Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
40 Minuten stehend warten müssen, nicht wissen weshalb und dann bis zur Pause ein basslastiger Sound wie vor der Erfindung des Soundchecks. Bei jedem anderen Konzert wäre das Publikum stocksauer gewesen. Nicht so bei Maria João und ihrem exzellenten Trio (Mário Laginha: Piano; Yuri Souza: Bass; Helge Norbakken: Perkussion) im Prinzregententheater. Die portugiesisch-mosambikanische Sängerin musste nur die Bühne im Pippi-Langstrumpf-Outfit – knallrotes Top, Glockenrock und Zöpfe – betreten, dem Publikum ein schüchtern-kokettes Lächeln zuwerfen – schon war das lange Warten im Foyer vergessen.
Auch musikalisch gab Maria João eindrucksvoll eine Art Pippi Langstrumpf. Die 48-jährige Künstlerin sang, lächelte und tanzte sich durch das Taka-Tuka-Land einer improvisierten, experimentierfreudigen Weltmusik. Kern des Ganzen: Maria Joãos verblüffend vielstimmiger Gesang zwischen Ton und Geräusch, Song und freier Stimm-Improvisation, bei dem sie in Sekundenbruchteilen mit der Stimme auch Identität und Rolle wechselt. Von der Kate Bush-artigen Elfe verwandelt sie sich zum raukehligen Reggae-Sänger, von der chinesischen Opernsängerin zum wütenden Bassgrantler. Nicht weniger wandlungsfähig als diese vokalen, virtuos komischen Rollenspiele fällt der Stilmix von Maria João aus: Afrikanischen Gesang, jazzigen Scat, björkeskes Englisch (über den Beatles-Klassiker „Blackbird“) und brasilianisch pulsierende Rhythmen setzt sie wie Legosteine zu einem weltumfassenden Musik-Esperanto zusammen. Und all dies so mühelos, dass sich der Eindruck einer kindlich verspielten Avantgarde vermittelt. Kinderlied und experimentelle Performance: In Maria Joãos Stimm- und Imitationskunst, die ihren Höhepunkt in einem zehnminütigen, wortlosen und sehr komischen Solo erreichte, sind das keine Gegensätze, sondern zwei Seiten der gleichen Person. Während sich Maria João jenseits aller stilistischen Einordnung bewegt und losgelöst von Ethno-Grenzen ihre eigene Weltmusik konstruiert, wurzeln die beiden Pianisten Randy Weston und Monty Alexander fest im Jazz. Gewiss: Weltmusikalisches war auch hier zu hören – bei Weston mehr als bei Alexander –, aber all das blieb eingebunden in eine Jazz-Stilistik, die vorwiegend Bluesiges kräftig zum Swingen bringt. Randy Weston im „Bayerischen Hof“. Das ist noch immer ein an der sperrigen Wucht und den torkelnden Melodien Monks geschulter Piano-Veteran, der den Jazz als „Blue Moses“ schon in den 60-er Jahren in sein gelobtes Land zurückführte: (Nord-) Afrika. Maurische Tonornamente und vertrackte Polyrhythmen der Berber brachte Weston mit labyrinthischen Be Bop-Themen und wuchtigem Blues zum Verschmelzen. Neil Clarke (Perkussion) und Alex Blake, der als Solist seinen Kontrabass wie eine Kombination aus Flamencogitarre und Perkussionsinstrument traktierte, unterstrichen die perkussive Note von Westons Pianistik, die auf der Basis des Blues eine musikalische Brücke zwischen New York und Tanger schlägt. Monty Alexanders Afrika liegt in Jamaika. Der aus Kingston stammende,
wegen seiner Mainstream-Stilistik und Vituosität oft als Oscar Peterson-Klon
geschmähte Pianist verband mit seinem fantastischen Quartett (Bobby
Thomas jr: Perkussion; Frits Landesbergen: Schlagzeug; Hassan J. J.Wiggins:
Bass) karibische Calypso-Grooves mit swingendem, bluesgetränktem,
bis zur Perfektion gediegenem Jazz. Im „Bayerischen Hof“ riss
Alexander das Publikum vor allem beim „Work Song“ aus den
Sesseln. Einhändig solierend ließ Alexander – ganz der
Showman! - die fünf Finger seiner rechten Hand wie einen Sportwagen
über die schwarzen und weißen Tasten des Flügels rasen
– perfekt phrasiert und überraschend getimet. Flexibel bis frei in der Form, zwischen modaler Abstraktion und zupackender Funkiness pendelnd, zeigten sich Hancock & Co als Meister der totalen, aber nie beliebig freien Improvisation, die es unmöglich macht, zwischen Improvisation und Komposition zu unterscheiden. Hancock setzte oft mit sich Debussy-haft, impressionistisch gebenden Klavier-Intros ein, die so klangen, als ob sie rein aus schillernden Harmonien, ganz ohne jeden Jazz-Groove bestehen würden. Den rhythmischen Anstoß gab erst Terry Lyne Carrington am Schlagzeug, deren Wechselspiel zwischen abstrakter Polyrhythmik und Hard-Bop-Funkiness perfekt zu Hancock passt, dem Ganzen aber auch eine muskulöse Jazz-Rock-Prägung verleiht. Mit wachen Ohren und sattem Ton gab Scott Colley am Kontrabass den Form-Bewahrer, der stets den Überblick wahrt. Und Bobby Hutcherson? Die besten Momente hatte der Vibraphonist, wenn er sich auf einen Call-and-Response-Dialog mit Hancock einließ, was zeitweilig so klang, als ob eine Person gleichzeitig Vibraphon und Flügel spielte. Etwas abseits stand Hutcherson, wenn Hancock, Carrington und Colley die höchsten Improvisationshöhen erklommen, ihr Spiel sich in reine Interaktion auflöste. Dann lauschte selbst Hutcherson wie ein Außenstehender, dem es trotz größten Könnens und größter Sensibilität nicht gelingt, zu den Improvisations-Geheimnissen eines phänomenal aufeinander eingespielten Trios vorzudringen. Claus Lochbihler |
|