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Als der Urvogel Archäopteryx seine riesigen Schwingen über dem Gondwanaland ausbreitete, ahnte er nicht, dass er mit dem Riesenkontinent im Meer versinken würde, bis ihn die kleine Neuköllner Bar Atalante 144 Millionen Jahre später mit seiner Hausband erneut ins Rampenlicht einer ganz anderen Geschichte stellt. Überrascht strahlten die Gesichter von Taiko Saito, Thibault Falk, Thomas Auffarth und Marc Draeger von der Fusion-Band Gondwana, als ihnen beim Finale des 2. Berliner Jazz & Blues Award im BKA-Zelt gleich zwei Siegertrophäen, der Publikumspreis und der Preis der Jury, überreicht wurden. Im Rahmen einer nahezu perfekt organisierten Veranstaltung und unterstützt vom Senat für Wissenschaft, Kultur und Forschung, setzte die Jazzinitiative Berlin e.V. der örtlichen Kulturkrise ein kräftiges Zeichen kultureller Selbstorganisation entgegen. Weitere Preise gingen an Ekkehard Wölk, Lia Andes und Alexis Pope. Von der Fachpresse weitgehend unbemerkt jährte sich auf dem Gelände des historischen Stadtschlosses ein musiksoziologisch aufgeladenes Ereignis. Während selbst die Grüne Partei verbliebene Elemente von Basisdemokratie abschaffen will, gilt bei der Jazzinitiative ein Pluralismus, der die Frankfurter Schule rühren würde. Die Jazzinitiative Berlin ist Heimat für alle interessierten Berliner Jazzclubs, Vereine und Initiativen, unabhängig von Größe, Finanzkraft und Stilvorlieben. New York? „New York!” In Berlin schießt man mit den Ansprüchen gerne über das Ziel hinaus. Es wäre voreilig zu folgern, dass der Jazzinitiative die mit der Basisdemokratie verbundenen Probleme und eine baldige Grunderneuerung erspart blieben. Zu offensichtlich traten auch beim zweiten, stark verbesserten Award die Sollbruchstellen einer Veranstaltung zu Tage, die unter großem logistischen Aufwand 18 Bands (14 + 4) in zwei Tagen in einem kostspieligen Gala-Rahmen präsentiert. Es bleibt unklar, ob der Wettbewerb vielleicht doch mehr eine Unterhaltungsshow und die Abstimmung nur sein Stilelement ist. Im Rahmen des Wettbewerbs werden Äpfel mit Birnen verglichen und die Zuschauer geraten auf eine Art Selbsterfahrungstrip, der die Geschichte des Jazz rekapituliert, aber einen aussagekräftigen Vergleich gar nicht oder nur bedingt zulässt. Der maßgebliche Bandanteil des diesjährigen Awards wurde mit
Groove-Jazz ins Rennen geschickt, Musik die einen Clubabend anheizt, aber
kein Festival-ähnliches Gebilde füllt. Weil die musikalische
Qualität des Wettbewerbs dem Leistungsgedanken nicht entsprach, blieb
die Berliner Presse dem Großereignis fern – zu stark sind
andere Veranstaltungen mit ähnlicher Zielgruppe besetzt. Es stellt
sich die Frage, warum viele Berliner Bands, die in diesem Jahr überregional
Schlagzeilen machen konnten, beim Award fehlen: Der Rote Bereich, Lisa
Bassenge Trio/Micatone, Thärichens Tentett, Erdmann 3000, Nils Wülker,
Martin Koller & Jay Rope (die Liste lässt sich fortsetzen...).
Bei der Laudatio für die Siegerband spitzte sich das Dilemma zu:
Zuerst wurde Gondwana als innovativ und zukunftsweisend gelobt, dann mit
dem Duett Chick Corea/Gary Burton verglichen. Anspruch und Wirklichkeit
könnten nicht selbstironischer auseinander klaffen. Die tatsächlich beeindruckende Größe der Jazzszene Berlin erscheint unterm Zeltdach in Mitte als Chance und Fluch zugleich – in den vergangenen Jahrzehnten ist jeder noch so ambitionierte Versuch einer umfassenden Zusammenarbeit gescheitert. Die etablierten Clubs im Stadtzentrum verwalten den Mainstream, teure Auslandsgäste werden von den Festivals verpflichtet, die Dixiefans pflegen ihre traditionellen Enklaven und die Avantgarde oder die Improvisierte Musik hat sich in Insider-Zirkel wie das RAW-Tempel, das Kulturhaus Mitte, das Raumschiff Zitrone, das Podewil, die Wabe oder ins Puls ausgeklinkt. Obwohl alle über zu wenig Öffentlichkeit schimpfen, wird der Jazz & Blues Award von den Veranstaltern für sein zentrales Anliegen kaum genutzt. Award-Jurymitglied Ulf Drechsel widmet der vertrackten Hauptstadtsituation auf Radio Kultur am 10. November eine Sondersendung unter Beteiligung von Kritiker Wolf Kampmann („Berliner Saustall“), Award-Teilnehmerin Sandra Weckert, A-Trane/Soultrain-Betreiber Sedal Sardan und Verve-Manager Christian Kellersmann. Denkt man positiv und nimmt das gesamte unausgeschöpfte Potential als Rechengrundlage, addiert gar neue Personalien und professionellere Entscheidungswege, dann könnte die Basisdemokratie theoretisch zur Rettung der ambitionierten Ausgangsidee des Awards werden – und die Ella das angestrebte überregional beachtete Markenzeichen. Möglicherweise reagieren dann die zahlreichen oft heimatkritischen Berliner Jazzjournalisten (Broecking, Ballhorn, Völz, Sickert, Engels, Prange u.a.), die sich etwa in der Jury gut machen würden. Ob der Publikumspreis angesichts der klaren Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten des zweiten Abends (deutlich mehr Publikum) beibehalten, rechnerisch angepasst oder einfach abgeschafft wird, gilt es zu diskutieren. Al Weckert
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