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Jazzzeitung

2013/01  ::: seite 16

rezensionen

 

Inhalt 2013/01

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene /Jazz-ABC: Massimo Urbani no chaser: Projektwolken

Sternlein TITELSTORY: Raus aus der Talsohle?
Zur Jazzförderung in Bayern

Sternlein GESCHICHTE -
Daddy Plays the Horn
Gedanken zum 90. Geburtstag des Saxophonisten Dexter Gordon (1)

Sternlein DOSSIER/Jazzförderung -
Volle Fahrt voraus
Die Perspektiven der LAG Jazz in Bayern e.V. nach ihrem Vorstandswechsel
Jazz als Kulturgut begreifen
BR-Jazz-Redakteurin Beate Sampson im Gespräch über Jazzförderung
Weitere Artikel zum Thema

Sternlein Berichte
Das 2. Birdland Radio Jazz Festival in Neuburg an der Donau //„Winterjazz“ in Köln

Sternlein Portraits / Jubilee
Saxophonist Yuri Honing // Saxophonistin Nicole Johänntgen //Die italienische Sängerin Anna Lauvergnac

Sternlein Jazz heute und Education
Peter Herbolzheimer European Jazz Academy in Trossingen 2012 //Das Landes-Jugendjazzorchester Bayern auf Sizilientournee // Abgehört: Rasant und intensiv:
John Coltranes Solo über „Giant Steps“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Neue CDs – Rezensionen

Pablo Held Trio
Live

Pirouet Records – PIT3066

Lange ersehnt – nun liegt sie endlich vor, die erste Live-Aufnahme des Trios Held-Landfermann-Burgwinkel, aufgenommen im Jazz-Club „Bird’s Eye“, Basel. Schnörkellos, direkt und unprätentiös kommen die drei daher und spielen ausschließlich Kompositionen aus Pablo Helds Feder. Aber was heißt hier schon Kompositionen? Titel sind bei diesem Trio Schall und Rauch. Getreu ihrem Motto „auf der Suche nach Neuem müssen wir uns in unbekannte Territorien vorwagen“ beginnt die Aufnahme mit Helds „Klartraum“, in dem, während sich das Stück entwickelt, bereits Reminiszenzen an „Joni“ und „Log Lady“ einfließen, ohne Themen auszuspielen, denn „Joni“ folgt in der Mitte des Sets als eigener Titel. Selbst „Birkenhain“ ist mehr ein Gerüst als Originalkomposition, und in dem Schlusssong „Meloday“ werden wiederum Themen/Fragmente von „Corellia“ und „Meta“ aufgenommen, ohne sich zu wiederholen. Es ist mehr als mutig, sich musikalisch dergestalt zu präsentieren. Man hätte es sich leicht machen (der Band und dem Hörer) und auf bewährtes Material zurückgreifen können. Doch diese Option reizt die Musiker nicht im Geringsten. So fordern sie nicht nur sich selbst, man muss sich auch als Hörer auf dieses Spielkonzept einlassen, wird dann für das aufmerksame Hören voll belohnt. Helds massiver Einfluss in der Jazzszene ist nicht mehr wegzudenken. Er und seine Mitstreiter haben sich von Hoffnungsträgern des Genres zu absoluten Garanten in Sachen Jazz-Trio entwickelt. Respekt – davon wollen wir gerne mehr!
Thomas J. Krebs

Peter O’Mara
My Time

Marangani 006

Ohne extreme dynamische Pegel wird „My Time“ von Peter O‘Mara zu einem Hörerlebnis, das fürs introvertierte Sensorium bestimmt ist. Was nicht unbedingt Balladen-Tempo bedeutet. Denn der in Sydney (Australien) geborene, seit zwanzig Jahren in München lebende Gitarrist hat zwar eine Neigung zu lyrischem Stil, aber oft, wie beim schmeichelnden „Waltz For Vivien“, mit ironischer Distanz zum Sujet, indem gerade hier Schlagzeuger Matthias Gmelin das Dreier-Metrum geschickt verschleiert. Oder Henning Sieverts intensiviert die Wahrnehmung des Akkord-Gefüges von „Round Midnight“ durch ein verlangsamtes Bass-Rubato so, dass dieser allzu bekannte Standard von Thelonious Monk ein ganz ungewöhnliches Zeitempfinden bekommt. Typisch fürs Repertoire ist deshalb insbesondere „Maratime“, dessen Riff und Swing in sich sehr flexibel strukturiert sind: zunächst perkussiv von Tim Collins am Vibraphon vorangetrieben, dann von O‘Mara in raffinierten harmonischen Digressionen bis an die Grenzen des tonalen Zusammenhangs modifiziert. Ebenso wird die „Last Chance“ rhythmisch so weit ausgelotet, dass sie nicht als vergeblicher Wunsch, sondern fast real erscheint. Selbstsicher ist Peter O‘Maras „Movin‘ On“, nämlich in filigranen melodischen Entwicklungen, für die er mit seiner E-Gitarre nahezu unendliche und stets unerwartete Phrasierungen und Timbres bereit hat. Für solche zeitenthobenen Exkursionen ist die Besetzung dieses Quartetts ideal, weil sie mit Peter O’Mara in perfekt balanciertem Gruppensound bestens konvergiert.
Hans-Dieter Grünefeld

Paulo Morello/Tizian Jost/Erivelton Silva
Afternoon in Rio

In + Out Records

Seit Paulo Morello vor gut zwölf Jahren beim Zwischenstopp von einer Argentinienreise zum ersten Mal in Rio landete, hat ihn die Faszination der Stadt am Zuckerhut und ihrer Musik nicht mehr losgelassen.
Mit „Afternoon in Rio“ bekennt sich der Oberpfälzer Gitarrist zu seiner gar nicht heimlichen Liebe, die er in diversen weiteren Aufenthalten unterm Zuckerhut noch vertiefen konnte. Gemeinsam mit dem ebenfalls Brasilien-infizierten Münchener Pianisten Tizian Jost an Orgel und Fender Rhodes sowie dem von beiden gleichermaßen geschätzten Drummer Erivelton Silva und zeitweise unterstützt von Dudu Penz, b, Wolfgang Lackerschmid, vib, dem alten Brasilien-Reisegefährten Kim Barth, fl, sowie Hendrik Meurkens, harm, lässt Morello die Vorstellung einer Sonnenterasse in Rio erstehen: Förmlich in der Luft liegen Melodien und Rhythmen, deren natürliche Leichtigkeit ihre vielschichtige Komplexität und stilistische Bandbreite nicht vergessen macht, sondern in idealer Balance von musikalischem Genuss und lässigem Anspruch unterstreicht.
Groove und Inspiration tragen die Songs, bis auf „Rebulico“ von Hermeto Pascoal, „Você vai ver“ von Tom Jobim und „Noites cariocas“ von Jacob de Bandolim abwechselnd aus der Feder Morellos und Josts, repräsentieren in virtuoser Adaption ein einzigartiges Lebensgefühl und die wunderbar swingende Vielfalt brasilianischer Musik, nicht nur für einen Nachmittag!
Tobias Böcker

Maximilian Geller
Alpenglühen

Ozella

Die alpine Volksmusik hat es Maximilian Geller angetan. Schon auf dem Album „Alpenrosen“ von 2011 vernahm man folkloristische Klänge; der Nachfolger heißt nun „Alpenglühen“. Geblieben ist die ungewöhnliche Besetzung: Saxophonist Geller versammelt den Südtiroler Akkordeonisten Herbert Pixner, den brasilianischen Perkussionisten Marco Lobo sowie eine kraftvolle Piano-Bass-Schlagzeug-Fraktion. Aufmerksamkeit erregt vor allem der charismatisch swingende Pianist Walter Lang. In dieser Gesellschaft entdeckt Maximilian Geller, ein aus Basel stammender Wahlmünchener, die Volksmusik seiner Kindheit: Ländler und Jodler, Walzer und Wiegenlieder, die nicht das Geringste mit der schunkelnden Nostalgie eines Hansi Hinterseer zu tun haben. Von den Folklore-Melodien lässt Geller sich zu eigenen Stücken inspirieren, denen er anschauliche Titel wie „Wasserfall“ oder „Bergfex“ beigibt. Sein Spiel an Sopran- und Altsaxophon ist geschmeidig und elegant, strahlt aber manchmal eine aalglatte Perfektion aus. Es handelt sich um ein sonniges, optimistisches und eingängiges Album. Die Musik, die manchmal durchaus Ohrwurmqualität hat, rollt ohne Ecken und Kanten dahin. Wobei es wiederum ein Kunststück darstellt, aus Alpenfolklore, genuinem Jazz und Latino-Rhythmen ein stimmiges Amalgam zu schaffen. Hier gehen Akkordeon-Blues und Samba-Rhythmen Hand in Hand. Der Jodler tänzelt auf federnden Synkopen; dem weltläufigen Cha-Cha-Cha folgt ein derber bäuerlicher Tanz. Der Hörer bekommt Heimweh und Fernweh zugleich.
Antje Rößler

Benjamin Garcia Quartet
Red Peace

Mojacar Music 2012

Bassist Benjamin Garcia versammelt in seinem Quartett tonangebende junge Jazzer vornehmlich aus der umtriebigen Kölner Szene, nämlich Christoph Möckel auf dem Saxophon sowie den überaus gefragten Pianisten Pablo Held und einen der profiliertesten Nachwuchs-Schlagzeuger aus deutschen Landen, Jonas Burgwinkel.
Auf dem Debutalbum auf Garcias neuem Label Mojarcar Music wird die Kunst der lyrischen Verinnerlichung und der atmosphärischen Klangreise gepflegt. Gelassen, ja freundlich und mit weitem Atem geht es hier zur Sache – und es ist gut nachfühlbar, dass die entstandenen Stücke vom Unterwegssein auf Reisen inspiriert wurden. Denn die Mischung aus beständig neuen Eindrücken gepaart mit einer gewissen Entrücktheit vom Alltäglichen kreiert jenen Flow, der hier im Zusammenspiel dieser Band so viel Leichtigkeit und Gelassenheit aufkommen lässt. „Red Peace“ als Titel passt – zumal die Farbe Rot auf dem Coverfoto auch einen optischen Wiedererkennungseffekt markiert. Eine südländische Halbwüstenlandschaft entfaltet unter einem bewegten Himmel ganz viel Dramatik – man möchte hier gern sofort campieren und die Seele baumeln lassen. Den Klanglandschaften des Benjamin Garcia Quartetts liegt auf jeden Fall ein sattes Potenzial an spielerischer Finesse, Fantasie und Einfühlungsvermögen zugrunde.
Stefan Pieper

Charlotte Ortmann
Ride On

HGBS Musikproduktion (20028 CD)

Mit der Wahl ihrer beiden Mitmusiker hat die Flötistin Charlotte Ortmann Kontraste geschaffen: der tiefe, erdige Bass neben der Höhe ihres eigenen Instruments, das Drumset als Konstante in Rock- und Popmusik neben der vor allem in der klassischen Musik traditionsreichen Querflöte. Doch nicht nur in der Instrumentierung, auch stilistisch steckt die CD „Ride On“ voller Gegensätze – ein quicklebendiger Tanz durch unterschiedliche Idiome des Jazz und zeitgenössischer Jugend-Musik; Elemente aus Rock, Metal, HipHop und Drum’n’Bass treffen auf moderne Spielweisen des Jazz und jede Menge Improvisation, wobei das Rhythmische oft im Vordergrund steht. Lauter hübsche, sehr persönliche Kompositionen hat Charlotte Ortmann geschrieben, voll von Einfällen und unerwarteten Wendungen. Das Titelstück „Ride On“ beispielsweise beginnt mit einem simplen discoähnlichen Beat und einer rhythmisch variantenreichen Melodie, woraufhin ein Interlude im 7/8-Takt zu einem zweiten Melodieabschnitt im Medium-Swing überleitet. Der anschließende Soloteil beginnt im doppelten Tempo und wechselt schließlich zwischen den verschiedenen Grooves. Charlotte Ortmann nutzt die Möglichkeiten elektronischer Klangverfremdung, legt mal einen künstlich erzeugten zweiten Ton auf ihre Querflöte oder lässt sie klingen wie eine verzerrte E-Gitarre. Diese CD ist ein mutiges und vielseitiges Stück Musik einer bemerkenswerten jungen Künstlerin.
Julian Schunter

Vogelperspektive Vol.4
Intensivstation

Boomslang Records 2012

Der Schlagzeuger Alfred Vogel braucht die urbane Hektik der Musikmetropolen nicht, um Gutes reifen zu lassen. Vom idyllischen Bregenzerwald aus zieht er die kreativen Fäden mit seinem eigenen Label Boomslang Records – und er begann vor zwei Jahren mit dem Aufnehmen von spontanen Sessions. Aus diesen wurde eine fortlaufende CD-Reihe, die er „Vogelperspektiven“ nennt. Der Titel für dieses Album „Intensivstation“ zielt auf die intensive Reibung ab, die entsteht, wenn drei kompromisslose Instrumentalisten ihre Fantasie freisetzen. Dass sowas nur ohne „Zähmung und Vorausplanung“ funktioniert, ist Alfred Vogel besonders wichtig. Also entstanden die vier langen Stücke direkt beim ersten Zusammentreffen in dieser Konstellation.
Mysteriöse Geräuschwelten markieren zu Beginn einen Zustand des Suchens –mit aufgellenden Clustern der E-Gitarre, einem bedrohlichen Zischeln von Becken und anderen Metallen. Dann verbreiten Phrasen auf einem Fender Rhodes einen gewissen Retro-Futurismus. Es entwickelt sich eine überkochende Spielfreude, in der rasant peitschende Bass-Schlagzeug-Figuren alles und mit betont rockiger Erdung mitreißen – hinein in hoch verdichtete Zustände aus kollektiver Improvisation und sprühenden Ideen-Diskursen. Sinnlich, brachial und post-rockig geht es also auf dieser Intensivstation zu. Man soll hier hören und eintauchen, weniger beschreiben oder kategorisieren.
Stefan Pieper

Helmut Kagerer Solo
About Birds And Bees

Acoustic Music (Rough Trade) 319.1503.2

Leise rauscht der Polytone im Hintergrund… Als säße man im Privatkonzert ein paar Meter vor Helmut Kagerer und seiner sehr akustisch eingefangenen Gibson-Gitarre – so klingt dieses herrlich relaxte Soloalbum. Joe Pass, Pat Martino und Kagerers einstiger Mentor Attila Zoller: Das sind Anknüpfungspunkte, von denen aus Kagerer seine ganz eigene Art entwickelt, auf nur sechs Saiten den ganzen harmonischen, melodischen und rhythmischen Reichtum des gewählten Repertoires zu entfalten. Von Zoller stammen neben der recht flott angegangenen Titelnummer „About Birds And Bees“ noch das zwischen Dreiertakt und geradem Swing changierende „Ulla’s Memory“ und das abschließende „Peace Tune“, bei dem sich Kagerer ganz an die Version hält, die er von Zollers Auftritten in Erinnerung hat. Über die fein harmonisierten Klassiker aus dem American Songbook hinaus (darunter „Someone To Watch Over Me“ und „Embraceable You“) setzt Kagerer mit Pat Martinos folkigem „Country Road“, Chaplins „Smile“ und einem wunderbaren Bach-Intro zu „My Funny Valentine“ (dritte Double aus der h-Moll-Violinpartita) kleine stilistische Akzente, um in Coltranes „Giant Steps“ richtig loszulegen: Ein Zitat aus „Moment’s Notice“ dient ihm als Sprungbrett für eine grandiose Single-Note-Kaskade, die sich in den anschließenden Akkordblöcken wieder verdichtet. Smile!
Juan Martin Koch

Grünes Blatt
Thirteen Ways

Unit UTR 4291

Ein rumänischer Folksong, der oft mit den Worten „Foaie verde – grünes Blatt“ beginnt, wendet sich überwiegend der Natur zu – und nicht den Menschen, die in dieser Natur hausen und von ihr leben. Auf die Grundlagen des Lebens reduziert, zeigt sich auch das musikalische Rüstzeug der dreizehn Songs des Albums „Thirteen Ways“ des Schweizer Quintetts um den Kontrabassisten Dominique Girod und der rumänischen Sängerin Irina Ungureanu. Das Quintett überrascht mit nicht auf Traditionslinie liegenden Interpretationen, wie etwa in „Mult-ma-ntreaba frunzangusta“ mit dem hektisch-treibenden Beat von Bass und Gitarre. Der Song entwickelt sich zu einem niederwalzenden Dauerfeuer aus zweimal wiederholten Zeilen über ein Mädchen und seine Bereitschaft, zehn Paar Stiefel zu verschleißen, um mit dem Liebsten mitzugehen. Der Rhythmus setzt sich schnell im Kopf fest, verankert durch die steigernden Intervalle und der krachenden Trompetenfanfare zum Ende.
Dazu bildet „Rêve sans fin / ni trêve à rien“ nach einem Poem von Samuel Beckett einen nahezu einschüchternden Kontrast. Nach dem chaotisch-avantgardistischen „Interlude“ und dem im Slidegitarrenstil interpretierten „Haulita de la Gorj“ und weiteren wechselvollen Songs leuchtet am Ende „Thirteen Ways of Looking at a Blackbird“ in nahezu barocker Färbung.
Klaus Hübner

Lajos Dudas
Live at Porgy & Bess

JazzSick Records 2013
www.jazzsick.com

Mit „Live at Porgy & Bess“, einem Mitschnitt aus dem Jahr 2009, schafft Lajos Dudas wieder einmal die Gratwanderung vom avantgardistischen hin zum angenehm-melodiösen Jazz. Im Opener „Soft Waves“ beginnt Gitarrist Philippvan Endert mit sphärischen Akkordklängen in der Machart eines Allan Holdsworth, die auf seltsame Weise entrückt wirken, wie von einer fernen Welt. Die mehr als fünfzehnjährige Zusammenarbeit mit Dudas ist deutlich hörbar, sein Spiel harmoniert perfekt mit dessen virtuosem Spiel, das hier von flotten Lines mit einem Hauch Klezmer zeugt. „Hommage to O.P.“ nähert sich dem Swing, Dudas zelebriert dabei gekonnt den Wechsel zwischen atonalen Gefilden und „simply Jazz“. Dennoch wirkt nichts wie ein Fremdkörper im Spiel des Trios, auch Bassist Leonard Jones sorgt mit seinem akzentuierten Spiel gelegentlich für kleine Highlights und liefert ein solides Fundament. Die Gitarre erinnert hier an Wes Montgomery, bleibt aber dennoch eigenständig. Überhaupt lässt Dudas seinen Kompagnons trotz eigener Virtuosität viel Luft zum Atmen. Neben bekannten Stücken wie „Embraceable You“ (Gershwin) und einer relaxten Version von „Night and Day“ (Porter) sticht besonders das letzte Stück ins Auge: „Back to L.A.“ bestätigt Robben Fords Satz „The Blues is a big house“. Van Endert versetzt hier mit seinem fetzigen Sound à la Scofield Fusion-Freunde in Ekstase, harmoniert aber trotzdem gut mit Dudas doppelzüngigem Spiel. Den Modernisten freut es genauso wie den Traditionalisten.
Siavosh Sadedin

Andreas Kaling
As If There Was A Tomorrow

JHM 212 CD / www.jazzhausmusik.de

„Der Mond ist aufgegangen“: Statt eines statisch grinsenden, vergreisten Sandmannes sieht man heute einen schicken schlanken Mitfünfziger im leuchtenden Erdtrabanten. Leicht gebeugt vom Gewicht seines mächtigen Instruments, eines Bass-Saxophons, bläst er uns ein ums andere Mal hinreißende Ständchen. Gewitzte Adaptionen alter Volks- und Kirchenweisen, hauptsächlich eigene Stücke und zwei Coverversionen, „Grave-yard“ der kanadischen Sängerin Feist und den im Original wie als Cover kühn groovenden Song „People“ von King Crimson – Andreas Kalings Debütalbum ist eine überwältigende Entdeckung. Ist die Tuba, vergleichbar dem Bass-Saxophon eine randständige Existenz im Chor musikalischer Tonerzeuger, schon vor rund zwanzig Jahren als Soloinstrument entdeckt worden, hat Kaling diese Aufgabe für den exotischen Tieftöner der Sax-Familie übernommen. Unter gänzlichem Verzicht auf technische Hilfsmittel bringt er den Klangreichtum und seine musikalischen Ideen überzeugend mittels Zirkularatmung, perkussiven Klappen- und einer zweiten (und dritten) gesungenen Stimme zur Geltung. Dabei offen-
bart sich ein ungeahnter Klangraum, den Kaling durch experimentell erarbeitete Spieltechniken und Improvisationsfarben aufs Originellste präsentiert. Neben einer selbstreferentiellen Lehrstunde in „Knowledge is the beginning“ und dem entschlossenen Aufbegehren von „Death – No Death“ gehört das intime „Pass-over“ zu den emotionalsten Stücken des in jeder Hinsicht großartigen Albums.
Michael Scheiner

Orioxy
The Other Strangers

Unit UTR 4400

Tasten, fühlen, greifen. Der helvetisch-israelische Vierer findet nachvollziehbare Handgreiflichkeiten, extravagantes Klangmaterial zu „erfinden“: Sprache. Sie erscheint relativ unspektakulär, macht jedoch den Unterschied aus zwischen vertonter Lyrik und schöpferischem Spracherfindungsreichtum.
Wie dann über all dem eine auf das Wesentliche reduzierte Musik ausgebreitet wird: Orioxy nimmt sich Zeit, dem Klang die angemessene Fließgeschwindigkeit zu geben. Auf diesem entschleunigten Soundteppich entzündet sich die ausdrucksstarke Gesangsstimme von Yael Miller, deren traumhaft-bildgewaltige Akzentuierungen von der noch mehr Entspannung liefernden Harfe von Julie Campiche angestrahlt werden. Im Rhythmus zarter Schlagzeugpatterns von Roland Merlinc und Manu Hagmanns kommentierender Bassschleifen entfalten sich außergewöhnlich markante Klänge. Eine besondere Entdeckung ist zweifellos der Titel „Tfila/Ben Azra“, der sich aus zwei Gedichten von Heinrich Heine zusammensetzt: „(Lied)“ und „Der Asra“. Im letzteren heißt es: „Und der Sklave sprach: Ich heiße/ Mohamet, ich bin aus Yemmen,/ Und mein Stamm sind jene Asra,/ Welche sterben, wenn sie lieben.“ Provozierend schön wandelt die Musik durch die ausgefeilt notierten Zeilen, die Harfe schafft eine Atmosphäre des Wohlklangs und der Gefahrlosigkeit. Wie ein heller Lichtstrahl in totaler Dunkelheit erhellt „The Other Strangers“ die unendliche Farbpalette genreüberschreitender Musik.
Klaus Hübner

Maria de Fatima
Stella

Pirouet PIT 3068

Weniger ist mehr, wie so oft! „Das Wichtigste muss gesagt werden: das, was wir an diesen Stücken schön finden.“ Maria de Fatima bekennt sich bewusst zur Reduktion.
Ihre Stimme steht ganz im Dienst des ästhetischen Kerns von Text und Melodie, schafft Atmosphäre gerade dadurch, dass sie sich sehr ernsthaft auf die Lieder als solche konzentriert. Obwohl bereits ihre Mutter Stella, deren Namen die CD trägt, Sängerin war, kam die Portugiesin erst relativ spät zur Musik, dann umso konsequenter. Nach dem Studium in Hilversum kam sie nach Oldenburg, wo sie seit langem lebt und an der dortigen Musikschule sowie an der Hochschule für Künste in Bremen lehrt. Maria de Fatima, die 2010 den BMW Welt Jazz Award errang, verfügt über einen sehr klaren, fokussierten Alt mit schlankem, reinem Timbre und überaus kultivierter Modulation. Ihre Liebe gilt dem Jazz, dem Bossa Nova und der sehnsuchtsvollen Melancholie des Fado. So reicht das Programm der CD über Klassiker der brasilianischen Musik hinaus. Nicht zuletzt zwei Eigenkompositionen, „Roda Viva“ und „Angústia“ beeindrucken in behutsamen Interpretationen, in denen die Gänsehaut wie von selbst durch die Konzentration aufs Wesentliche, durch die Pausen, durch achtsame Detailtreue in großem Vertrauen auf die Kraft der Lieder selbst entsteht. Die so zurückhaltende wie einfühlsame Begleitung von Sebastian Altekamp am Piano und Nicolas Thys am Bass lässt diese Wirkung umso stärker hervortreten.
Tobias Böcker

Ron Carter & Golden Striker Trio
San Sebastian

In & Out 77103 / inakustik

Gäbe es auf dem Album nicht den halb versteckten Hinweis, dass Ron Carter beim Jazzaldia Festival kurz vor dem Konzert den Donostiako Preis erhalten hatte, wüsste man nicht, dass diese Live-Aufnahmen mit dem Golden Striker Trio im baskischen San Sebastian 2010 gemacht wurden. Dieses kleine diskographische Versäumnis schmälert allerdings nicht das hervorragende Niveau der Musik, womit der Meisterbassist und seine kongenialen Partner Mulgrew Miller am Klavier und Russell Malone an der E-Gitarre das Publikum begeisterten.
Denn in dieser exquisiten Klangkonstellation servierten sie bei „Candle Light“ in dichtem polyphonen Interplay eine sanfte Ballade als Aperitif zu einem Gala-Menü, wozu eine dezente Version des unverwüstlichen Broadway-Musical-Hits „My Funny Valentine” gehörte. Außer bei solchen Standards blieben auch in Originalen von Ron Carter wie in der zum Lokalkolorit passenden „Saudade” (Sehnsucht) die Gefühle gedimmt. Erst mit dem „Samba de Orpheu” sprießte optimistische Vitalität, indem Ron Carter quasi im Alleingang durch eine äußerst virtuose Kadenz die finalen Akkordsequenzen zu einer ausgedehnten Stretta hinauszögerte. Von solcher Energie aufgeladen konnte das Trio dann elegant mit den Swingmustern in „The Golden Striker” jonglieren. Besser noch als im Audioformat dokumentiert der TV-Mitschnitt diese in vielen Finessen schimmernde Hommage an den Modern Jazz in absolut kultivierter Bühnenpräsenz. So hat das Golden Striker Trio einzigartige Noblesse erreicht.
Hans-Dieter Grünefeld

 

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