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Jazzzeitung
2002/11 ::: seite 17
medien
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Gary Giddins: Bing Crosby –
a pocketful of dreams/The early years 1903–1940, Little, Brown and
Company/Boston-New York-London, 728 Seiten
Bing Crosby war weit mehr als ein großer Sänger,
der mit seiner sehr intonationssicheren Baritonstimme und seiner elegant-subtilen
Phrasierungskunst die populäre Musik seiner Zeit auf eine neue Qualitätsebene
gehoben hat, und er war weit mehr als ein bemerkenswerter Schauspieler
– er war ein Symbol für das Lebensgefühl der USA in der
erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wer diese Zeit verstehen will,
muss Bing Crosby studieren, seine Musik, seine Filme, seine Radiosendungen
und ihren Einfluss auf die amerikanische Kultur („Bing was quintessentially
American, cool and upbeat, never pompous, belligerent, or saccharine,
never smug or superior. He looked down on no one and up to no one. In
an age when other nations invested everything in despots, America could
feel proud not only of Bing but of its pride in Bing.“ (S. 298).
Das erstaunliche Buch von Gary Giddins – vielleicht
sein bestes und wichtigstes bisher – bietet dazu einen idealen Einstieg.
Es beruht auf einer unglaublichen Fülle von Daten und Fakten, die
der Autor mit großer Akribie zusammengetragen und zu einem spannend
zu lesenden Ganzen eingeschmolzen hat. Dazu trugen unter anderem 234 (!)
Interviews bei, die er selbst führte. Ein Anmerkungsapparat von 49
Seiten im Kleindruck verdeutlicht die enorme Arbeit, die hinter diesem
Buch steckt. Eine Diskographie (leider ohne CD-Angaben) und eine Filmographie
ergänzen den flüssig geschriebenen Text.
Er behandelt genau die erste Hälfte von Bing Crosbys
Leben (er starb 1977) und vermittelt zugleich ein anschauliches, farbiges
Bild von Gesellschaft und Kultur dieser Zeit.
War Bing Crosby ein Jazzsänger? Die Antwort ist:
ja, unter anderem. Er wuchs mit dem Jazz auf und machte genügend
Aufnahmen mit Jazzgruppen und sang swingende Scatsolos, die seine Zugehörigkeit
zum Jazz belegen. Der erste große Jazzgitarrist Eddie Lang war sein
bester Freund und für ihn bis zu seinem Tod 1933 ähnlich wichtig
wie Joe Pass für Ella Fitzgerald.
Bing Crosbys Karriere war im Grunde einmalig („Only Frank Sinatra
in the forties, Elvis Presley in the fifties and Barbra Streisand in the
Sixties... came within hailing distance of his success...“, S. 299)
und er war beliebt wie kein anderer („No other Pop icon has ever
been so thoroughly, lovingly liked – liked and trusted.“,
S. 299). Dieses Buch ist seiner würdig.
Richard M. Sudhalter: Stardust
Melody – The life and music of Hoagy Carmichael, Oxford University
Press, New York, 432 Seiten
Ein hübscher Zufall (oder keiner?), dass zeitgleich mit Gary Giddins
Biographie über Bing Crosby jetzt auch eine über Hoagy Carmichael
erscheint, den Gentleman und Romantiker aus Bloomington/Indiana, der als
Pianist und vor allem als Songkomponist einen speziellen Platz in der
Musikgeschichte einnimmt. Mit „Rockin Chair“, „Georgia
on my mind“, „Lazy River“ (zusammen mit Sidney Arodin),
„The nearness of you“, „Skylark“ und vor allem
mit „Star Dust“ hat er das Great American Songbook um Stücke
ganz eigener Prägung und Qualität bereichert, in denen Erinnerungen
an seine jungen Jahre in den 20er-Jahren und an seine Freundschaft mit
Bix Beiderbecke anklingen.
Über sein Verhältnis zum Jazz sagte er einmal: „None
of my songs could have been written without a jazz background.“
Richard Sudhalter hat sich mit diesem Buch endgültig in die erste
Garnitur der amerikanischen Jazzautoren „hineinge- schrieben“.
Er bringt freilich für sein Thema auch besondere Voraussetzungen
mit, denn sein Vater Al Sudhalter spielte als Altsaxophonist noch mit
Bix Beiderbecke (keine Aufnahmen). Er selbst befasste sich schon früh
als Kornettist eingehend mit der Bix‘schen Musik und schrieb 1974
sein erstes Buch unter dem Titel „Bix – Man & Legend“
(zusammen mit Philip R. Evans) Die Lebensgeschichte Carmichaels (1899–1981)
erzählt er mit großem Einfühlungsvermögen und analysiert
seine Songs und Texte mit feinem Gespür für Nuancen.
Hoagy war wie Eddie Condon ein Meister der Selbstdarstellung, was in
seinen beiden Büchern „The Stardust Road“ und „Sometimes
I wonder“ sowie in einem weiteren, bisher unveröffentlichten
Buchmanuskript deutlich zum Ausdruck kommt. Richard Sudhalter hat manches
ein bisschen zurechtgerückt und ihm ein Denkmal gesetzt, auf das
er sicher stolz wäre.
Joe Viera
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