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Jazzzeitung

2008/02  ::: seite 13-14

rezensionen

 

Inhalt 2008/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 2


TITEL - With a little help
Die Münchner Unterfahrt feiert 30-jähriges Bestehen


DOSSIER
- Die Abstraktion des Blues
Die Bebopper komponierten die Zukunft • Von Hans-Jürgen Schaal

Berichte
39. Internationale Jazzwoche Burghausen // Sidsel Endresen trifft bei „Humcrush“ auf ein Duo der Extreme // „Women in Jazz“ in Halle (Saale) 2008 // Klima Kalima gewinnt den MVV Energie Bandpreis 2008 // Die 7. Cologne Jazz Night der Hochschule für Musik Köln // Stimmenfang Festival Nürnberg 2007 // Südtirol Jazzfestival Alto Adige im Juni 2008


Portraits

Das Schulprojekt „Bluestrings“ // Der Gitarrist Andreas Dombert // Der Klarinettist Lajos Dudas // Benjamin Schaefer // Sänger Michael Schiefel in New York


Jazz heute und Education
Manfred Schoof im Interview zu Jazzförderung und Urheberrecht // Newburgh, USA: der Percussionist Jeff Haynes unterrichtet Senioren //
Oscar Petersons Solo über „Alice In Wonderland“

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

 

Berlin Voices
States Of Mind – A Tribute to Billy Joel

Van Dyck Records, VDCHR 71401

Billy Joel genießt den Rang eines erstklassigen Songwriters wie auch als Interpret. Viele seiner Songs darf man mittlerweile unter die Kategorie Standards fassen. Die Qualität der Songs wird allemal deutlich, wenn sie sich von anderen Interpreten vorgenommen werden. Die Berlin Voices sind vier noch recht junge Sänger (Sarah und Esthe Kaiser, Marc Secara, Kristofer Benn), der Berliner Hochschule Hanns Eisler entsprungen und doch längst eine Hausnummer. In ihrem Tribute an Billy Joel werden die Songs in vierstimmigen Gesang aufgelöst mit einer herausragenden, dezenten und präzisen Combo plus Strings Deluxe. Die sehr durchsichtig gearbeiteten Arrangements (Wolf Kerschek, Rolf Zielke, Jonas Schoen, Friedemann Matzeit) sind es denn auch, die diese CD zum Ereignis machen können. Den Stimmen selbst fehlt ab und an doch die Festigkeit im Ausdruck. Das mag man als Mangel auffassen, aber man kann es auch positiv sehen: Es sind eben keine Solisten-Stimmen, sondern wunderbar zueinander passende Gruppenstimmen. Und die haben sich manchmal nicht gerade wenig vorgenommen. In „Honesty“ [Track 4] stehen die Stimmen ganz allein in einem hochkomplizierten harmonischen Chorsatz (Oliver Gies, Arrangement). Das gelingt den Berlin Voices fast wie von selbst. Man staunt da einfach nur noch, zumal wenn man das im Fernsehen durch jeden Wolf gedrehte Gejaule irgendwelcher Superstars zu ertragen hat. Nein, mit Billy Joel haben sich die Berlin Voices genau den richtigen Autor gesucht, der eine Spannbreite von Sentimentalität bis sinnigem Unsinn vereinigt.
Martin Hufner

Enders
dome

INT 34092 (Sunny Moon)

„Auf ,dome’ zelebriert Enders die physische Schönheit und mystische Verklärung des reinen, für sich selbst stehenden Tons.“ Wow! Ergriffenheit bemächtigt sich meiner ob solch überwältigender Werbeprosa. Saxophonist Johannes Enders hat derlei Wortwucht gar nicht nötig, hält sie aber durchaus aus. Andererseits: Versenkt man sich in die dumpfen Trommelschläge, in denen die „Essenz eines Tages“ (The essence of a day, Part 1 + 2) einleitend fokussiert, ist man schnell versucht an ein indianisches Ritual zu denken, bei dem sich die sechs Spieler/Schamanen im Licht eines nächtlichen Feuers kultischen Praktiken und Klängen widmen. Der klischeebehaftete Vergleich ist vielleicht weniger weit hergeholt, als es auf den ersten Blick erscheint. Für den Weilheimer ist „Spiritualität ein wichtiges Gut“, und bei der Herausbildung seiner eigenen Identität, verrät er, „spielten Kirchenräume eine prägende Rolle“. Auf die hat sich Enders bei diesem Album besonnen und seinen Fokus auf Zeit und Raum gerichtet, die ihren Ausdruck im architektonischen und geistigen Gefüge des religiösen Raumes finden. Wie bei „Enders Room“ verbindet der 41-Jährige Elektronisches und Akustisches und lässt in schwebenden Klangräumen, repetitiven Ketten und zeitlichen Dehnungen Grenzen verschwinden. Stimmungen, die zwischen erhabener Leichtigkeit und melancholischer Düsternis changieren, können vergessene Gefühle wecken, und wenn am Schluss Nils-Petter Molvaer, Ulrich Wangenheim, Saam Schlamminger, John Hollenbeck und Ralf Schmid „No Hope…“ intonieren, öffnen sich wieder neue Räume und Eindrücke.
Michael Scheiner

Tangologia: Las Estaciónes del Angel – The Music of Astor Piazzolla
Moon Sound Records

Im zum Bersten gespannten Kraftfeld zwischen Verharren und Loslassen bewegen sich die fünf Musiker auf dieser mitreißenden Einspielung. Trotz teils intensiver rhythmischer Vertracktheit liefert das junge Quintett Tangologia unbeirrt durch langatmig gesponnene Geflechte und durch alle Stimmungs- und Tempo­wechsel stets äußerst präzises Miteinander. Melancholisch, aber voll packender Lebensfreude. Emotional dicht und doch leicht. Furios, zugleich tief beeindruckend. Wen übrigens zunächst die Gitarre irritiert, der sei auf das 1960 vom Altmeister selbst gegründete legendäre Quintetto Piazzolla verwiesen, dessen Instrumentierung hier aufgegriffen wurde. Anstelle des Bandoneons allerdings überzeugt bei Tangologia die neue Klangfarbe des Altsaxofons im vereinzelt herrlich gedankenverlorenen Zusammenspiel mit Geige, Klavier, Gitarre und Bass. Las Estaciónes del Angel interpretiert die beiden vierteiligen Zyklen „Las Estaciónes Porteñas“ und „La Suite del Angel“ höchst packend. Ein lebhafter Beginn, markig akzentuiert mit perkussiven Elementen, versinkt im reduzierten Tempo in melancholischen Melodiebögen: So wird von Anfang an das Spannungsfeld abgesteckt, in dem sich vitale Stimmengeflechte entfalten, in dem fesselnde Kantilenen (wie in „Oblivión“, dem Klassiker und Schlussstück der Aufnahme) von einem dicht gewebten schwebenden, synkopierten Untergrund getragen werden. In „Oblivión“ fokussieren sich betörend zurückgenommene Schlichtheit, Ausdruckstiefe, musikalische Spannung und interpretatorische Wärme der gesamten Einspielung.
Monika Krämer

Gianluigi Trovesi
Vaghissimo Ritratto
ECM 1983/170 9774

Die Anekdote, dass Charlie Parker von Béla Bartók Unterricht in Komposition haben wollte, vor dessen Haus aber zögerte und sich dann doch nicht traute ihn zu fragen, ist symptomatisch für Generationen von Jazzmusikern. Miles Davis konterte dieses Verhalten seiner Kollegen mit „Wissen ist Freiheit, und Ignoranz ist Sklaverei.“ Unter dieser Prämisse hat Gianluigi Trovesi sich etwa fünfzig Jahre später der Retrospektive europäisch-italienischer Melodiemodelle zugewandt, um explizit in und durch sie hin zu „Vaghissimo Ritratto“ (vagen Eindrücken) zu gelangen. Entweder, indem er an der Altklarinette aus der Renaissance-Oper „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi zitiert und dann das Motiv mit Umberto Petrin am Klavier und Fulvio Maras an Perkussion & Electronics umdreht, oder sie sich über Paraphrasen von Chansons wie „Paysage“ von Jacques Brel aneignet. Gianluigi Trovesi deckt ohne Scheu alle Karten auf, pickt sich, wie in der Commedia dell’Arte, aus etabliertem Repertoire wie „El grillo“ (Grillenlied) von Josquin Desprez einige Motive und eignet sie sich durch raffinierte Variationen an. Im Zentrum dieses Melodiekontinuums sind fünf romantische Lieder des italienischen Komponisten Alfredo Piatti (1822–1901), die Gianluigi Trovesi und seine Partner in ziemlich freien Improvisationen andeuten: Einzelne Akkorde oder Fragmente genügen, um diese Welt zu transformieren. Poetisch intim ist dieser Kammerjazz, „Primo apparir“ – erstmals so erschienen als kollektive Spurensuche zur Freiheit durch souveränes Wissen.
Hans-Dieter Grünefeld

The Puppini Sisters
The Rise & Fall Of Ruby Woo
Universal

Die drei Damen aus England bilden ein Gesangstrio, dessen Stil sie selbst als „Vintage-Swing-Pop“ bezeichnen. Sie lassen die Welt des Swing auferstehen, indem sie den Hits der 1940er-Jahre eine frische Politur verpassen. Dieses Rezept verhalf schon dem Debüt „Betcha Bottom Dollar“ zum Erfolg. Der Nachfolger „The Rise & Fall Of Ruby Woo“ ist demgegenüber eigenständiger und vielfältiger.
Neben den bewährten Original-Arrangements aus der Swing-Ära bringen die Puppini Sisters Eigenkompositionen und Pop-Remakes zu Gehör. Berührend ist die Cover-Version des Barry-Manilow-Songs „Could It Be Magic“ mit ihrer schlichten Streicherbegleitung. Der Bangles-Hit „Walk Like An Egyptian“ wird in einen groovigen Shuffle mit Jodel-Einlage verwandelt. Und Dusty Springfields „Spooky“ ist nach der Puppini-Umgestaltung ein energiegeladener Drum’n’Bass-Song. Diese Stücke gewinnen durch die geistreichen und witzigen Arrangements eine ganz neue Dimension.
Die Eigenkompositionen der drei Absolventinnen des Londoner Trinity College of Music passen gut in dieses Umfeld: Etwa „It’s Not Over“ mit seinen charmant federnden Synkopen oder „Soho Nights“, das an die lateinamerikanische Tanzmusik der 1940er-Jahre erinnert. Bei aller Vielfalt – eine Einheit bildet das Album durch den wasserdichten Harmoniegesang, der inzwischen zum Markenzeichen der Puppini Sisters geworden ist.
Antje Rößler

Lyambiko
Saffronia
Sony/BMG 88697231622

Zurück zu ihren schwarzen Wurzeln zieht es die gebürtige Thüringerin Lyambiko auf ihrem bereits sechsten Album, genauer gesagt zu der Frau, die sie im Jahr 2000 dazu bewegte, die Karriere als Sängerin einzuschlagen: Nina Simone. Der Titel „Saffronia“ bezieht sich übrigens auf eine der Heldinnen aus dem Klassiker „Four Women“, ebenfalls ein „Mischling“ wie Lyambiko selbst. Sich an die große Simone heranzutrauen, ist an sich schon ein Wagnis, auch das Repertoire ist hoch gegriffen: Von „Don‘t Let Me Be Misunderstood“ über „I Loves You Porgy“ und „Ne me quitte pas“ bis zum Ohrwurm „My Baby Just Cares For Me“ reicht es. Aber – Kompliment: der Sprung von der eher lieblos zusammengeschusterten ersten Produktion bei Sony „Lyambiko“ (2005) bis zu dieser Hommage ist ein großer und durchaus gelungener. Sie bleibt ihrem Trio, das sie seit langem begleitet (Robin Draganic am Bass, Marque Lowenthal, Piano, Percussion, und Heinrich Köbberling, Drums, Percussion), treu, dementsprechend sparsam ist die Instrumentierung, dafür ist Lyambikos Stimme gereift und überzeugt neben gewohnt süß-geschmeidigen auch mit schwärzeren, tiefen souligen Farben. Die Interpretationen sind ungewöhnlich, oft meditativ, erst der fröhliche Schlusstitel, gemischt aus „I Sing Just To Know That I‘m Alive“ und dem afrikanischen Volkslied „Mawe Mawe“, reißt einen aus der melancholischen Stimmung.
Ursula Gaisa

Matthew Shipp
Piano Vortex
Thirsty Ear/Rough Trade

Das Klavier an sich ist ein ungeeignetes Instrument für freies Spiel. Denn die übliche Temperiertheit unterteilt den Klangraum in 88 Segmente, die als klare, eindeutig identifizierbare Töne in Erscheinung treten. Pianisten behelfen sich seit Cecil Taylor damit, Klangflächen zu clustern, in die Harfe zu greifen, zur Not alles Mögliche um den Flügel herum zu inszenieren, um davon abzulenken, dass sie dem Anspruch nach unbegrenzter Offenheit nicht genügen können. Matthew Shipp kennt diese Versuche, hat für sich aber den Schluss gezogen, dass deren Aporien ihn nicht weiter tangieren. Als Pianist der Generation der Enkel modifiziert er den Gedanken der Freiheit in umgekehrter Richtung, auf die Traditionsbildung hin, nicht von ihr weg. „Piano Vortex“ ist ein trio-akustisches Kompendium der Lösungsmöglichkeiten, personalisiert in der Aussage, raffiniert im Umgang mit den Vorgaben der Geschichte. Gemeinsam mit dem Bassisten Joe Morris und dem Drummer Whit Dickey überlässt er sich dem Flow der Musik, mal aufgelöst, fragmentiert, mit diffus zerfließenden Arpeggien, mal flächig in der Klangwirkung, mal postminimalistisch in der insgeheim swingenden Schichtung und Überdehnung von Themen. Seine Motive wirbeln, kreisen um tonale Zentren, kommunizieren mit den ähnlich dezent ihre Funktionen entkoppelnden Partnern zum Ineinander, das tatsächlich so etwas wie kollektive Freiheit zu erreichen verspricht.
Ralf Dombrowski

Claus Raible
Don’t Blame Me
Pirouet PIT 3025

Claus Raible bleibt seiner ersten und einzigen Liebe treu. Vor mehr als 25 Jahren hat der Bebop sein Herz erobert und ein für alle Male okkupiert. Da gibt es nichts zu rütteln. Der spielfreudige Pianist hat die Lektion der Epoche gelernt, hat sich intensiv mit seinen Vorbildern auseinandergesetzt, Tadd Dameron, Thelonious Monk und vor allem Bud Powell, dem Fixstern seines Universums, von dessen Feuer, Sound und Phrasierung der sonst eher wortkarge Nachgeborene förmlich schwärmt. Raibles Spiel ist dabei beileibe keine Kopie von wem auch immer; der Münchener hat alles drauf, was zur pianistischen Extraklasse gehört, melodische Unvorhersehbarkeit, harmonische Finesse, rhythmische Kurventreue und höchste Prägnanz im Anschlag. Er hat dazu die raue Luft der Clubs weidlich inhaliert, die Zeitreise zutiefst verinnerlicht, ist wie kaum einer in der Lage, die Quirligkeit und den Spirit der Vergangenheit quicklebendig ins Heute zu übersetzen, weit davon entfernt in der Asche zu rühren. Dazu ist der 1967 geborene Träger des Bayerischen Kunstförderpreises 2006 viel zu nah dran am Geschehen, mitten drin im Getümmel der Musik, der er sich verschrieben hat. Das Trio mit Ben Dixon, dr, der zu den Meistern seines Fachs gehörte, als Raible noch gar nicht geboren war, und dem souveränen Giorgios Antoniou, b, geht in jedem der neun Tracks punktgenau zur Sache, als gelte es, wenn schon nicht das Leben, so doch die Freude dran.
Tobias Böcker

Daniel Smith
The Swingin‘ Bassoon
Zah Zah Records 9824/Guild Gmbh

Das Naturtalent Smith stammt aus einer Familie ohne ausgesprochenen musikalischen Hintergrund: Initialzündung für seine Karriere war eine Fernsehsendung mit Benny Goodman, dessen swingende Klarinette Smith magisch anzog. So entdeckte er seine Liebe zum Fagott erst, nachdem er bereits Saxophon, Flöte und Klarinette gemeistert hatte. Das Fagottspielen erprobte er zunächst im klassischen Kontext, stellte sich gar der Aufgabe, die kompletten Fagott-Konzerte von Vivaldi aufzunehmen: 37 an der Zahl, drei von sechs Alben wurden mit dem „English Chamber Orchestra“ eingespielt. Inzwischen hat der Amerikaner seinen angestammten Klassikkontext verlassen, um die Herausforderung anzunehmen, dieses Instrument auch im Jazz zu etablieren. Mit seinem Jazzdebüt „Bebop Bassoon“ legte er den Grundstein für eine Reihe von Alben, die je eine Jazzstilistik abbilden. Dies setzt er nun mit „Swingin‘ Bassoon“ konsequent fort – mit ins Boot geholt hat er sich die jungen Musiker Martin Bejerano (p), John Sullivan (b) und Ludwig Alfonso (dr). Ein Alleinstellungsmerkmal weist Smith in der Tat auf; Fagottisten im Jazz gibt es sehr, sehr wenige. Allerdings begnügt er sich vorwiegend mit dem Nachspielen bekannter und weniger bekannter Klassiker, swingt also im sicheren Fahrwasser des eleganten Mainstreams. Beileibe nicht innovativ, auch nicht äußerst spannend – immerhin aufgrund der Instrumentierung interessant.
Carina Prange

Meike Goosmann
Portraits
NRW 8002

Ohren in richtiger Neigung können „Portraits“ durchaus in Tönen wahrnehmen. Konventionell zunächst auf Personen bezogen, so wie Meike Goosmann im fröhlichen „Patita“-Riff, das Ohrwurmqualitäten hat, eine ihrer Nichten vorstellt. Energisch, doch freundlich fordert sie Aufmerksamkeit. Eine Max & Moritz Geschichte über zwei Mädchen könnte „Interlude – Schafsritt“ sein, indem ihr Amüsement im Visier der Bassklarinette dargestellt wird. Mit etwas distanzierterer Sympathie hat Meike Goosmann die geschmeidigen Bewegungen des ziemlich frechen und launigen Katers „Lester“ durchs Sopransax beobachtet, denn Julia Hülsmann kommentiert sie mit scharfen Dissonanzen am Klavier, und Schlagzeuger Ulrich Moritz sowie Gitarrist Jeanfrançois Prins fügen kratzige Krallenklänge hinzu. Solch personale Nähe ergänzt Meike Goosmann um Sujets wie beklemmende Trauer in „As Sad As“, wo ein pochender Klavierpart die hilflos wirkenden Phrasen des Sopransax gefangen hält. Diese düsteren Empfindungen werden aber von der sanften „Ballad For B.“ und der robusten Lebenslust von „Pink Scent“ kontrastiert. Zwar ist Meike Goosmann als melodische Stilistin im Vordergrund dieser Songs, aber gerade Julia Hülsmann streut zu deren lyrischen Improvisationen vom Klavier aus lakonische Repliken ein. So formen psychologische Intuition und kompositorisches Feingefühl diese meistens elegant swingenden „Portraits“ von Meike Goosmann und ihrer Band zu liebevollen Jazzminiaturen. Ein respektables Debüt.
Hans-Dieter Grünefeld

Spike Hughes
All his Jazz Compositions
LARGO 5129

Der englische Bassist, Arrangeur und Komponist Spike Hughes (1908-1987) begann um 1930 unter dem Einfluss von Duke Ellington, eigene Themen und Arrangements zu schreiben. Zehn zwischen 1930 und 1932 in London aufgenommene Titel auf dem vorliegenden Tonträger zeigen, wie gut ihm das gelang, wobei auch den beteiligten Musikern ein großes Lob gebührt. Kein anderer europäischer Arrangeur jener Zeit ist den Quellen des Jazz so nahe gekommen. Aber sein Meisterstück lieferte er 1933 während eines Aufenthalts in New York.
Unter dem überwältigenden Eindruck einer Probe des Benny Carter Orchesters schrieb er eine Reihe von Stücken und nahm sie mit dem Orchester plus Coleman Hawkins auf. Sie sind hier bis auf vier zu hören, und man kann ob der souveränen Beherrschung der Mittel nur staunen.
Von einem schwermütigen Dur/Moll-Blues („Sweet Sorrow Blues“) über das liebliche „Pastoral“ bis zum harmonisch verschlungenen „Arabesque“ reicht die Palette der Musik.
Die Solos – vor allem von Coleman Hawkins, Henry Red Allen und Dickie Wells – tun ein Übriges. Ja – und dann fuhr Spike Hughes nach England zurück und gab den Jazz auf! Stattdessen widmete er sich dem Komponieren von Konzertmusik und dem Schreiben von Kritiken.
Was für ein Verlust für den Jazz! Warum blieb Spike Hughes nur nicht in den USA?
Joe Viera

Franz Dannerbauer Music Liberation Unit: „It Goes on” live in Heilbronn
MLU Records 2008

Dannerbauer dokumentiert auf seiner aktuellen Live-CD, dass es mit frischem Wind immer weiter geht... So unabhängig wie möglich hat sich der bayerische Bandleader, Komponist und Bassist bei Produktion und Vertrieb seiner Musik gemacht – entsprechend emanzipiert verfährt seine 1980 gegründete „Music Liberation Unit“ mit der stilistischen Konvention. Betont wagemutig wird mit allem jongliert, was die Genres eines – allerdings sehr virtuos gehandhabten – Modern Jazz hergeben. Charles Mingus war einst die Inspirationsquelle für ihn, der aus dem bayerischen Wald stammt und der später an der Münchener Jazzschule von Joe Haider studierte. Und wie beim großen Charles Mingus geht auch in Dannerbauers Band die Führungskraft vom resoluten Bassspiel des Leaders aus. Dichte Bläser-Chorusse umrahmen die einprägsamen, oft verklärt-melancholische Themen, aus denen die hervorragend aufgelegten MLU-Mitglieder ihre himmelstürmenden Soli auf Trompete, Flügelhorn, Saxophonen und Piano ableiten. Verschlungen sind die Wege dieser Kompositionen, die oft schon weitläufige Suiten darstellen. Sicherheit in Bezug aufs Kommende gibt es hier kaum und das macht das Hören und sicherlich auch die Live-Auftritte so kurzweilig. Was rasant im Bossa-Nova-Rhythmus loslegt, kann schon im nächsten Moment in quirlige Bop-Phrasen umschalten, bevor schließlich ein Blues gewissermaßen die Zielgerade darstellt. Und so manche Ballade wird plötzlich zu etwas ganz Anderem, wenn rollende Sechsachtel-Grooves und beschwörende Ostinati ins Spiel kommen.
Stefan Pieper

Franco Ambrosetti & Uri Caine Trio
The Wind
Enja Records (Soulfood)

Der Titel „The Wind“ des Albums, das Startrompeter Franco Ambrosetti gemeinsam mit dem Uri Caine Trio eingespielt hat, kommt nicht von ungefähr – war es doch diese Komposition, die 1952 Chet Baker berühmt machte. Ambrosetti wäre aber nicht Ambrosetti, hätte er nicht die Gelegenheit genutzt, den Titel, über die Adaption von Russ Freemans Stück hinaus, gleich noch in Form eines humorigen Coverfotos zu inszenieren. Wirkt schon drollig, wie der Dame die Haare um die Ohren fliegen und der Schirm aus dem Bild strebt. In dieser fröhlichen Umverpackung finden wir neben „The Wind“,Stücke von Ambrosetti und Caine, aber auch Sonny Rollins‘ „Doxy“ oder Frank Loessers „I’ve never been in love before“. Beschwingt und gekonnt gespielt, kitzeln die Tracks des Albums höchst angenehm im Gehörgang der Rezensentin. Was bei Drew Gress und Clarence Penn als weiteren Mitstreitern allerdings auch zu erwarten ist – versammeln sich doch hier vier musikalische Recken von Rang. Besondere Highlights stellen „Lyrical Sketches“ und „African Breeze“ dar – bei ersterem Stück lässt der weiche Trompetenton des Protagonisten Frauenherzen höher schlagen, bei letzterem geht es perkussiv-geheimnisvoll zu. „The Wind“ ist bereits Ambrosettis 13. Album für Enja Records, welches er als Leader eingespielt hat – und überhaupt ist dieser Trompeter seit seinem Rückzug aus dem Industriemanagement musikalisch agiler als je zuvor. Das Musikerleben tut dem 66-jährigen offensichtlich gut und wirkt nahezu wie eine Verjüngungskur.
Carina Prange

Marilyn Mazur with Jan Garbarek
Elixir
ECM 1962 CD 6025 173 7320 (4)

Wie durch eine Nebelwand dringen erste Töne und anfangs zaghafte Rhythmen. Wer Marilyn Mazur kennt, weiß um ihre polyphone, tanzende Art zu spielen und ihre Präsenz. Sie nimmt Raum ein, ohne sich aufzudrängen oder zu dominieren. „Elixir“, Marilyns aktuelle CD, ist eigentlich eine Soloplatte, begleitet von Jan Garbarek am Saxophon und Flöte (!), der bei der Hälfte der Stücke mit unverkennbarem Sound die Aufnahme mit prägt. Mittlerweile sind beide seit fast zwanzig Jahren Weggefährten. Lange ist es her, als die quirlige Dänin Mitte der achtziger Jahre bei Pierre Dørges New Jungle Orchestra mitmischte oder zusammen mit drei Percussionisten bei Miles Davis auftrat. Experimentier- und Lehrjahre, die ihr ungemein gut taten und ihre Spielweise formten. Wenn Marilyn zu komponieren beginnt, ist dies meistens ausgelöst durch bestimmte Sounds oder eine Instrumentenkombination. Nehmen die Stücke dann weiter Gestalt an, lotet sie aus, was klanglich zu diesem Track passt, vor allem aber welche Instrumente und Sounds eine Balance bilden. Die unterschiedlichen Timbres der vielen Rhythmusinstrumente bedeuten jeweils eine eigene Sprache und erlauben ihr dadurch unendliche Nuancen des Ausdrucks. Zwei Drittel der auf „Elixir“ eingespielten Stücke sind aus Marilyns Feder, die restlichen gemeinsame Kompositionen. Mystische Klänge und kurz anklingende Melodien, die sich in Rhythmen verlieren sind auf dieser zeitlosen Aufnahme zu hören – eine Wohltat für die Ohren in diesen Klangkosmos einzutauchen.
Thomas J. Krebs

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