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Es ist nicht so, dass er heute noch unbedingt auf die Bühne müsste. Doch sie lässt ihn nicht los: Für sechzig bis siebzig Tage pro Jahr verlässt Paul Kuhn sein Schweizer Domizil auf der Lenzer Heide, einem bekannten Skigebiet. „Ohne Musik wäre mein Leben leer. Ich gehe gerne auf die Bühne, es macht mir einen Riesenspaß“, dies sagt der ehemalige SFB-Tanzorchester-Chef derart gelöst, dass man ihm das auch so abnimmt. Mitte Oktober war der 74-Jährige wieder einmal mit der SWR Big Band unterwegs. Mit zwei weiteren jung gebliebenen Bandleadern, dem Tenorsaxophonisten Max Greger (76) und dem Klarinettisten Hugo Strasser (80) mischt Kuhn das Publikum auf, meist junges Gemüse zwischen 40 und 60.
Die Säle und Stadthallen zwischen Dortmund, Chemnitz und Karlsruhe sind voll, die Musiker bekommen Standing Ovations. Die temperamentvollen Publikumsreaktionen kommen nicht von ungefähr: konfrontiert mit den heißen Tanznummern aus Jugendzeiten, kommen Emotionen hoch. Max Greger kündigt „In the mood“ von Glenn Miller an und bekommt vorab einen Riesenapplaus. Dann spielen die drei Klarinettisten Greger, Strasser und Axel Kühn mit Hingabe „Creole love call“ von Duke Ellington. Spätestens mit Dukes „Caravan“ bringen die Jazzlegenden den Saal zum Kochen. Bei dem Country-Klassiker „Route 66“ zeigt Paul Kuhn am Klavier, dass er was von „dirty notes“ und Blues versteht, und seine Interpretation der Ballade „Day and Night“ von Cole Porter lässt sämtliche Werbejingle-Assoziationen als kalten Kaffee erscheinen. Doch Swing-Legenden-Revivals sind zuwenig für den Vollblutmusiker Kuhn, seine Triokonzerte mit Willy Ketzer (dr) und Paul G. Ulrich (b) sind inzwischen legendär und vielfach auf CD dokumentiert. „Für mich ist das eine Wechselwirkung“, sagt der Pianist, „nach der Big Band freue ich mich wieder auf ein Jazztriokonzert, wo man kammermusikalisch spielen kann. Ich liebe auch das Schreiben und Arrangieren – es fällt mir inzwischen leider immer schwerer wegen meiner schlechter werdenden Augen.“ 1980 musste Kuhn einen Karriereknick hinnehmen: der SFB entließ ihn, das NDR-Fernsehen stoppte Kuhns „Gong Show“ und die EMI löste den Plattenvertrag. Kuhn zog von Berlin nach Köln und startete neu durch. Zusammen mit Musikern aus seinem ehemaligen SFB-Orchester, Kölner Musikern sowie den „Ute Mann Singers“ seiner Frau Ute Hellermann begann er, eine eigene BB aufzubauen. Waren die Jahre mit dem SFB noch sehr stark von Unterhaltungsmusik und Show geprägt, so entdeckte Kuhn in dieser nicht immer einfachen Zeit den Jazz wieder neu für sich. Und mit ihm sein Publikum: Paul Kuhn am Jazzklavier, das war eine echte Wiederentdeckung. Plötzlich gab es einen deutschen Pianisten, der die alten amerikanischen Standards spielte wie kein zweiter. Zumindest wie kein zweiter deutscher Musiker. So hat der Pianist Mitschuld am derzeitigen Swing Revival. „Ich habe mich nicht versteift auf Jazz“, sagt Kuhn, „doch ich spiele sehr gern die Standards, weil sie doch eine Qualität haben, die einen reizt. Diese Stücke haben Substanz, im Gegensatz zu vielen heutigen Stücken.“ Kuhns Berührung mit dem Jazz begann früh. 1939 war er Schüler eines Frankfurter Internats mit musischem Schwerpunkt. Jazz war dort tabu, doch heimlich hörten die Schüler Glenn Miller und Benny Goodman vom Grammophon. „Als der Krieg begann“, erzählt Paul Kuhn, „hatten viele Leute schon so genannte Jazzplatten zu Hause, etwa von den Andrew Sisters oder Ähnliches. Ich dachte, wenn ich das Mal spielen darf, dann wird das ‘ne schöne Zeit werden. Man rechnete schließlich nicht damit, dass wir den Krieg so verlieren, dass wir hinterher mit den Amerikanern zusammen kommen.” Während des Krieges spielte Kuhn bei der Truppenbetreuung im besetzten Frankreich. Die „schöne Zeit“ begann für ihn nach dem Krieg. Kuhn spielte im Club der amerikanischen Streitkräfte in Heidelberg. Die Amerikaner besorgten Kuhn die in Deutschland raren Noten, stellten ihn dann sogar fest im AFN (American Forces Network) an. „Zwischen den Sendungen spielte ich Klavier: We take over to studio B. Paul Kuhn is ready to play for you „Night and Day“. In dieser Zeit erarbeitete Kuhn sich sein beeindruckend großes Repertoire an Standards und oft fragen ihn jüngere Kollegen, „wie geht denn der Mittelteil von dem oder jenem Stück.” Als Vorbilder nennt Paul Kuhn den Pianisten Art Tatum oder – was das Ensemblespiel betrifft George Shearing, der den Sound der Glenn Miller Band so ideal auf sein Quintett zu übertragen verstanden hatte. Als wichtigen Einfluss erwähnt Kuhn auch den Trompeter Clark Terry: „Er war für mich einer der wenigen Guten. Sicher interessierten mich Pianisten, aber die Bläser faszinierten mich noch mehr. Ich spiele das Klavier mehr in einem Bläserstil, insbesondere die Single-Notes und Melodielinien.“ Spätestens wenn Paul Kuhn zu einer seiner großartigen Balladen anhebt, weiß man auch, er ist ein großer Sinatra-Fan. „Ich wollte ihn nie kopieren“, versichert Kuhn, gibt aber zu: „Jeder, der diese Art von Musik singt, würde sagen, ich möchte so singen wie Sinatra. Der macht es nämlich perfekt, besser geht das nicht.“ Andreas Kolb
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