Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Jazz kann heute jede Emotion besetzen. Deshalb kann Jazz alles, auch Oper! Der das postuliert, ist kein geringerer als George Gruntz, einer der wenigen auch in den Vereinigten Staaten anerkannten Jazzer aus Europa. In den ersten Tagen des August brachte Gruntz zusammen mit der NDR Big Band sowie acht improvisierenden Sängern die Jazzoper „The Magic of a Flute“ im mondänen Schweizer Ferienort Gstaad zur Uraufführung. Die deutsche Premiere folgte drei Tage später in Hamburg.
Obwohl sich Gruntz nach eigenem Bekunden nicht für Oper interessiert (O-Ton: „Das Opernpublikum wäre besser bei James Last aufgehoben.“), beschäftigt ihn das Musikdrama spätestens seit seiner Zeit als musikalischer Leiter am Zürcher Schauspielhaus (1970 bis 1984). „The magic of a Flute“ ist bereits seine dritte Jazzoper: 1982 debütierte er am New Yorker Off-Broadway Theater La Mama Ect. mit der „World Jazz Opera“ und 1988 wurde „Cosmopolitan Greetings“ – eine Gemeinschaftsproduktion mit Allen Ginsberg, Robert Wilson und Rolf Liebermann – an der Hamburger Staatsoper uraufgeführt. Sein neuestes Musiktheater, das jetzt in Gstaad und Hamburg konzertant aufgeführt wurde, hat eine ganz eigene – und bereits ziemlich lange – Vita. Während Gruntz die Musik erst in den vergangenen neun Monaten schrieb, stammt die ursprüngliche Idee aus den Siebzigern. Rolf Liebermann, damals Intendant der Hamburger Oper, hatte Musik und Libretto für eine Jazzoper bei George Gruntz und Peter O. Chotjewitz in Auftrag gegeben. Chotjewitz verfasste von den einzelnen Akten der Zauberflöte Synopsen, diese im Gepäck flog Gruntz nach Greenwich Village N.Y., um in der dort für Furore sorgenden Slam Poetry Szene einen Autor fürs Libretto zu „entdecken“. Drei Monate quartierten sich Gruntz und seine Frau in New York ein und betrieben poetische Feldforschungen. Das Resultat war, dass Gruntz nicht einen, sondern elf Autoren für seine Arien fand, neun davon wurden jetzt, drei Jahrzehnte später, tatsächlich von ihm vertont. Wie fand nun das Projekt den Weg aus den Lofts und Künstlerkneipen von Greenwich Village in das 1.800 Plätze fassende Zelt des Yehudi Menuhin Festivals in Gstaad. Zunächst einmal gelang es Liebermann in seiner Hamburger Zeit nicht mehr, die Jazzoper auf die Bühne zu bringen, eine Verzögerung nach der anderen folgte, 30 Jahre gingen ins Land. Doch „The Magic of a Flute“ blieb in der Versenkung, bis George Gruntz 2002, in seinem 70. Lebensjahr, zum Composer in residence des Yehudi Menuhin Festivals berufen wurde. Dies war nicht nur eine Ehrung für einen bedeutenden Schweizer Komponisten, Interpreten und Musikimpresario, sondern auch ein Zeichen, unter dem Label „21. Century Renaissance“ der Gegenwartsmusik und deren Anhängerschaft im etwas museal gewordenen Nobelfestival einen festen Platz zu verschaffen. Für die Saison 2003 gaben das Menuhin Festival Gstaad und sein neuer künstlerischer Leiter N. F. Müller die Jazzoper „The Magic of a Flute“ bei Gruntz in Auftrag. „The Magic of a Flute“ war im Festival einen Tag vor einer konzertanten „Zauberflöte“ mit Solisten hauptsächlich aus dem Zürcher Opernhaus und dem Kammerorchester Basel unter David Stern programmiert. Doch außer einer kurzen Passage mit Alt-Blockflöte findet sich kaum noch ein Bezug zur Vorlage. Das rührt daher, dass die Libretto-Autoren von Chotjewitz zwar eine Synopsis der Handlung bekamen, jedoch ohne Hinweis darauf, dass es sich um die „Zauberflöte“ handelt. Die einzelnen Arien untertitelte Gruntz nachträglich mit Original-Zauberflöten-Arien: Aus der „Bildnis-Arie“ wird die „Aria of the Photo Book“, aus „Der Vogelfänger bin ich ja“ wird ein „Son of the Junk Man“, aus „In diesen heiligen Hallen“ „Humanity & Love“ oder aus „Ein Mädchen oder Weibchen“ „My Father tried to buy Happiness with Money“. Peter O. Chotjewitz konzipierte vor drei Jahrzehnten eine moderne Paraphrase auf die „Zauberflöte“: Es geht um Macht, Erotik, Homo- und Bisexualität. All das glaubte Chotjewitz auch bei seinem Quellenstudium in Schikaneders Text verschlüsselt vorgefunden zu haben. Die Handlung von „The Magic of a flute“ ist ähnlich krude wie die in Schikaneders Libretto: Zudem wartet die Jazzoper noch auf den Regisseur, der sie dramaturgisch anspruchsvoll in Szene setzt. Ohne Bühnengeschehen treiben allein die dynamische Musik von George Gruntz – die allerdings für ein Singspiel zu komplex ist und manchen der Festivalgäste erstmals mit modernem Jazz konfrontierte – sowie die Virtuosität und Persönlichkeit von Sängern und Intrumentalisten die Handlung voran. Hervorzuheben ist hier vor allem Marcelino Feliciano in der Rolle des Pep (wie der Name, so die Interpretation!), Lauren Newton als neurotisch-virtuose Pamina und Ian Shaw als lyrischer Jazz-Tenor. Jedem der Gesangssolisten hatte Gruntz die Musik auf den Leib geschrieben, nach der Devise: Zuerst der Interpret, dann die Musik. Im Jazz, wo Gesangskunst viel mehr von der Individualität der Sänger lebt, ist das von zentraler Bedeutung. Namen wie Mark Murphy, Renée Manning stehen hier bereits für eine ganze Empfindungswelt. Und wenn Sandie Wollasch und Yvonne Moore, beide in den Rollen von Edel-Prostituierten, ihre jeweiligen Temperamente ausspielen, dann wird die konzertante Aufführung für kurze Zeit zu einer szenischen. Die unterschiedlichen Charaktere der Story boten Gruntz Gelegenheit, seine Vielseitigkeit und vor allem seine nach wie vor ungebrochene Vitalität unter Beweis zu stellen. Der Komponist griff nicht auf die kostspieligen amerikanischen Musiker seiner George Gruntz Concert Jazz Band zurück, sondern hatte die NDR Big Band engagiert. Die führten wieder einmal vor, dass sie nicht nur eine einstimmige Big Band, sondern auch eine Band der Solisten sind. Jazz kann auch Oper, man will George Gruntz da nicht widersprechen. Doch bei aller Faszination: Ihren Weg auf die Opern- und Schauspielbühnen muss die dritte Jazzoper von Gruntz noch machen – erst in einer szenischen Version wird sie wirklich zeigen, was Jazz kann. Andreas Kolb |
|