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Berlin Voices Billy Joel genießt den Rang eines erstklassigen Songwriters wie
auch als Interpret. Viele seiner Songs darf man mittlerweile unter die
Kategorie Standards fassen. Die Qualität der Songs wird allemal
deutlich, wenn sie sich von anderen Interpreten vorgenommen werden. Die
Berlin Voices sind vier noch recht junge Sänger (Sarah und Esthe
Kaiser, Marc Secara, Kristofer Benn), der Berliner Hochschule Hanns Eisler
entsprungen und doch längst eine Hausnummer. In ihrem Tribute an
Billy Joel werden die Songs in vierstimmigen Gesang aufgelöst mit
einer herausragenden, dezenten und präzisen Combo plus Strings Deluxe.
Die sehr durchsichtig gearbeiteten Arrangements (Wolf Kerschek, Rolf
Zielke, Jonas Schoen, Friedemann Matzeit) sind es denn auch, die diese
CD zum Ereignis machen können. Den Stimmen selbst fehlt ab und an
doch die Festigkeit im Ausdruck. Das mag man als Mangel auffassen, aber
man kann es auch positiv sehen: Es sind eben keine Solisten-Stimmen,
sondern wunderbar zueinander passende Gruppenstimmen. Und die haben sich
manchmal nicht gerade wenig vorgenommen. In „Honesty“ [Track
4] stehen die Stimmen ganz allein in einem hochkomplizierten harmonischen
Chorsatz (Oliver Gies, Arrangement). Das gelingt den Berlin Voices fast
wie von selbst. Man staunt da einfach nur noch, zumal wenn man das im
Fernsehen durch jeden Wolf gedrehte Gejaule irgendwelcher Superstars
zu ertragen hat. Nein, mit Billy Joel haben sich die Berlin Voices genau
den richtigen Autor gesucht, der eine Spannbreite von Sentimentalität
bis sinnigem Unsinn vereinigt. Enders „Auf ,dome’ zelebriert Enders die
physische Schönheit und mystische
Verklärung des reinen, für sich selbst stehenden Tons.“ Wow!
Ergriffenheit bemächtigt sich meiner ob solch überwältigender
Werbeprosa. Saxophonist Johannes Enders hat derlei Wortwucht gar nicht
nötig, hält sie aber durchaus aus. Andererseits: Versenkt man
sich in die dumpfen Trommelschläge, in denen die „Essenz eines
Tages“ (The essence of a day, Part 1 + 2) einleitend fokussiert,
ist man schnell versucht an ein indianisches Ritual zu denken, bei dem
sich die sechs Spieler/Schamanen im Licht eines nächtlichen Feuers
kultischen Praktiken und Klängen widmen. Der klischeebehaftete Vergleich
ist vielleicht weniger weit hergeholt, als es auf den ersten Blick erscheint.
Für den Weilheimer ist „Spiritualität ein wichtiges Gut“,
und bei der Herausbildung seiner eigenen Identität, verrät
er, „spielten Kirchenräume eine prägende Rolle“.
Auf die hat sich Enders bei diesem Album besonnen und seinen Fokus auf
Zeit und Raum gerichtet, die ihren Ausdruck im architektonischen und
geistigen Gefüge des religiösen Raumes finden. Wie bei „Enders
Room“ verbindet der 41-Jährige Elektronisches und Akustisches
und lässt in schwebenden Klangräumen, repetitiven Ketten und
zeitlichen Dehnungen Grenzen verschwinden. Stimmungen, die zwischen erhabener
Leichtigkeit und melancholischer Düsternis changieren, können
vergessene Gefühle wecken, und wenn am Schluss Nils-Petter Molvaer,
Ulrich Wangenheim, Saam Schlamminger, John Hollenbeck und Ralf Schmid „No
Hope…“ intonieren, öffnen sich wieder neue Räume
und Eindrücke. Tangologia: Las Estaciónes del Angel – The Music of Astor
Piazzolla Im zum Bersten gespannten Kraftfeld zwischen Verharren
und Loslassen bewegen sich die fünf Musiker auf dieser mitreißenden Einspielung.
Trotz teils intensiver rhythmischer Vertracktheit liefert das junge Quintett
Tangologia unbeirrt durch langatmig gesponnene Geflechte und durch alle
Stimmungs- und Tempowechsel stets äußerst präzises
Miteinander. Melancholisch, aber voll packender Lebensfreude. Emotional
dicht und doch leicht. Furios, zugleich tief beeindruckend. Wen übrigens
zunächst die Gitarre irritiert, der sei auf das 1960 vom Altmeister
selbst gegründete legendäre Quintetto Piazzolla verwiesen,
dessen Instrumentierung hier aufgegriffen wurde. Anstelle des Bandoneons
allerdings überzeugt bei Tangologia die neue Klangfarbe des Altsaxofons
im vereinzelt herrlich gedankenverlorenen Zusammenspiel mit Geige, Klavier,
Gitarre und Bass. Las Estaciónes del Angel interpretiert die beiden
vierteiligen Zyklen „Las Estaciónes Porteñas“ und „La
Suite del Angel“ höchst packend. Ein lebhafter Beginn, markig
akzentuiert mit perkussiven Elementen, versinkt im reduzierten Tempo
in melancholischen Melodiebögen: So wird von Anfang an das Spannungsfeld
abgesteckt, in dem sich vitale Stimmengeflechte entfalten, in dem fesselnde
Kantilenen (wie in „Oblivión“, dem Klassiker und Schlussstück
der Aufnahme) von einem dicht gewebten schwebenden, synkopierten Untergrund
getragen werden. In „Oblivión“ fokussieren sich betörend
zurückgenommene Schlichtheit, Ausdruckstiefe, musikalische Spannung
und interpretatorische Wärme der gesamten Einspielung. Gianluigi Trovesi Die Anekdote, dass Charlie Parker von Béla Bartók Unterricht
in Komposition haben wollte, vor dessen Haus aber zögerte und sich
dann doch nicht traute ihn zu fragen, ist symptomatisch für Generationen
von Jazzmusikern. Miles Davis konterte dieses Verhalten seiner Kollegen
mit „Wissen ist Freiheit, und Ignoranz ist Sklaverei.“ Unter
dieser Prämisse hat Gianluigi Trovesi sich etwa fünfzig Jahre
später der Retrospektive europäisch-italienischer Melodiemodelle
zugewandt, um explizit in und durch sie hin zu „Vaghissimo Ritratto“ (vagen
Eindrücken) zu gelangen. Entweder, indem er an der Altklarinette
aus der Renaissance-Oper „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi
zitiert und dann das Motiv mit Umberto Petrin am Klavier und Fulvio Maras
an Perkussion & Electronics umdreht, oder sie sich über Paraphrasen
von Chansons wie „Paysage“ von Jacques Brel aneignet. Gianluigi
Trovesi deckt ohne Scheu alle Karten auf, pickt sich, wie in der Commedia
dell’Arte, aus etabliertem Repertoire wie „El grillo“ (Grillenlied)
von Josquin Desprez einige Motive und eignet sie sich durch raffinierte
Variationen an. Im Zentrum dieses Melodiekontinuums sind fünf romantische
Lieder des italienischen Komponisten Alfredo Piatti (1822–1901),
die Gianluigi Trovesi und seine Partner in ziemlich freien Improvisationen
andeuten: Einzelne Akkorde oder Fragmente genügen, um diese Welt
zu transformieren. Poetisch intim ist dieser Kammerjazz, „Primo
apparir“ – erstmals so erschienen als kollektive Spurensuche
zur Freiheit durch souveränes Wissen. The Puppini Sisters Die drei Damen aus England bilden ein Gesangstrio,
dessen Stil sie selbst als „Vintage-Swing-Pop“ bezeichnen. Sie lassen die Welt des
Swing auferstehen, indem sie den Hits der 1940er-Jahre eine frische Politur
verpassen. Dieses Rezept verhalf schon dem Debüt „Betcha Bottom
Dollar“ zum Erfolg. Der Nachfolger „The Rise & Fall Of
Ruby Woo“ ist demgegenüber eigenständiger und vielfältiger. Lyambiko Zurück zu ihren schwarzen Wurzeln zieht es die gebürtige Thüringerin
Lyambiko auf ihrem bereits sechsten Album, genauer gesagt zu der Frau,
die sie im Jahr 2000 dazu bewegte, die Karriere als Sängerin einzuschlagen:
Nina Simone. Der Titel „Saffronia“ bezieht sich übrigens
auf eine der Heldinnen aus dem Klassiker „Four Women“, ebenfalls
ein „Mischling“ wie Lyambiko selbst. Sich an die große
Simone heranzutrauen, ist an sich schon ein Wagnis, auch das Repertoire
ist hoch gegriffen: Von „Don‘t Let Me Be Misunderstood“ über „I
Loves You Porgy“ und „Ne me quitte pas“ bis zum Ohrwurm „My
Baby Just Cares For Me“ reicht es. Aber – Kompliment: der
Sprung von der eher lieblos zusammengeschusterten ersten Produktion bei
Sony „Lyambiko“ (2005) bis zu dieser Hommage ist ein großer
und durchaus gelungener. Sie bleibt ihrem Trio, das sie seit langem begleitet
(Robin Draganic am Bass, Marque Lowenthal, Piano, Percussion, und Heinrich
Köbberling, Drums, Percussion), treu, dementsprechend sparsam ist
die Instrumentierung, dafür ist Lyambikos Stimme gereift und überzeugt
neben gewohnt süß-geschmeidigen auch mit schwärzeren,
tiefen souligen Farben. Die Interpretationen sind ungewöhnlich,
oft meditativ, erst der fröhliche Schlusstitel, gemischt aus „I
Sing Just To Know That I‘m Alive“ und dem afrikanischen Volkslied „Mawe
Mawe“, reißt einen aus der melancholischen Stimmung. Matthew Shipp Das Klavier an sich ist ein ungeeignetes Instrument für freies Spiel.
Denn die übliche Temperiertheit unterteilt den Klangraum in 88 Segmente,
die als klare, eindeutig identifizierbare Töne in Erscheinung treten.
Pianisten behelfen sich seit Cecil Taylor damit, Klangflächen zu
clustern, in die Harfe zu greifen, zur Not alles Mögliche um den
Flügel herum zu inszenieren, um davon abzulenken, dass sie dem Anspruch
nach unbegrenzter Offenheit nicht genügen können. Matthew Shipp
kennt diese Versuche, hat für sich aber den Schluss gezogen, dass
deren Aporien ihn nicht weiter tangieren. Als Pianist der Generation
der Enkel modifiziert er den Gedanken der Freiheit in umgekehrter Richtung,
auf die Traditionsbildung hin, nicht von ihr weg. „Piano Vortex“ ist
ein trio-akustisches Kompendium der Lösungsmöglichkeiten, personalisiert
in der Aussage, raffiniert im Umgang mit den Vorgaben der Geschichte.
Gemeinsam mit dem Bassisten Joe Morris und dem Drummer Whit Dickey überlässt
er sich dem Flow der Musik, mal aufgelöst, fragmentiert, mit diffus
zerfließenden Arpeggien, mal flächig in der Klangwirkung,
mal postminimalistisch in der insgeheim swingenden Schichtung und Überdehnung
von Themen. Seine Motive wirbeln, kreisen um tonale Zentren, kommunizieren
mit den ähnlich dezent ihre Funktionen entkoppelnden Partnern zum
Ineinander, das tatsächlich so etwas wie kollektive Freiheit zu
erreichen verspricht. Claus Raible Claus Raible bleibt seiner ersten und einzigen Liebe treu. Vor mehr
als 25 Jahren hat der Bebop sein Herz erobert und ein für alle Male
okkupiert. Da gibt es nichts zu rütteln. Der spielfreudige Pianist
hat die Lektion der Epoche gelernt, hat sich intensiv mit seinen Vorbildern
auseinandergesetzt, Tadd Dameron, Thelonious Monk und vor allem Bud Powell,
dem Fixstern seines Universums, von dessen Feuer, Sound und Phrasierung
der sonst eher wortkarge Nachgeborene förmlich schwärmt. Raibles
Spiel ist dabei beileibe keine Kopie von wem auch immer; der Münchener
hat alles drauf, was zur pianistischen Extraklasse gehört, melodische
Unvorhersehbarkeit, harmonische Finesse, rhythmische Kurventreue und
höchste Prägnanz im Anschlag. Er hat dazu die raue Luft der
Clubs weidlich inhaliert, die Zeitreise zutiefst verinnerlicht, ist wie
kaum einer in der Lage, die Quirligkeit und den Spirit der Vergangenheit
quicklebendig ins Heute zu übersetzen, weit davon entfernt in der
Asche zu rühren. Dazu ist der 1967 geborene Träger des Bayerischen
Kunstförderpreises 2006 viel zu nah dran am Geschehen, mitten drin
im Getümmel der Musik, der er sich verschrieben hat. Das Trio mit
Ben Dixon, dr, der zu den Meistern seines Fachs gehörte, als Raible
noch gar nicht geboren war, und dem souveränen Giorgios Antoniou,
b, geht in jedem der neun Tracks punktgenau zur Sache, als gelte es,
wenn schon nicht das Leben, so doch die Freude dran. Daniel Smith Das Naturtalent Smith stammt aus einer Familie
ohne ausgesprochenen musikalischen Hintergrund: Initialzündung für seine Karriere war eine Fernsehsendung
mit Benny Goodman, dessen swingende Klarinette Smith magisch anzog. So
entdeckte er seine Liebe zum Fagott erst, nachdem er bereits Saxophon,
Flöte und Klarinette gemeistert hatte. Das Fagottspielen erprobte
er zunächst im klassischen Kontext, stellte sich gar der Aufgabe,
die kompletten Fagott-Konzerte von Vivaldi aufzunehmen: 37 an der Zahl,
drei von sechs Alben wurden mit dem „English Chamber Orchestra“ eingespielt.
Inzwischen hat der Amerikaner seinen angestammten Klassikkontext verlassen,
um die Herausforderung anzunehmen, dieses Instrument auch im Jazz zu
etablieren. Mit seinem Jazzdebüt „Bebop Bassoon“ legte
er den Grundstein für eine Reihe von Alben, die je eine Jazzstilistik
abbilden. Dies setzt er nun mit „Swingin‘ Bassoon“ konsequent
fort – mit ins Boot geholt hat er sich die jungen Musiker Martin
Bejerano (p), John Sullivan (b) und Ludwig Alfonso (dr). Ein Alleinstellungsmerkmal
weist Smith in der Tat auf; Fagottisten im Jazz gibt es sehr, sehr wenige.
Allerdings begnügt er sich vorwiegend mit dem Nachspielen bekannter
und weniger bekannter Klassiker, swingt also im sicheren Fahrwasser des
eleganten Mainstreams. Beileibe nicht innovativ, auch nicht äußerst
spannend – immerhin aufgrund der Instrumentierung interessant. Meike Goosmann Ohren in richtiger Neigung können „Portraits“ durchaus
in Tönen wahrnehmen. Konventionell zunächst auf Personen bezogen,
so wie Meike Goosmann im fröhlichen „Patita“-Riff, das
Ohrwurmqualitäten hat, eine ihrer Nichten vorstellt. Energisch,
doch freundlich fordert sie Aufmerksamkeit. Eine Max & Moritz Geschichte über
zwei Mädchen könnte „Interlude – Schafsritt“ sein,
indem ihr Amüsement im Visier der Bassklarinette dargestellt wird.
Mit etwas distanzierterer Sympathie hat Meike Goosmann die geschmeidigen
Bewegungen des ziemlich frechen und launigen Katers „Lester“ durchs
Sopransax beobachtet, denn Julia Hülsmann kommentiert sie mit scharfen
Dissonanzen am Klavier, und Schlagzeuger Ulrich Moritz sowie Gitarrist
Jeanfrançois Prins fügen kratzige Krallenklänge hinzu.
Solch personale Nähe ergänzt Meike Goosmann um Sujets wie beklemmende
Trauer in „As Sad As“, wo ein pochender Klavierpart die hilflos
wirkenden Phrasen des Sopransax gefangen hält. Diese düsteren
Empfindungen werden aber von der sanften „Ballad For B.“ und
der robusten Lebenslust von „Pink Scent“ kontrastiert. Zwar
ist Meike Goosmann als melodische Stilistin im Vordergrund dieser Songs,
aber gerade Julia Hülsmann streut zu deren lyrischen Improvisationen
vom Klavier aus lakonische Repliken ein. So formen psychologische Intuition
und kompositorisches Feingefühl diese meistens elegant swingenden „Portraits“ von
Meike Goosmann und ihrer Band zu liebevollen Jazzminiaturen. Ein respektables
Debüt. Spike Hughes Der englische Bassist, Arrangeur und Komponist
Spike Hughes (1908-1987) begann um 1930 unter dem Einfluss von Duke Ellington,
eigene Themen und
Arrangements zu schreiben. Zehn zwischen 1930 und 1932 in London aufgenommene
Titel auf dem vorliegenden Tonträger zeigen, wie gut ihm das gelang,
wobei auch den beteiligten Musikern ein großes Lob gebührt.
Kein anderer europäischer Arrangeur jener Zeit ist den Quellen des
Jazz so nahe gekommen. Aber sein Meisterstück lieferte er 1933 während
eines Aufenthalts in New York. Franz Dannerbauer Music Liberation Unit: „It Goes on” live
in Heilbronn Dannerbauer dokumentiert auf seiner aktuellen Live-CD, dass es mit
frischem Wind immer weiter geht... So unabhängig wie möglich hat sich
der bayerische Bandleader, Komponist und Bassist bei Produktion und Vertrieb
seiner Musik gemacht – entsprechend emanzipiert verfährt seine
1980 gegründete „Music Liberation Unit“ mit der stilistischen
Konvention. Betont wagemutig wird mit allem jongliert, was die Genres
eines – allerdings sehr virtuos gehandhabten – Modern Jazz
hergeben. Charles Mingus war einst die Inspirationsquelle für ihn,
der aus dem bayerischen Wald stammt und der später an der Münchener
Jazzschule von Joe Haider studierte. Und wie beim großen Charles
Mingus geht auch in Dannerbauers Band die Führungskraft vom resoluten
Bassspiel des Leaders aus. Dichte Bläser-Chorusse umrahmen die einprägsamen,
oft verklärt-melancholische Themen, aus denen die hervorragend aufgelegten
MLU-Mitglieder ihre himmelstürmenden Soli auf Trompete, Flügelhorn,
Saxophonen und Piano ableiten. Verschlungen sind die Wege dieser Kompositionen,
die oft schon weitläufige Suiten darstellen. Sicherheit in Bezug
aufs Kommende gibt es hier kaum und das macht das Hören und sicherlich
auch die Live-Auftritte so kurzweilig. Was rasant im Bossa-Nova-Rhythmus
loslegt, kann schon im nächsten Moment in quirlige Bop-Phrasen umschalten,
bevor schließlich ein Blues gewissermaßen die Zielgerade
darstellt. Und so manche Ballade wird plötzlich zu etwas ganz Anderem,
wenn rollende Sechsachtel-Grooves und beschwörende Ostinati ins
Spiel kommen. Franco Ambrosetti & Uri Caine Trio Der Titel „The Wind“ des Albums, das Startrompeter Franco
Ambrosetti gemeinsam mit dem Uri Caine Trio eingespielt hat, kommt nicht
von ungefähr – war es doch diese Komposition, die 1952 Chet
Baker berühmt machte. Ambrosetti wäre aber nicht Ambrosetti,
hätte er nicht die Gelegenheit genutzt, den Titel, über die
Adaption von Russ Freemans Stück hinaus, gleich noch in Form eines
humorigen Coverfotos zu inszenieren. Wirkt schon drollig, wie der Dame
die Haare um die Ohren fliegen und der Schirm aus dem Bild strebt. In
dieser fröhlichen Umverpackung finden wir neben „The Wind“,Stücke
von Ambrosetti und Caine, aber auch Sonny Rollins‘ „Doxy“ oder
Frank Loessers „I’ve never been in love before“. Beschwingt
und gekonnt gespielt, kitzeln die Tracks des Albums höchst angenehm
im Gehörgang der Rezensentin. Was bei Drew Gress und Clarence Penn
als weiteren Mitstreitern allerdings auch zu erwarten ist – versammeln
sich doch hier vier musikalische Recken von Rang. Besondere Highlights
stellen „Lyrical Sketches“ und „African Breeze“ dar – bei
ersterem Stück lässt der weiche Trompetenton des Protagonisten
Frauenherzen höher schlagen, bei letzterem geht es perkussiv-geheimnisvoll
zu. „The Wind“ ist bereits Ambrosettis 13. Album für
Enja Records, welches er als Leader eingespielt hat – und überhaupt
ist dieser Trompeter seit seinem Rückzug aus dem Industriemanagement
musikalisch agiler als je zuvor. Das Musikerleben tut dem 66-jährigen
offensichtlich gut und wirkt nahezu wie eine Verjüngungskur. Marilyn Mazur with Jan Garbarek Wie durch eine Nebelwand dringen erste Töne und anfangs zaghafte
Rhythmen. Wer Marilyn Mazur kennt, weiß um ihre polyphone, tanzende
Art zu spielen und ihre Präsenz. Sie nimmt Raum ein, ohne sich aufzudrängen
oder zu dominieren. „Elixir“, Marilyns aktuelle CD, ist eigentlich
eine Soloplatte, begleitet von Jan Garbarek am Saxophon und Flöte
(!), der bei der Hälfte der Stücke mit unverkennbarem Sound
die Aufnahme mit prägt. Mittlerweile sind beide seit fast zwanzig
Jahren Weggefährten. Lange ist es her, als die quirlige Dänin
Mitte der achtziger Jahre bei Pierre Dørges New Jungle Orchestra
mitmischte oder zusammen mit drei Percussionisten bei Miles Davis auftrat.
Experimentier- und Lehrjahre, die ihr ungemein gut taten und ihre Spielweise
formten. Wenn Marilyn zu komponieren beginnt, ist dies meistens ausgelöst
durch bestimmte Sounds oder eine Instrumentenkombination. Nehmen die
Stücke dann weiter Gestalt an, lotet sie aus, was klanglich zu diesem
Track passt, vor allem aber welche Instrumente und Sounds eine Balance
bilden. Die unterschiedlichen Timbres der vielen Rhythmusinstrumente
bedeuten jeweils eine eigene Sprache und erlauben ihr dadurch unendliche
Nuancen des Ausdrucks. Zwei Drittel der auf „Elixir“ eingespielten
Stücke sind aus Marilyns Feder, die restlichen gemeinsame Kompositionen.
Mystische Klänge und kurz anklingende Melodien, die sich in Rhythmen
verlieren sind auf dieser zeitlosen Aufnahme zu hören – eine
Wohltat für die Ohren in diesen Klangkosmos einzutauchen. |
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