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Er hat den Jazz umgemodelt. In jeder Hinsicht: rhythmisch, harmonisch, melodisch, was die Art des Zusammenspiels und die Qualität der Expression, der Kompositionen, der Arrangements und der Improvisationen anbelangt. Dizzy Gillespie berührte mit seiner Trompete einen neuralgischen Umschlagpunkt des Jazz. Was damals lebendiges Spiel jenseits der Kategorien bedeutete, heißt heute Bebop. Seit jener Zeit ist im Jazz nichts mehr so, wie es einmal war. Und doch entspringt, gerade bei Dizzy, die Erneuerung dem Geist der afroamerikanischen Tradition.
„Wer unsere Musik studiert, kommt darauf, wenn er weit genug zurück geht,“ so Dizzy Gillespie, „dass ihre wesentlichste Quelle Afrika ist. Die Musik aus Kuba, aus Brasilien und von den westindischen Inseln ist ebenfalls afrikanischen Ursprungs, hat aber nicht eine solche Wirkung gehabt wie Jazz, Spirituals und Blues, die von den Negern in den Vereinigten Staaten geschaffen wurden. Diese Musikarten haben alle etwas gemeinsam, das sie von ihrer Mutter haben: Ihre Mutter ist der Rhythmus und der Rhythmus ist Afrika.“ Das sagt ein Musiker, der am 21. Oktober 1917 als letztes von neun Kindern in einer Kleinstadt in South Carolina geboren wurde. Der Vater war Maurer und leitete eine Amateurband. Der junge John Birks, den seine Kollegen später „Dizzy“ nannten, übte sich als Kind auf den verschiedenen Instrumenten in der elterlichen Wohnung. Mit zwölf spielte er Posaune, ein Jahr später entdeckte er das Instrument, das dann die ganze Welt mit ihm assoziierte: die Trompete. Wie viele Jazzmusiker orientierte sich auch Dizzy Gillespie zu Beginn seiner Laufbahn an einem vorgegebenen Rollenmodell: „Als ich anfing, wollte ich nur Swing spielen. Eldridge war mein Mann... Ich habe immer nur versucht, genau so wie er zu spielen, aber ich habe es nie ganz geschafft und das hat mich dann jedes Mal scheußlich irritiert. Also versuchte ich es mal mit etwas anderem. Daraus hat sich dann das entwickelt, was als Bop bekannt geworden ist.“ Der Schlagzeuger Art Blakey resümierte: „Dizzy und Bird waren damals noch jung, und sie wurden bald lebende Legenden. Die beiden haben die Richtung der Musik geändert.“ Joachim Ernst Berendt nannte Dizzy Gillespie und Charlie Parker treffend die „Dioskuren des Bop“. Charlie Parker, der sich im Kreislauf von Sucht, Drogen und existentiellen Krisen selbst zu Grunde richtete, mag der musikalisch radikalere gewesen sein. Dizzy Gillespie dagegen tat alles, um den neuen Jazz gesellschaftsfähig zu machen. Dabei ist er, der geborene Entertainer, gelegentlich auch in die Rolle des Clowns geschlüpft. Berendt bemerkt scharfsinnig, Dizzy hätte etwas Unverkäufliches durch die Art seines Auftretens verkäuflich beziehungsweise für einen größeren Publikumskreis zugänglich gemacht. Der Trompeter Dizzy Gillespie bedarf in mehrfacher Hinsicht der Würdigung: als Klangvisionär, der zugleich eine gänzlich individuelle Virtuosität entwickelte, als Komponist, Arrangeur und Bandleader, als Sänger mit unvergleichlichen Bebop-Vocals und als Inszenator einer hochexplosiven Mixtur aus Jazz und afrokubanischer Musik. Mit letzterer begann er bereits in den vierziger Jahren, als er den Conga-Spieler und Sänger Chano Pozo in seine Big Band integrierte. Auch später hat sich Dizzy Gillespie, entgegen den Embargo-Gesetzen der USA, immer wieder für kubanische Jazzmusiker eingesetzt – für Paquito D’Rivera, Arturo Sandoval, Gonzalo Rubalcaba und viele andere. Mit seinem „United Nation Orchestra“ thematisierte er die
Vision eines vereinten Nord-, Mittel- und Südamerika. Auf Einladung
des Erdnuss-Farm-Präsidenten Jimmy Carter trat er im Weißen
Haus auf und hat dort gemeinsam mit Carter seinen Erfolgstitel „Salt
Peanuts“ gesungen. Ungeachtet seiner Auftritte als Showman, ließ
Dizzy Gillespie nie einen Zweifel an seinem streitbaren Engagement für
die Rechte der Afroamerikaner. 1963 unterstützte er den Marsch auf
Washington für Arbeit und Freiheit. „Diz fo President“,
Dizzy Gillespies Kandidatur für das Amt des amerikanischen Präsidenten,
glich hingegen eher einer Clownerie. Was manchen wie eine Farce anmutete,
offenbarte jedoch ein unmissverständliches Engagement. In der Standardrede
von Dizzys Wahlkampagne hieß es: „Wenn ich zum Präsidenten
der Vereinigten Staaten gewählt werde, wird meine erste Durchführungsbestimmung
die Umbenennung des Weißen Hauses in Blues House betreffen. (...)
Alle Justizbeamten und Richter in den Südstaaten werden Schwarze
sein, damit wir etwas Wiedergutmachung bekommen.“ Nicht weniger
originell, das Schattenkabinett des Dizzy Gillespie: „Max Roach
hat sich als Kriegsminister angeboten, aber da wir nicht mehr beabsichtigen,
Kriege zu führen, konnte ich ihn überzeugen, Verteidigungsminister
zu werden. Ray Charles wird die Leitung der Library of Congress übernehmen.“
1957 kündige Dizzy Gillespie an, er werde sich 1976 zur Ruhe setzen,
nur noch sechs Monate im Jahr arbeiten und die restliche Zeit in Afrika
fischen gehen. Nichts dergleichen ist geschehen. Dizzy blieb rastlos bis
in das letzte Jahr seines Lebens. Januar, Februar 1992, wenige Monate
vor seinem 75. Geburtstag engagierte ihn das New Yorker „Blue Note“
für ein mehrwöchiges Gastspiel mit Musikern seiner Wahl. Dizzy
hat diese Zeit als besonders glücklich empfunden. Bald darauf wurde
er ins Krankenhaus eingeliefert. Am 6. Januar 1993 starb er an den Folgen
des Bauchspeichelkrebses. Bert Noglik
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