Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Anlässlich des 500-Jahre-Jubiläums in Brasilien sind im Laufe dieses Jahres einige bislang schwer erhältliche Platten der brasilianischen Popmusik als CDs wiederveröffentlicht worden, vornehmlich aus den späten 60ern und 70ern. Sie sind Zeugnisse des kulturgesellschaftlichen und politischen Tumultes, der zu der Zeit Brasilien durchrüttelte, ausgelöst durch den Militärputsch 1964. Die ihm folgenden Repressionen trafen natürlich auch die Popmusiker des Landes.
Die neuen Stars Caetano Veloso und Gilberto Gil benutzten 1967 die beliebten Musikfestivals, um ihr eher konservatives Publikum vor den Kopf zu stoßen. Unter dem Einfluss der zeitgenössischen Kunstszenen in Sao Paulo und Rio De Janeiro traten sie eine Bewegung los, die sich über ein bilderstürmerisches, ironisches Gemisch weltweiter Kulturäußerungen definierte. Musikalisch war es vor allem die hemmungslose Verquickung von Bossa Nova, Samba, Rock und Avantgarde, die damals erst einmal Ärger machte, die aber bis heute die brasilianische Música Popular Brasileira (MPB) bestimmt. Tropicália, den titelgebenden Song der Bewegung, hatte Veloso schon auf seinem Debütalbum Caetano Veloso (Emarcy 8385572) veröffentlicht. Ebenso Alegria, Alegria, das Lied, für das er auf einem jener großen Musikfeste, dem TV Record Festival, ausgebuht wurde weil es zu sehr nach Rock klang und seine Band auch noch Os Beat Boys hieß. Außerdem ließ er sich plötzlich für seine Texte von den Fragment-Ideen eines Jean-Luc Godard inspirieren, während Gal Costa ihre Karriere als Beatmädchen startete, Gil wiederum psychedelische Klänge entdeckte und die Band Os Mutantes zur Inkarnation einer wilden kalifornischen Hippiekapelle mutierte, gerne auch englischsprachig. 1968 nahmen sie alle gemeinsam das zentrale Album Tropicália auf, ein Manifest voller Pauken und Trompeten, mit unerhörten Orchesterexperimenten, eingängigen Hits und Aufbruchparolen. Leider ist nun nicht dieses Original, sondern nur die Zusammenstellung Best Of Tropicália (Emarcy 5463922) erschienen. Sie enthält zwar allein fünf Stücke vom Original, gibt aber natürlich nicht den Flow des Konzeptes wieder. Die restlichen Songs rekrutierte man aus den diversen Solo-Alben dieser Zeit. Enthalten ist auch Gilberto Gils Lied Domingo No Parque, den er unter dem Einfluss des Beatles-Songs A day in the life schrieb: Das war für mich der Mythos in jener Zeit. Das Stück stammt von seinem ebenfalls 1968 erschienenen Album Gilberto Gil (Emarcy 5428132), das sich streckenweise wie eine brasilianische Weiterverarbeitung der Sgt. Peppers-Platte anhört. Und man beachte nur einmal die schmucke, bunte Uniform, in der sich Gil für das Cover abbilden ließ. Die Militärregierung war ob dieses Bruchs in der Populärkultur verunsichert und steckte sowohl Veloso als auch Gil 1969 erst einmal für ein paar Monate ins Gefängnis (von wegen aufwieglerisches Verhalten). Später traf es auch selbst als unbescholten geltende Volkshelden wie den Bossa Nova-Komponisten Antonio Carlos Jobim oder den begehrtesten Popstar der 60er, Chico Buarque: Weil sie eine Petition gegen die Zensur unterzeichnet hatten Daraufhin begann der Exodus. Gil und Veloso zogen sich nach London zurück, Buarque nach Italien, Os Mutantes nach Paris. Als zwischen 1970 und 72 die meisten wiederkehrten, hatte sich die Tropicália-Euphorie zwar gelegt, aber ihr Einfluss war auf beinahe jeder weiteren Veröffentlichung dieser Jahre zu spüren: Die musikalischen Knospen begannen zu blühen. 1971 erschien beispielsweise Chico Buarques geheimnisvolles, komplexes Meisterwerk Construcao (Emarcy 8360132) voller versteckter, poetischer Klagen über das alltägliche Leben im Brasilien unter des Militärs. Und ein Jahr später veröffentlichte Gilberto Gil Expresso 2222 (Emarcy 5428142), das Album, das so homogen wie kein anderes die brasilianische Popkultur mit den Errungenschaften aus Rock und Beat, die Gil im Londoner Exil exzessiv ausgekostet hatte, bereichert hat. Mit den unterschiedlichsten klanglichen Facetten wurden im Laufe der Zeit die verschiedensten MPB-Musiker zu Stars, darunter Elis Regina, Joao Bosco oder Caetano Velosos Schwester, Maria Bethania. Für einige mehr, für andere weniger, war es immer wieder ein Balanceakt. Das etwas freizügigere Cover von Gal Costas Album India (Emarcy 5149942) wurde zensiert, oder Lieder wurden zeitweilig verboten, wenn das kritische Potenzial hinter der Poesie der Lyrics bemerkt wurde. Erst mit dem durch die Aufhebung der Ausnahmegesetze eingeleiteten Demokratisierungsprozess im Jahre 1979 wurden diese Repressionen weitgehend eingestellt. Seit 1985 sind die Militärs nicht mehr an der Macht. Stefan Raulf ServiceWeitere Titel aus der Reissue-Reihe im Vertrieb von Universal Jazz: |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|