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Jazzzeitung
2008/02 ::: seite 15
rezensionen
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Horace Silver
Live At Newport ‘58
Blue Note
Ein Live-Album von Horace Silver, das allein schon ist eine Rarität!
Der Grund wird nach dem Genuss dieser bislang unveröffentlichten
Aufnahmen aus vom Newport Jazz Festival des Jahres 1958 klar. Ein typisches
Blue-Note-Silver-Album ist ein Nonplusultra an Vollkommenheit: jedes
Detail stimmt bei diesem unerschöpflich kreativen Mitbegründer
des Hard Bop; überall waltet die Hand eines überragenden, planvollen
Klangdramaturgen. Damit kann diese Entdeckung nicht dienen: sie könnte
aufnahmetechnisch besser sein, das Quintett ist erst nach fünf Minuten
wirklich beisammen und in Fahrt... Doch oft machen Live-Aufnahmen trotz
kleiner Schönheitsfehler, die einfach zum Leben dazugehören,
außerordentlich Spaß. Horace Silver, live keinen Deut weniger überzeugend
als im Studio, schüttelt, vom Bassisten Gene Taylor und dem Drummer
Louis Hayes assistiert, sehr inspirierte Soli aus dem Handgelenk. Jeder
Ton sitzt mit zwingender Notwendigkeit an seinem Platz. Man bezeichnete
sie als klassisch, wären sie seinerzeit erschienen. Der Trompeter
Louis Smith, der in jungen Jahren so wenige Aufnahmen machte und hier
so viel Feuer und Begeisterungsfähigkeit einbringt, ist der zweite
Hauptgrund für die Anschaffung dieses Albums. Er gehörte der
Gruppe für so kurze Zeit an, daß es nie zu Aufnahmen mit Silver
kam. Drittens reizt allein das Repertoire aus zum Teil ausgefallenen
Silver-Stücken.
Les Trésors du Jazz
1956
Le chant du monde
1956 – was für ein Jahrgang! Die Großen des traditionellen
Jazz sind fast alle noch, die Großen des modernen fast alle schon
aktiv. Die Stilvielfalt der Zeit ist außergewöhnlich: Cool
Jazz, Hard Bop, Bebop, Swing, Oldtime Jazz, West Coast Jazz – das
alles erklingt in diesem Jahr. Die Platte kann es schon in ausgezeichneter
Aufnahmequalität dokumentieren, auch wenn es noch ein Jahr bis zur
allgemeinen Stereophonie hin ist. Die Langspielplatte hat sich aber schon
gegenüber der Schellack durchgesetzt und die Musiker nehmen sich
so viel Zeit wie sie brauchen. Zugegeben, es ist nicht leicht, eine Blütenlese
des Jahres zu treffen, selbst wenn man zehn randvoll gefüllte, übrigens
streng chronologisch angeordnete CDs zur Verfügung hat. André Francis
und Jean Schwarz, die viel Kenntnis und Übung in derlei Kompilationen
haben, vollbringen dies mit sicherer Hand und ausgezeichnetem Geschmack.
Trotzdem kommt es durch eine Bevorzugung von Berühmtheiten, denen
bis zu acht Stücken zugewiesen werden, zu einer dieser Form unnötigen
Einseitigkeit: So gab es 1956 neben Ella und Billie durchaus auch andere
hörenswerte Sängerinnen. Man könnte das ABC durchgehen
und fragen: Warum nichts von Adderley oder Ammons? Warum nur einmal Baker
oder Brubeck? Es wäre aber angehörs so vieler jazzmusikalischer
Höhepunkte ungerecht. Entscheidender ist, dass man 13 Stunden hindurch
nur Weizen und keine Spreu serviert bekommt.
Stéphane
Grappelli
Swinging With Django Reinhardt
Le chant du monde
CDs von Django Reinhardt und Stéphane Grappelli gibt es wie Eulen
in Athen. Doch diese zum 100. Geburtstag des Geigers erschienene 5-CD-Box
ist Schnäppchen und Monument zugleich. Durch die Vereinigung ausschließlich
gemeinsamer Aufnahmen tritt das Besondere der Partnerschaft plastisch
hervor. Verdienstvoll ist, dass endlich einmal der Akzent auf dem Violinisten
liegt, der stolz von sich sagen konnte: „Django war mein Gitarrist.“ Ihre
gemeinsames Quintette du Hot-Club de France war ja weder nach dem großen
Gitarristen, noch nach dem Geiger benannt. Nur die Hörer machten
aus Grappelli „Djangos Geiger“. Django, dessen geniale Improvisationen
ja ihrer Zeit weit voraus waren, beeinflusste als erster Europäer
auch den amerikanischen Jazz. Daher unterschätzen viele zu Unrecht
die Leistungen seines Partners, selbst noch der gutinformierte Autor
des Booklets („Il n’est peut-être pas un créateur
exceptionel“). Grappelli konnte organisieren, war musikalisch gebildet
und verstand etwas vom Geschäft, während Reinhardt „nur“ ein
unberechenbares musikalisches Genie war, das weder Noten schreiben, noch
mit Banknoten umgehen konnte. Sie brauchten einander und beide haben
auch als mustergültigste Vertreter ihrer Instrumente gemeinsam ein
Genre, den „Gipsy Swing“, kreiert. Salz in der Suppe: Die
Box enthält nicht alle ihre Aufnahmen, sondern nur all von ihnen
eingespielten Themen.
Billie Holiday
Rare Live Recordigns 1934–1959
ESP
Eignet sich die besprochene Grappelli-Box auch für Neulinge, so
käme der Einstieg in das Wirken Billie Holidays mit dieser Box einem
Sprung ins kalte Wasser gleich. Vier der fünf chronologisch angeordneten
CDs dokumentieren in zum Teil guter, zum Teil dürftiger, doch nicht
weniger schonungsloser Aufnahmetechnik an Hand von zum Teil seltenen
Momentaufnahmen den stufenweisen Verfall einer großen Sängerin.
Verstehen wir uns richtig: Selbst am Ende ihrer Karriere, als der Umfang
ihrer Stimme auf wenige Töne beschränkt war und ihr rauher
Klang beängstigen konnte, entstand beeindruckende Kunst, ein Spiegel
ihres tragischen Lebens, das zunehmend von Drogen und Alkohol bestimmt
war und so ein frühes Ende in einem Alter fand, in dem andere erst
reif werden. Doch es geht schlicht an die Nieren und kann für sensible
Gemüter ein schmerzhaftes Erlebnis sein, dem man sich ihm eher dann
mit Gewinn unterzieht, wenn man ihr frühes Studiowerk kennt. Diese
Box ist eine optimale Ergänzung für Sammler, die bereits die
Studioaufnahmen kennen. Für alle, die bereits Anhänger Lady
Days sind, ist alles hörenswert: ein längerer Probenmitschnitt
gibt Aufschluss über ihre Arbeitsweise, Rundfunkaufnahmen bringen
persönliche Statements und man hört, wie sie einem Kind „My
Yiddishe Momme“ vorsingt. Der Begleittext, eine Mischung aus Chronik
und Diskografie, ist trotz seiner Fehler interessant.
Lester Young
Live at Birdland
ESP
Auch den späten Young zu hören kann eine schmerzliche Erfahrung
sein. Wie seine Freundin Billie Holiday legte er in seiner Musik mit
unbeschönigter Aufrichtigkeit bloß, wie ihm ums Herz war:
offensichtlich ein goldenes, sanftes Herz, von Kummer gedrückt,
trotz all jener Weisheit, die sich seiner Musik eingeprägt hat.
Ausgerechnet in den 50er-Jahren, als er das gefeierte Idol einer ganzen
Saxophonisten-Generation war, deren coolen Sound er geprägt hatte,
mußte „Pres“ mit gesundheitlichen und gelegentlich
instrumentaltechnischen Problemen kämpfen. Doch mit seiner Musik,
die selbst den mildernden Balsam gegen die durchklingende Schwermut mitliefert,
konnte er sich bis Mitte der 50er-Jahre zu den Höhen der Kunst,
wenn auch nicht zur einstigen Leichtigkeit emporschwingen. Solche begeisternde
Augenblicke kann man hier erleben. Young-Mitschnitte aus dem New Yorker
Birdland gibt es viele, doch diese vom 7. Januar 1953 sowie vom 7. und
15. August 1956 waren zumindest mir neu. 1956 musizierte Young mit dem
Trompeter Don Ferrara und einem Trio aus Bill Triglia, Gene Ramey und
Gus Johnson. 1953 spielte er in Gesellschaft des jungen (von seinem Schüler
Getz entdeckten) Horace Silver, dem Rhythmusteam Franklin Skeete und
Lee Abrams sowie dem Trompeter Jesse Drakes, der mit seiner boppigen
Trompete damals oft eine animierende Kontrastfolie zu Young bildete.
Marcus A. Woelfle |