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„Hirnschwitzen“, nannte es die Pop-Fraktion rund um „Sounds“ und „Spex“ in den 80er Jahren halb ironisch, halb bewundernd, wenn Cecil Taylor und andere sich selbst und ihrem Instrument wieder einmal das Äußerste abverlangten, während ihre zuhörende Klientel demonstrativ cool blieb. Noch im Spott über die athletischen Exzesse improvisierter Musik verbarg sich das Bewusstsein, dass der Free Jazz etwas anstrebte und vielleicht sogar praktizierte, was jede ernsthaftere Kunst im Sinn hat: nämlich den Bereich der bloßen und sei es noch so virtuosen Beherrschung der Kodes hinter sich zu lassen und in ein Reich jenseits der Zeichen vorzustoßen. Kaum ein anderer Musiker verkörperte dieses „Hirnschwitzen“ so sehr wie der kürzlich verstorbene Bassist Peter Kowald. Wer in seinen Konzerten wahrnahm, wie rasch die Schweißtropfen um ihn und sein Instrument herum eine Art magischen Kreis auf den Boden zeichneten, der konnte ermessen, wie „schwer“ bei ihm jede Note wog. Kowald war ein Meister des minimalistischen Exzesses. Die Mühe, die man ihm während des Spiels so sehr ansah, war weniger eine Sache des Hervorbringens, der „Expression“ dessen, was er meinte, sondern eher eine des Weglassens, des Vermeidens all der Automatismen, die sich einem ständig aufdrängen. Authentisch konnte Peter Kowald nur sein, weil er sich den raschen Reizen verweigerte und Affekte nur zuließ, wenn sie die Prüfung durch die Abstraktion bestanden. So war Kowalds Spiel beides: intensiv und entsentimentalisiert. Free Jazz ereignet sich „Jetzt!“. Das heißt, Kowald und Co. erzählen auch Geschichten nur als augenblickshafte, bis zum Bersten aufgeladene. Die Zeit wird verdichtet, auch zerfetzt. Was einst war, gilt nur, sofern es jetzt erscheint; auch die Vergangenheit steht nicht ein für allemal fest; was ich war, hängt davon ab, was ich, „jetzt“, bin. Deshalb hat es der Free Jazz, auch dort, wo er vollkommen „authentisch“ ist, immer auch mit Zitat und Collage zu tun; der „wahre“ Ausdruck ist nicht organisch, sondern montiert. Das macht den Free Jazz zu einer Sache von Minderheiten. Die Mehrheit will eher den „mood“, der fast per definitionem „sentimental“ ist. Eine solche „Gestimmtheit“ lebt von zwei Illusionen: dass die Vergangenheit vergangen ist und dass man an ihr festhalten kann. Der Archetyp einer solchen Melancholie, die den Weltinnenraum der Seele so bequem möbliert, ist die Erinnerung, der jede Einsicht fehlt: So lässt sich auch die Liebe, die man verloren hat, als Traum vom Glück beschwören, ohne dass man sich deshalb im mindesten ändern müsste. Die neue Großmeisterin des „mood“-Jazz, der sich für Bar und Bad gleichermaßen gut eignet, ist Norah Jones. Sie verströmt schon auf dem Opener ihres Albums „Come away with me“ (EMI) eine anheimelnde Sehnsucht, die sich vor allem dem Nicht-Wissen verdankt. Das „Don’t Know Why“ ist bei ihr nicht die Formel des Selbst-Zweifels, sondern einer Souveränität, die sich mit Selbstgerechtigkeit paart. Entscheidend ist das Verhältnis zur Lebens-Zeit: Während bei Peter Kowald die Erfahrung immer schon eine zerbrochene, „zerstückte“ ist, die in der heftigen Expression mühsam, für Augenblicke neu zusammengesetzt wird, sieht Norah Jones in ihrem Leben immer nur Archetypen am Werk: das was immer schon so war und immer so sein wird. „Authentisch“ ist für Norah Jones das, was jeder versteht, weil er es auch so empfindet. Diese Art von authentischer Existenz, die masken- und puppenhaft daherkommt und sich dem Einverständnis mit Regel und Rolle verdankt, dürfte das Geheimnis des Erfolgs dieser neuen Jazz-Lady sein. Die „Clicks & Cuts“-Ästhetik, die auf nunmehr drei Mille Plateaux-Samplern mit diesem Titel einigermaßen übersichtlich vorliegt, bezeichnet den größtmöglichen Gegensatz zum „mood“-Jazz einer Norah Jones. Unüberhörbar ist aber auch, dass der avanciertere Jazz der letzten Jahrzehnte mit der experimentier- und theoriefreudigen neuen Elektronik mehr Gemeinsamkeiten hat, als Vorurteile und Feindschaften vermuten lassen, die früher im Techno-Umfeld, heutzutage aber vor allem von Jazzern „gepflegt“ werden. Es ist eine Aversion, deren Grund-Ton einst schon Adorno in seiner Philosophie der Neuen Musik und den diversen Vorarbeiten der 30er und 40er Jahre vorgab: Schon bei Strawinsky glaubte Adorno in seiner Parteinahme für Schönberg und dessen Schule ein fatales Faible fürs Maschinelle und fürs Marschieren herauszuhören, also die Bereitschaft der archaischen Bestie Mensch, sich für die Bedürfnisse des Industrie- und Weltkriegszeitalters zurichten zu lassen und aus dieser Entfremdung und Liquidierung des Subjekts auch noch eine perverse Befriedigung zu ziehen. Den Jazz gar zieht er pauschal einer Regression des Hörens, die das passende Freizeitvergnügen des „fordistischen“ Indivduums bereitstellte: Musik vom Fließband also, die „dumme“, also subversive und souveräne, sich in ihrer Ausdifferenziertheit und „Eigenheit“ quer stellende Gedanken und Gefühle erst gar nicht zuließ. Tatsächlich aber zieht die „Cut“-Ästhetik eines Frank Bretschneider oder Andreas Tilliander die Konsequenz aus Kowalds Einsicht, dass Authentizität nichts Unmittelbares sein kann. Mille Plateaux-Ästhetik ist vermittelt durch Abstraktion; sie verweigert sich den „fordistischen“ Formeln der Entfremdung und Zurichtung oder der Reduktion des Individuums auf geschäftliche oder kriegerische Zwecke nicht durch eine Verweigerung und Verdrängung, die so unvermittelt wie illusionär die „Seele“ des Einzelnen als das ganz Andere der Welt behauptet, in der er leben muss, sondern formuliert einen ästhetischen Widerstand auf der Höhe der industriellen „state of the art“. Helmut Hein |
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