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Jazzzeitung
2013/01 ::: seite 5
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Gesang aus dem Herzen
Die italienische Sängerin Anna Lauvergnac im Gespräch
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„Anna singt aus ihrem Herzen“, hat Sheila Jordan einmal über Anna Lauvergnac gesagt. Dass ihre Stimme daher auch die Herzen der Menschen berührt, belegt ihr aktuelles Album „Unless There’s Love“ (Alessa Records ALR 1020) mit gänsehautverdächtigen Interpretationen eher selten gesungener Standards.
Sängerin Anna Lauvergnac
JazzZeitung: Du bist vor allem als langjährige Sängerin des Vienna Art Orchestra bekannt geworden, hast aber ursprünglich ganz andere Dinge gemacht.
Anna Lauvergnac: Bevor die Musik Zentrum meines Universums wurde, erhielt ich ein Diplom als Grundschullehrerin und studierte drei Jahre Psychologie. Zum Lebensunterhalt arbeitete ich als Barkeeper, Babysitter, Privatlehrer; ich habe handbemalte T-Shirts für Kinder produziert, war Fotomodell, Tellerwäscherin, arbeitete in einer Zimmerei, in einem Pub in London, ich war Garderobiere, verkaufte Bücher und Werbung, war als Helferin für behinderte Kinder in der Grundschule beschäftigt.
JazzZeitung: Und wie sind dann die Musik, das Singen und der Jazz ins Spiel gekommen?
Lauvergnac: Die Begegnung mit dem Jazz war wie ein Moment der Erleuchtung, der dein Leben für immer verändert. Es waren der Sound und die Emotion, die ich suchte. Jazz ist Musik, die unter die Haut geht, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt, weil sie Tiefe und außergewöhnliche kommunikative Kraft besitzt. Ich hörte Charlie Parker mit „Lover Man“ in einer Nachtsendung. Die erzählerische Kraft des Sounds und der Phrasierung Parkers haben mich mit solcher Kraft berührt, dass ich plötzlich weinen musste.
Da es in meiner Heimatstadt Triest nur wenig Jazz gab, haben ein paar Freunde und ich begonnen, Konzerte und Seminare zu organisieren. Ich habe die Programmgestaltung eines kleinen Clubs übernommen. Der Gesang kam dazu, als drei Musiker, die in einem kleinen Restaurant spielten, mich ein paar Songs singen ließen, ohne dass wir es geprobt hätten: ein Sprung ins eiskalte Wasser.
Ich denke, die Fähigkeit zu kommunizieren ist abhängig von der Notwendigkeit, dies zu tun, und ich fühlte stark dieses Bedürfnis. Es ist eine Form emotional-expressiver Dringlichkeit, die dich zwingt, einen Teil deiner Seele bloßzulegen. Das machen Musiker, auch Tänzer, Maler, Schriftsteller, Schauspieler…, in ihrer Kunst etwas zu suchen, das sich der Wahrheit nähert, und es an die Oberfläche zu bringen, um es anderen anzubieten.
JazzZeitung: Dann hast du ja studiert.
Lauvergnac: Ich war entschlossen, keinen Lehrer zu finden, sondern einen Meister. Ich hatte auch das Glück und die Ehre, bei Jazz-Größen zu studieren: Reggie Workman, Barry Harris und im Gesangssektor Jay Clayton, Mark Murphy, Andy Bey, Sheila Jordan. Als Studentin in Graz teilte ich die Wohnung unter anderem mit Claus Raible und Claus Koch.
JazzZeitung: Der Pianist Claus Raible begleitet dich auch mit Giorgos Antoniou und Steve Brown auf Deinem aktuellen Album „Unless There’s Love“.
Lauvergnac: Unsere musikalische und menschliche Verbindung währt schon seit über 20 Jahren. Ich glaube, Claus spielte nie auch nur eine Minute wie ein Student, sondern schon immer wie ein Musiker. Für Claus ist Musik das, was Spiritualität für einen Mystiker ist: die Wahrnehmung des Absoluten, die Verbindung mit etwas Gewaltigem, Höherem. Wer sein Spiel hört, kann wohl nicht umhin zu spüren, dass es in Tiefe, Stärke und Intensität außergewöhnlich ist. Claus spielt mit ganzer Seele und dabei passiert dem Hörer etwas, dass sich dem Gefühl nähert, dass wir empfinden, wenn wir Zeuge eines Wunders sind… Es lässt dich das Absolute wahrnehmen.
JazzZeitung: Was bedeuten Dir die neue CD und die Gruppe?
Lauvergnac: Sie aufzunehmen war ein sehr intensives Erlebnis. Wir haben eine konzentrierte Arbeit gemacht, die von Aufrichtigkeit und Liebe zur Musik und viel gegenseitiger Respekt getragen ist. Ich glaube, wenn in der Musik Leidenschaft, Emotion und Kommunikation ist, ist sie auch eine wirklich universelle Sprache, unabhängig von Geschlecht und Stil. Die Reaktion des Publikums ist etwas, das du auf der Haut fühlst, und da habe ich auch bei allen bisherigen Konzerten eine außergewöhnliche emotionale Beteiligung herausgespürt.
Ich glaube, dass unser Quartett die Fähigkeit hat, emotional zu kommunizieren, mit absoluter Ehrlichkeit und der Bereitschaft, sich ganz zu geben. Die menschliche und musikalische Beziehung zu Giorgos Antoniou und Steve Brown (der seit einigen Monaten unser neuer Drummer ist) ist ebenfalls magisch. Es gibt eine starke Bindung der Musik und des Herzens. Die Freude des Zusammenseins kommt der des gemeinsamen Musizierens gleich. Diese Gruppe ist wirklich meine Jazzfamilie, sie sind meine Brüder, meine besten Freunde.
JazzZeitung: Nicht alle wissen, dass du einen großen Teil deiner Zeit und deiner Kraft zur Hilfe armer und kranker Menschen in Asien einsetzt.
Lauvergnac: In Indien kümmere ich mich um die Menschen, die ich treffe, Erwachsene und Kinder. Ich bin eine Art Referentin einer Gemeinschaft von Einwanderern und arbeite mit einer Nichtregierungsorganisation namens ChildRescue zusammen, die Straßenkindern und Kindern hilft, die sonst in unmöglichen Bedingungen leben würden. Indem ich Musik und soziale Solidarität verbinde, habe ich unter dem Titel „For The Children“ in Goa bisher fünf Ausgaben eines Benefiz-Konzertes organisiert.
Interview und Übersetzung aus dem Italienischen: Marcus A. Woelfle |