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Braucht die Welt eine weitere Bill-Evans-Box? Ich möchte mit einem vorsichtigen Ja antworten, ohne ein paar editorische Einwände zu verschweigen. Zur diskografischen Situation: Seit den unvermeidlichen 12 CDs mit den Complete Riverside Recordings, die vor 14 Jahren die Ära der Werkausgaben im Jazz einläuteten, erschienen 18 CDs The Complete Bill Evans On Verve, 8 CDs The Secret Sessions (Live-Bootlegs aus dem Village Vanguard), 9 CDs mit The Complete Fantasy Recordings, schließlich 6 CDs Turn Out The Stars The Final Village Vanguard Recordings, June 1980. Die hier vorgestellte Neuerscheinung The Last Waltz datiert vom September desselben Jahres. Dieselbe Besetzung interpretiert identisches Repertoire, nur leider in deutlich schwammigerer Tonqualität (das entfernte Schlagzeug, der verstärkte Bass!) als die professionell konservierte WEA-Box Turn Out The Stars. Eine überdeutliche, in Zeiten von NoNoise und anderer digitaler Aufbereitungsmethoden überflüssige Rauschfahne überzieht das Geschehen. Überdies hätte der Inhalt der acht unter einer Stunde langen CDs bequem auch auf sechs Silberlingen Platz gefunden (was den Verkaufspreis gesenkt hätte). Weiterhin wird wie schon bei der WEA-Box an keiner Stelle deutlich, nach welchen Kriterien die CDs zusammengestellt wurden: Weder handelt es sich um eine Versammlung der bloßen Highlights aus neun Tagen Engagement in San Franciscos Keystone Korner, noch um eine Komplettedition, da das Evans-Trio bestimmt mehrere Sets pro Abend gespielt hat (Lief das Band etwa nicht immer mit?). Schließlich ist die Angabe 65 previously unreleased performances schlicht falsch: Unter dem Titel Consecration erschienen bereits in den Achtzigern zwei noch lieferbare Timeless-CDs mit Kostproben dieser Mitschnitte. Genug gelästert, kommen wir zu den Positiva. Vorausgeschickt sei eine persönliche Bemerkung: Während alle Welt seit vierzig Jahren auf die legendären LaFaro/Motian-Livealben At The Village Vanguard und Waltz For Debby schwört sie revolutionierten ohne Zweifel das Triospiel und dokumentieren bis heute nicht übertroffenes, traumwandlerisch-telepathisches Verständnis , habe ich meinen Zugang zu Evans vom Ende her gefunden. Sein letztes Studioalbum We Will Meet Again mit dem jungen Trompeter Tom Harrell und dem heute vergessenen Larry Schneider an den Saxophonen sowie dem Rhythmusteam aus dem schon damals grandiosen Marc Johnson und dem unterschätzten Joe LaBarbera war mein Evans-Initiationserlebnis; es folgten die reinen Trioscheiben His Last Concert In Germany und das zweiteilige Paris Concert (das die WEA dringend wieder auflegen sollte). Spät erst fand ich wirklichen Zugang zum Frühwerk, das mir auch heute noch so vorkommt, als wäre es musikalisch weniger reich, ärmer an innerer Spannung und von geringerer Gefühlstiefe (obwohl alles andere als seicht) als die und hier muss ich pathetisch werden dem nahenden Tode abgerungenen Momente reiner, fast überirdischer Schönheit. Bar jeder Sentimentalität und frei von Eitelkeiten, sind die Mitschnitte von einer lebensbejahenden Frische, ja strahlenden Heiterkeit beseelt, die man einem Drogenwrack, das Evans zu diesem Zeitpunkt längst war, nicht unbedingt zugetraut hätte. Dringend hatten ihn Ärzte und Freunde zu einem Krankenhausaufenthalt geraten, aber Evans, der seit dem Freitod seines geliebten Bruders Harry mit der Möglichkeit seines eigenen Ablebens stärker rechnete als zuvor daher We Will Meet Again , wollte seine verbleibende Kraft ganz dem Musikmachen widmen, auch wenn ihn diese Strapazen schneller unter die Erde brachten als nötig. Unter diesem Aspekt betrachtet ergeben weitere sechs bis zu zwanzig Minuten dauernde Fassungen von Nardis einen tieferen Sinn: Jenseits der ausführlichen Solokadenzen der Triomitglieder könnten sie inhaltlich kaum unterschiedlicher sein. Evans wurde dieses Stückes, das er schon auf Turn Out The Stars aus allen nur erdenklichen Richtungen eingekreist hatte, niemals müde; einmal bekannte er dem Publikum, es sei für ihn wie Therapie allerdings keine, die ihn zu heilen vermocht hätte, wäre hinzuzufügen. Er meinte wohl eher so etwas wie eine innere Katharsis. Aber wenigstens musikalisch wurde alles noch einmal heil, und das bedeutet im Wortsinne ganz, vollständig. Was die handwerkliche Qualität seines Spiels und die Höhe seiner Inspiration anbelangt, hat Bill Evans bis zuletzt kein Mitleid gebraucht. Und, man glaubt es kaum, so geswingt wie auf seinen letzten Aufnahmen (eine Woche vor seinem Tod!) hat er zuvor nur selten. Diesen ausgelassenen Totentanz, bei dem er dem Sensenmann noch einmal eine lange Nase dreht, sollte man sich nicht entgehen lassen. Mátyás Kiss platten-tippBill Evans: The Last Waltz. The Final Recordings Live At Keystone Korner, September 1980. Milestone/Fantasy/Zyx 8MCD-4430-2 |
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