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Horst H. Lange, Joachim Ernst Behrendt und Dietrich Schulz-Köhn: Das waren etwa seit Mitte der 30er-Jahren die maßgeblichen Jazzproduzenten und –publizisten in Deutschland. Der in Sonneberg, Thüringen, geborene Dietrich Schulz-Köhn nimmt in der eingangs erwähnten Jazztrias einen besonderen Platz ein. Fällt sein Name, dann taucht früher oder später das Foto eines Mannes in Leutnantsuniform vor dem Pariser Club „Cygale“ auf. Der deutsche Offizier ließ sich zusammen mit dem über alles verehrten Django Reinhardt sowie der einzigen „schwarzen Jazzband“, die damals in Paris spielte, fotografieren.
Ein weiteres Foto sollte nicht unerwähnt bleiben. Es zeigt Schulz-Köhn – wieder einmal in voller Uniform – auf der Titelseite der berühmten „Mitteilungen“ (Bild oben). Die „Mitteilungen“ sind ein faszinierendes Kapitel der Jazzrezeption im 3. Reich: verbotene Fanpostille, geheimes Rundschreiben und mit militärischer Präzision organisierter Jazznachrichtendienst. Neben Hans Blüthner und Gerd P. Pick war der Oberleutnant der Luftwaffe Mitglied der Redaktion dieser ersten deutschen Jazzzeitung, die nicht in Ausgaben, sondern in Form von Rundbriefen im Zeitraum von März bis Oktober 1943 entstand. Mit der Gründung der „Mitteilungen“ bewies Schulz-Köhn Courage: „Die Initiatoren waren vor allen Dingen Gerd Peter Pick und Hans Blüthner. Ich war sozusagen ihr Zulieferant, weil ich ziemlich viel herumkam und auch weil ich die Sprachkenntnisse hatte, also in Frankreich, Belgien, und auch Verbindungen nach Schweden hatte. Während Pick, und das finde ich geradezu bewundernswert, in Berlin war, hörte er Feindsender. Ihn interessierte die amerikanische Hitparade. ...Von mir hat er einen Brief aus Paris bekommen, einen Brief aus Brüssel, einen Brief aus Amsterdam, irgendetwas vom schwedischen Orkester-Journalen – oder wenn ich jemanden getroffen habe, wie Django Reinhardt oder Charles Delaunay, dann habe ich ihm das geschickt, er hat es abgeschrieben und vervielfältigt. Das war natürlich alles illegal. Um das ein bisschen zu tarnen, bin auch auch im Heft Nr. 1 auf dem Titelblatt in voller Uniform und Offiziersmütze. Wer aber näher hingesehen hätte, der hätte sofort bemerkt, dass das nur mit Jazz zu tun hat und mit Amerikanismus, möchte ich sagen.“ (1)
Gleichzeitig war Schulz-Köhn aber auch wegen seiner unkritischen, eher affirmativen Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime unter seinen Mitstreitern und Jazzfreunden nicht unumstritten. Während „Mitteilungs“-Redakteur Blüthner der Auffassung war: „Wer sich für Jazz interessiert, der kann kein Nazi sein“(2), relativierte dies ein anderer Zeitzeuge, Hans-Otto Jungs: „Er war der einzige in unserem kleinen Kreis von Jazzfans, der nicht wahrhaben wollte, was in Deutschland passierte. Er verhielt sich wie ein Anti-Nazi, aber wenn du mit ihm sprachst... nun, es war schizophren.“ (3) Schulz-Köhns Einsatz für den Jazz war nicht erst während des 3. Reiches entstanden, Jazz zog sich durch sein gesamtes Leben. Geboren am 28. Dezember 1912 im Sonneberg, lernte er als Kind zunächst Geige, später dann Klavier. Bereits auf dem Gymnasium in Magdeburg spielte er Schlagzeug und Posaune in einer Schüler-Combo. Nach dem Abitur 1932 kaufte er sich ein Koffergrammophon und legte mit vier Jazzplatten, darunter zwei von Duke Ellington, den Grundstock zu einer bedeutenden Sammlung, für die sich allerdings zu seinen Lebzeiten keine deutsche Institution interessierte und die deshalb heute im Archiv der Universität Graz beheimatet ist. Schulz-Köhn studierte in Freiburg, Frankfurt, Königsberg und an der University Exeter in England Musik, Sprachen und Volkswirtschaft und schrieb seine Dissertation über die „Die Schallplatte auf dem Weltmarkt“. Während der Zeit in Frankfurt studierte er am Hoch’schen Konservatorium in der – damals in Deutschland einzigen – Jazz-Klasse von Matyas Seiber. In London hörte er die ersten Jazzkünstler persönlich: Louis Armstrong und Duke Ellington. Bereits in den 30er-Jahren bewirkte Schulz-Köhn vieles: 1934 gründete
er den ersten deutschen „Swing Club“ in Königsberg. Er
war Mitarbeiter bei vielen Schallplattenfirmen, beispielsweise gestaltete
er ab 1935 verantwortlich für die Deutsche Grammophon-Gesellschaft
den gesamten Brunswick-Katalog. Er war damit verantwortlich für die
Herausgabe der besten Hot-Jazz Aufnahmen der zwanziger Jahre mit Chick
Webb, Teddy Wilson, King Oliver, Duke Ellington, Fletcher Henderson, Benny
Carter, The Dorsey Brothers und Louis Proma. Das tat er in Form von Spezialkopplungen
in zwei oder drei Alben á sechs Platten. Später ging er zu
Telefunken und machte dort Ähnliches: Er war unter anderem dafür
zuständig, dass die bekanntesten belgischen Tanzorchester wie Fud
Candrix und Stan Brenders verpflichtet worden sind. Sein Name taucht unweigerlich immer da auf, wo es um die Geschichte des Jazz in Deutschland geht. So etwa in der Ausgabe der Jazzzeitung vom September 2002, wo Yvonne Moisl die Gründungszeit der DJF, der Deutschen Jazzföderation nachzeichnet. Im Winter 1949/50 gehörte Schulz-Köhn, damals bereits Gründer des Hot Clubs Düsseldorf, zusammen mit Dieter Zimmerle, Olaf Hudtwalcker und Horst Lippmann zu den Initiatoren der Deutschen Jazzföderation, einer Vereinigung von „Musikfreunden“ nach dem Vorbild des HCF, des Hot Club de France. Auch in der Ausgabe Juni 2002 der Jazzzeitung, in der Hans Jürgen von Osterhausen über die zweitälteste Jazzausbildungsstätte Deutschlands, die Kölner Musikhochschule, schreibt, taucht Schulz-Köhn auf. Am Kölner Institut war er als Dozent für Jazzgeschichte tätig. Sprach man jedoch von Dr. Jazz, dann war eigentlich der Rundfunkmoderator gemeint: Schulz-Köhn moderierte bald nach dem Krieg eigene Radiosendungen in Hamburg, später dann beim WDR in Köln sowie beim Deutschlandradio und vielen anderen Rundfunkanstalten. Beim Westdeutschen Rundfunk moderierte er regelmäßig die Sendung „Rauhe Rille“, die erst mit seinem Tod im Jahr 1999 beendet wurde. Die „Dr Jazz Collection“ bei Jube1993 – Schulz-Köhn war damals bereits 81 – bat ihn ein junger Autor, Jens-Uwe Völmecke um ein Interview. Wie Dr. Jazz arbeitete auch er als Autor für den WDR und benötigte O-Töne für seine Sendungen über den Swing und die Tanzmusik der 30er, 40er und 50er-Jahre, über die Swinging Ballrooms in Berlin, Paris und Brüssel. Es stellte sich schnell heraus, dass sich hier zwei Gleichgesinnte getroffen hatten, zwei Liebhaber des Hot Jazz, aber auch der europäischen Tanz- und Unterhaltungsorchester aus der Swing-Epoche. Die Zeit, die Völmecke und Dr. Jazz noch hatten, war kurz bemessen: 1995 erkrankte Schulz-Köhn schwer und erholte sich bis zu seinem Tode nicht mehr. Doch die kurze Inkubationszeit hatte genügt: Dr. Jazz hatte Dr. Völmecke mit seinem Hot-Jazz-Virus angesteckt – sofern dieser nicht schon mit allen Anzeichen eines hochgradigen Hot-Jazz-Fiebers bei ihm aufgetaucht war. So verwundert es nicht, wenn Völmecke, der heute hauptsächlich für den WDR und den MDR als Autor tätig ist, in sein 1997 gegründetes Label JUBE auch eine Serie unter dem Titel „Dr. Jazz Collection“ aufnahm. Es ist eine Reihe „im Geiste von Schulz-Köhn“, so der CD-Produzent. Zwei CDs liegen bisher vor: „Place de Brouckére“ mit Swing und Hot aus Belgien und Holland (1939 bis 1945) und „Swing im besetzten Paris (1940 bis 1943)“. Völmecke hat bereits zwei weitere Dr. Jazz Veröffentlichungen in Arbeit: „Ich möchte gerne noch eine CD ‚Skandinavien‘ und auch eine ‚Berlin – Deutschland in den dreißiger, vierziger Jahren‘ machen. Wir haben die alten Schellackplatten mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln technisch aufbereitet und haben sie auf diese Art und Weise dem heutigen Klangbild angeglichen. Aber wir haben sie nicht ‚verschlimmbessert‘. Es besteht ja immer die Gefahr, dass man zuviel wegnimmt, und dann geht der Charme und die Eigendynamik der Aufnahmen unwiederbringlich verloren. Das haben wir tunlichst vermieden.“ Andreas Kolb
JUBE Auswahldiskografie
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