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2012 war Yuri-Honing-Jahr – wieder einmal. Der holländische Tenor- und Sopransaxophonist glänzte nicht nur mit seinem aktuellen Album „True“, sondern durfte sich auch über den renommierten Boy-Edgar-Preis freuen. Saxophonist Yuri Honing. Foto: Challenge Records/Merlijn Doomernik Ende der Neunzigerjahre hatte er seinen Durchbruch: „Star Tracks“ hieß das Album. Schon dieser raffinierte Titel sorgte damals für einiges Aufsehen und Schmunzeln. Vor allem aber waren es die „Tracks“ der „Stars“ selbst, die aufhorchen ließen: Popsongs nämlich von Größen wie Björk, Cyndi Lauper, Sting, Abba, Green Day. Denn Popsongs als Jazzmaterial waren 1996 noch keineswegs Alltagsware. „Ich war der Erste, der damit anfing“, sagt Yuri Honing selbstbewusst. „Ich denke, ich habe in dieser Hinsicht eine Menge zum Jazz beigetragen: Ich habe sein Repertoire erweitert mit meinen Alben ‚Star Tracks‘ und ‚Sequel‘. Die Popsongs sind das Repertoire, das uns berühmt gemacht hat.“ Vor allem in den Niederlanden, seinem Heimatland, und im nahen England, der Heimat der Popmusik, hatte das Yuri Honing Trio damit großen Erfolg. „Von diesem Augenblick an standen uns alle Bühnen offen. In Großbritannien hieß es sogar, ich sei der neue Messias des Jazz.“ Dabei hatten Yuri Honings Pop-Adaptionen so gar nichts Reißerisches, Provokantes oder virtuos Auftrumpfendes an sich. Im Gegenteil: Sie sind ausgesprochen zurückhaltend, sparsam und gedämpft. Bass und Schlagzeug spielen nur das Nötigste. Und der Tenor- und Sopransaxophonist Honing ist auch nicht gerade bekannt dafür, überflüssige Töne zu produzieren. Zwar steckt Leidenschaft in seinem Spiel, das ja, aber es ist eine kühle, kontrollierte Leidenschaft mit vielen beredten Pausen und einem trancehaften Sog. An dieser Beherrschtheit erkennt man Yuri Honing – und an seinem sauberen, eisklaren Sound. „Wenn mich die Leute mögen, dann hoffe ich, dass es wegen dieses Sounds ist“, sagt er. Honings Saxophonklang und seine meditative Sparsamkeit im Spiel erinnern zuweilen frappant an seinen Kollegen Jan Garbarek. Der Durchbruch mit den Pop-Adaptionen hatte bei Yuri Honing zunächst einmal zu einer kreativen Explosion geführt. Um die Jahrtausendwende herum erkundete er kurz hintereinander ganz verschiedene, widersprüchliche Terrains. Er machte ein romantisches Sextett-Album zum Träumen („Memory Lane“), schlug beherzt eine Brücke zwischen Jazz und arabischer Musik („Orient Express“) oder traf sich mit den amerikanischen Top-Musikern Paul Bley, Gary Peacock und Paul Motian zu einer strengen, hellwachen Quartettsession („Seven“). Am meisten beachtet wurden jedoch seine Begegnungen mit Misha Mengelberg, dem um 30 Jahre älteren Abenteurer und Schalk am Klavier. „Misha ist so etwas wie ein frischer Luftzug in einer stickigen Wohnung“, lobt Honing die Inspirationskraft des Avantgarde-Veteranen, mit dem er freies, undefiniertes Klanggelände erkundete. Die Konstante in Yuri Honings Karriere ist sein Trio. Vor mehr als 20 Jahren fanden er, der Bassist Tony Overwater und der Schlagzeuger Joost Lijbaart zusammen. In dieser luftigen Besetzung ohne Harmonie-Instrument erforschten die drei die Welt der Pop-Tunes – darunter auch Roberta Flacks „Killing Me Softly“ oder Blondies „Denis“ – und adaptierten brasilianische und arabische Inspirationen. Das Trio bildete außerdem die Basis für Quintett- und Sextett-Besetzungen, die sich im Lauf der Jahre ergaben. „Wenn du fest zusammenbleibst, gelingt es mit der Zeit, zu tieferen Ebenen der Kommunikation vorzudringen“, erklärt Yuri Honing die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Overwater und Lijbaart. „Und wenn du gut befreundet bist, macht es das ewige Auf-Tour-Sein wesentlich erträglicher.“ Nach den Trendsetter-Alben „Star Tracks“ (1996) und „Sequel“ (1998) kam das pure Trio allerdings erst wieder 2004 auf einem Tonträger zum Zuge: „Alive“ dokumentiert einen ganz besonderen Konzert-auftritt in Amsterdam. „Für ein Publikum agieren wir einfach total anders“, glaubt Honing. „Das Ganze ist intensiver, riskanter gespielt und leidenschaftlicher – und hat auch mehr Rhythmus.“ Der Wunsch nach mehr Intensität und Rhythmus konzentrierte sich kurz danach in einer neuen Formation: Wired Paradise. Mit ihr hat Honing inzwischen bereits drei Alben vorgelegt. Und wie der Name der Band andeutet, betritt der Saxophonist hier elektrische Klangwelten. Neben seinem bewährten Trio gehören nämlich gleich zwei E-Gitarristen zu Wired Paradise: der deutsche Saitenzauberer Frank Möbus (Der Rote Bereich, Azul, Erdmann 3000) und der niederländische Rockgitarrist Paul-Jan Bakker (Kane, Anouk). Das Ergebnis dieser elektrischen Erweiterung ist ein mal zupackender, mal stimmungsvoller, aber immer fesselnder und bühnenwirksamer Jazzrock-Stil. Honings ganz besondere Qualitäten kommen aber auch in diesem Umfeld zum Tragen: Die Themen erheben sich hymnenartig, das Saxophon phrasiert mit atmenden Pausen, alle Leidenschaft bleibt höchst ökonomisch und zielgerichtet. Das aktuelle Album „True“ nun könnte man als eine überfällige Synthese beschreiben. Die in Berlin produzierten Aufnahmen verbinden in gewissem Sinn die Differenziertheit des langjährigen Trios mit der zupackenderen Art von Wired Paradise und vereinigen damit zwei wichtige Aspekte von Yuri Honings musikalischer Persönlichkeit. Schon die Besetzungsgröße – ein Quartett – schlägt Brücken zwischen der kleinen und der etwas größeren Band. Die Instrumentierung ist zwar akustisch, aber Bass und Schlagzeug orientieren sich definitiv an Spielweisen aus der elektrischen und elektronischen Musik. Dem Pianisten Wolfert Brederode gelingt es dabei, die harmonische Füllung der Räume sparsam und unberechenbar zu halten. Hörbar inspiriert diese fein austarierte Mixtur Yuri Honings klares, melancholisches Spiel und bringt es ideal zur Wirkung. Natürlich sind auch diesmal wieder Pop-Adaptionen zu bewundern: Goldfrapps „Paper Bag“ und David Bowies „Bring Me The Disco King“. Aber die hypnotische Intensität der Musik entspringt nicht dem Material, sondern dem meditativen Fluss, einer raffiniert inszenierten Melancholie. Yuri Honing ist ein Meister des effektiven Understatements. Hans-Jürgen Schaal |
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