrückt. Rappelpappel, sagt es. Wir sind im Kind. Er spielt das
Schlagzeug und dabei magische Zeit. Beschwört die Luft. Wir geraten
in einen Strom, und doch kommt alles von ihm: Ken Hyder. Ehrfurcht vor
dem Nachklang. Nik Galen steht auf, zieht sein Shirt gerade, streckt sich und – ist verlassen. Ein Tier, der Mensch zu Beginn. Seine Ursprache ist voller Charakter, aller Schmerzen und Sehnsucht. Aus dieser Stimme brechen nie vernommene Sinn-Gewalten. Galen hat etwas zu sagen. Er hat es gelernt sich auszudrücken. Uns wird klar: Dieser Mensch kommt zu sich selbst. Das moderne Publikum zahlt dafür und kann sich dann vom Kosmos erzählen lassen, ohne ein bekanntes Wort hören zu müssen. Wir finden aus der ,Geworfenheit’ (Heidegger) zurück. Musik wird zur Meditation. Wir gelangen zum Eigentlichen, in die Heimat. The Shams. Sie können uns verzaubern in die Zeit zu rücken. Galen verschwindet, seine Sprache ist versiegt. Die PA rauscht wieder. Unter der Leitung von Bert Noglik veranstaltete der Leipziger Jazzclub an diesem Wochenende ein kleines Festival, welches ausgewählte Kombinationen der britischen Avantgard Free Jazz Experimental-Szene zeigte. Neben The Shams mit Nik Galen, The Remote Viewers war auch die Formation Trap Street zu hören. Das geht dann so: Alan Tomlinson spricht uns an. Roger Turner kracht. Steve Beresford kommt mit seinem Rucksack herein, dann dreht er und schraubt. Eine komische Herrschaft beginnt. Schnell tanzt alles in dieser kleinen Welt. Die drei seltsamen, englischen Herren lassen sie wachsen. Unwichtig wohin. Wir sind ahnungslos – etwa woher sie gekommen ist. Das Einbeziehen von Alltagsgegenständen, Plastik und Spielzeugen
in das zeitgenössische Musizieren hat mittlerweile eine eigene Tradition
entwickelt. Für den Zuhörer ist es oft nicht einfach, von der
Trivialität dieser eigentlich nicht kunstwürdigen Gegenstände
zu abstrahieren und die erzeugten Klänge als Musik wahrzunehmen,
das heißt die Klangbilder als Totalität, als autonome Kunstwerke
aufzufassen. Es zeigt sich: Augen zu schließen lohnt sich noch immer.
Dann kommt Rumoren (Tomlinson), hardrockender Gabelschmerz (Turner) und
schreifende weite Felder mit Rukschkelmond am Morgen (Beresford) voran
neuer Wesen klappermühlender Gespenster. Die Musik wird pittoresk,
die Klänge witzig. Dabei genügt das Trio den Forderungen jedes
futuristischen Manifestes: Ein Hinschmettern und Wegfeuern. Straßenbahnen:
verfahren sich. Posaunentöne: rasen Geschosse. Als Sticks werden Trinkhalme benutzt, die denen an der Bar sehr ähnlich sehen. Sie rühren im Hi-Hat. Gemurmel, Geraschel, Rapeng. Turner packt die Klangstäbe eines Windspiels ein, er kann aber damit nicht umgehen. Als plötzlich jemand ungeniert telefoniert ist das O.K., wenn jemand lacht ist es angenehm. Ein Sitz knarrt. Den eigentlichen Reiz dieses Trios macht die Doppelbödigkeit von konkreter Erscheinung und autonomen, das heißt abstrakt-künstlerischem, Sinn aus. Trap Street ist selten lyrisch, sondern produziert gefahrvolle Sperrigkeit. Das Prinzip einer tumultuarischen Konferenz (EUPHORIUM_freakestra) scheint ihnen vertraut: Zerrissene Ausgänge und berstige Posaune; und dann schickt Beresford mit seinen Elektronics die Posaunenklänge in den Hall weiterer Raumschichten. Oliver Schwerdt |
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