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Inzwischen hat Christiane Böhnke-Geisse den Bayerischen Jazzpreis bekommen. Es ist ihr nicht wirklich unangenehm, aber ein wenig verlegen wirkt sie schon. „Mir fallen aus dem Stand eine Handvoll Leute ein, die ihn eigentlich mehr verdient hätten als ich. Aber mir ist auch klar, dass damit vor allem die Unterfahrt gemeint ist“ – zu deren erstaunlicher Entwicklung sie allerdings als langjährige Programmverantwortliche erheblich beigetragen hat. Christiane Böhnke-Geisse ist bekannt, von Oslo bis New York und Paris bis Berlin. Gemeinsam mit ihrem Alter Ego Michael Stückl ist sie Ansprechpartnerin für Agenten aus aller Welt, vor allem aber für die Musiker. Sie ist beliebt, denn sie kümmert sich, um die die großen und kleinen Dinge, Hotels und Instrumente, Reiseverbindungen, schon auch mal um Verpflegung, um scheinbare Nebensächlichkeiten, die aber für einen Künstler auf Tournee zu echten Problemen werden können. Sie ist präsent, am Telefon, im Club, regelt mit einer im Laufe der Jahre erworbenen Gelassenheit organisatorische und persönliche Fragen.
Vor allem aber hat sie Ahnung. Christiane Böhnke-Geisse stellt Programme zusammen, auf die der Club stolz sein kann. Es sind allmonatliche Musterstücke der Ausgewogenheit, die den Musikern vor Ort, den Münchner und bayerischen Koryphäen ebenso Raum geben wie sie es schaffen, internationale Stars in die Kellergewölbe nahe des Max-Weber-Platzes zu locken. Ihre Spürnase für die aufkeimende europäische Szene, der sie während des vergangenen Jahrzehntes etwa mit Themenwochen und Sondergastspielen ein markantes Forum geboten hat, sorgte dafür, dass sich das Profil der Unterfahrt nach den Amateur- und Avantgardejahren deutlich konturierte. Mit anderen Worten: Christiane Böhnke-Geisse hat den Eiertanz des täglichen Programmmachens zu einer praktischen Kunst sublimiert, die es ermöglicht, dass München einen der wichtigsten Jazzclubs Europas beherbergen kann, der im April sein dreißigjähriges Bestehen feiert. Dass es soweit kommen konnte, liegt an mehreren günstigen, mal selbst geschaffenen, mal zufälligen Konstellationen. Der Anfang war anarchisch. Im April 1978 öffneten Herbert Straub und Mike Uitz die Unterfahrt als Liebhaberprojekt. Es war eine Haidhausener Live-Spelunke mit Billard-Tisch, ein Abhängklassiker der sich ausblendenden Ära der Alternativen. Dann kam 1983 Sepp Dachsel, programmierte bis 1987 erstmals mit professionellem Anspruch und übergab die damalige Bühne in der Kirchenstraße daraufhin an Lisl Geipel, die als Wirtin ein gutes Jahrzehnt lang das Herz der Unterfahrt war. Mit ihr gemeinsam begannen Stückl und Böhnke-Geisse sich mehr und mehr um die Programmplanung zu kümmern, nebenbei und ehrenamtlich. Der 1980 gegründete Verein „Förderkreis Jazz und Malerei München e.V.“ wuchs darüber hinaus langsam, aber beständig. Die Eckkneipe in der Kirchenstraße entwickelte sich auf diese Weise zum Wohnzimmer der internationalen Szene, Musiker von Ray Anderson bis Attila Zoller gaben sich dort die Ehre. Im September 1998 schließlich zog der Club in seine jetzigen Räumlichkeiten, erlebte seitdem mehrere Wirte und Interims-Leiter und hat es inzwischen mit den Gastronomen Walter Prijak und Herbert Mandl so gut getroffen wie seit Lisl Geipel nicht mehr. Wichtigste Grundlagen der Unterfahrt sind der Verein, die geeigneten Räumlichkeiten und die persönliche Chemie unter den aktiv beteiligten Jazzfans. Und natürlich das hochqualitative Programm: „Ich denke, es macht die Mischung, immer nur ein Stil, das würde nicht funktionieren. Wichtig ist inhaltlich auch die Konzentration auf das Thema Europa, das uns vor allem in den vergangenen fünf Jahren sehr viel weiter gebracht hat. Das Internet hilft uns ebenfalls, denn inzwischen kommen die Zuhörer von überall, die die Termine sich online heraussuchen. Ganz wichtig sind auch die Mitglieder des Vereins, inzwischen immerhin 870. Da sind einzelne, private Menschen bereit, Geld für uns auszugeben und Sympathien zu verteilen, das ist wunderbar. Und nicht zuletzt ist es das Team mit Michael Stückl, der mir immer wieder beratend zur Seite steht, wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich ein Konzert buchen soll. Das ist ein Duo, das früher schon harmoniert hat und es immer noch tut“. Der Stadt München wiederum kann es nur recht sein, dass die Unterfahrt in den Räumen des subterranen Kulturzentrums in der Einsteinstraße kontinuierlich die Pforten öffnet. Zwar residieren in den Katakomben der früheren Unionsbrauerei auch andere Institution wie die Hörgalerie t.u.b.e. oder das Freie Musikzentrum. Regelmäßig öffentlich aktiv aber sind nur die Jazzer und garantieren damit die kulturelle Nutzung des Geländes, die wiederum die vertraglich festgeschriebene Voraussetzung für die in den Neunzigern vollzogene Renovierung mit bayerisch staatlichen Fördergeldern war. Das Stadtsäckel wird ansonsten nur mäßig belastet, alljährlich fließen Subventionen in etwa im Gegenwert eines Mittelklassewagens, eine Art Basissicherung, die zusammen mit den Mitgliederbeiträgen den professionellen Betrieb ermöglicht. Dafür gibt‘s für München reichlich und anhaltendes kulturelles Renommee, multipliziert durch journalistische Berichterstattung ebenso wie durch den zuweilen vor der Tür parkenden Sendewagen des Bayerischen Rundfunks, der schon so manches Konzert auch für die erlebbar gemacht hat, die den abendlichen Musikgenus verpasst haben. Kultur auf hohem Niveau also ist machbar, mit viel Hilfe von Freunden, die ihre Zeit und ihre Kompetenzen investieren, mit viel Enthusiasmus, der auch manches magere Intermezzo überstehen lässt („Die Fußball-WM war für uns eine Katastrophe, ich will gar nicht mehr daran denken!“), und einem Publikum, das das Engagement und vor allem die Musik zu schätzen weiß. So hat die Unterfahrt Gründe genug, einen April lang zu feiern. Das Programm ist, wie zu erwarten war, ausgewogen brillant: Die Münchner sind dabei von Henning Sieverts bis Tizian Jost, die Big Bands natürlich, junge deutsche Koryphäen wie Michael Wollny und Nils Wogram, europäische Newcomer und Stars von Live Maria bis zum Orchestre National de Jazz Électrique und auch die internationalen Headliner wie Richard Bona und Wallace Roney. Zwei deutsche Patriarchen der Szene geben sich die Ehre, Siggi Loch mit einer Ausstellung und Klaus Doldinger mit seinem ersten Unterfahrt-Konzert überhaupt. Am 3. April wird mit dem Doppel-Jubiläumskonzert von Stacey Kent und Thärichens Tentett sogar aushäusig im Carl-Orff-Saal gastiert. Und zwischen all den Künstler wird wieder Christiane Böhnke-Geisse umherschwirren, ein wenig nervös, aber doch insgesamt die Lage fest im Griff. Ralf Dombrowski
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