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Was waren das noch für Zeiten, als die Musiker ihre Instrumente stimmten, die Kabel in die Verstärker stöpselten und ganz einfach zu spielen begannen. Alles Schnee von gestern. Heute ist der ein Exot, der ohne Laptop auf die Bühne geht. Es müssen technische Ungetüme her, wie Sampler Emulatore, Trommelmaschinen, Synthesizer, um interessant zu sein. Erst Laptops, Plattenteller und Remix-Geräte machen das Leben schön. Wenn einem schon nichts selbst einfällt, zum Trittbrettfahrer reicht es immer noch. Unbegreiflich vergeistigte Gesichter starren stundenlang auf ihren Laptop oder DJs mit Nackenstarre traktieren brutal ehemals schönes Vinyl. So bleibt der Schluss: Der agierende Musiker ist out. Das internationale Jazzfestival im österreichischen Saalfelden hat den Ruf, einen Überblick über die momentane Jazzszene und deren Tendenzen zu geben. Waren so Anfang der 90er Musiker aus dem Dunstkreis der Knitting Factory präsent, folgten darauf Vertreter der Weltmusik im Zusammenspiel mit Avantgarde Rock oder Vertretern der New Music Avantgarde. Den derzeitigen Zeitgeist huldigend waren in diesem Jahr, neben Tribute-Projekten, Avantgarde-Rock, und Weltmusik-Symbiosen, vor allem Bands mit starken Verfremdungs-Ambitionen zu erleben. „Richtiger Jazz“ war schon so selten, dass es auffiel und, wenn hörbar, Begeisterung auslöste. Die meisten technisch überfrachteten Darbietungen oder manch fragwürdiger Weltmusik-Matsch dagegen langweilten auf Dauer derartig, dass man den Tatort kurzerhand in Richtung „Grüner Veltliner“ verließ. Dass ein erfindungsreiches Zusammengehen von musikalischen Ideen und technischen Effekten dennoch möglich ist, zeigte das Trio „Napoli’s Walls“. Angeregt durch die wilden Mal-Fantasien des Aktionskünstlers Ernest Pignon-Ernest, unternahm der Klarinetten-Virtuose Louis Sclavis den Versuch, von traditioneller Kammermusik ausgehend, zu Elementen der Jazz-Avantgarde zu gelangen. Unter dieser Inspiration sind auch die Titel wie „Farben der Nacht“ oder „Kennedy in Napoli“ nachvollziehbar. Auf diesem Streifzug durch die Gassen Napolis begegneten die Musiker der Kultur des Mittelmeerraumes oder einem von Zigeunern beherrschten Straßenzug oder Kleinafrika. Das alles konnte man hören, bevor der Endpunkt, Big City Sound unserer Zeit, erreicht war. Ein glaubwürdiges und ein äußerst spannendes Projekt. Gründlich misslungen war das Treffen von Star-Drummer Jack deJohnette mit Kora-Spieler Foday Musa Susa aus Gambia. In farbigen Batik-Tuch in Afro-Art gehüllt wollte der erfahrene Jack deJohnette zu seinen afrikanischen Wurzeln finden. Was jedoch dabei herauskam, war blankes Wasserträgertum für seichtes Kora-Geplätscher mit Sampling-Schleife. Ebenso enttäuschend der Auftritt von Uri Cane. Schnulzig triefender Hollywood-Kitsch der allerschlimmsten Sorte, unbegreiflich. Die Geschichten des französische Trompeters Erik Truffaz sind absolut nichts Neues. Mit Drum’n’Bass und stechend vibratolosen Tönen zog bereits der Magier Miles Davis große Hörerkreise in den Bann. Dennoch ist diese Maschinenmusik von Truffaz, insbesondere durch die extreme Trommelwucht von Philippe Garcia und das wunderbare Bassspiel Michel Bénita, vielschichtig und hat unbestritten Reize. Bis zum Erscheinen des Sufi-Sängers Mounir Troudi blieb es auch so. Die zweite Halbzeit ging dann an diesen Sänger: Oben der Muezzin, unten vier verunsicherte Musikanten, Zeitgeist wohin man schaut.Flacher und noch enttäuschender war der Auftritt der in New York lebenden Perserin Sussan Deyhim mit Band. Nach einigen recht passablen Iran-Rock-Nummern animierte Drummer Will Calhourn die Besucher zu Klatschorgien à la Musikantenstadl…, dann also doch lieber wieder „Grüner Veltliner“. Musikalisch herausragend und im Sinne des Festivaltitels „Jazz“ war das Quartett des Schlagzeugers Daniel Humair. Wer Daniel Humair näher kennt weiß, er duldet kein Mittelmaß. Seine Bilder, seine Musik und sein Weinkeller – alles hält allerhöchsten Ansprüchen stand. Das gilt zweifelsfrei auch für die Band „Liberte Surveillée“. Alles läuft ab wie ein spannender Kriminalroman. Die Themen fungieren als Handlungsstränge, die Instrumente handeln wie Personen, Beziehungsgeflechte sind da, die Erzählung beginnt. So krallen sich die vier ein Thema, stellen es dar, verformen es, liefern Gedanken, Selbstdarstellungen und knisternde Dialoge. Musikalisch werden, wie im echten Gespräch, Zitate zur Verständigung genutzt, andere Kulturen eingewebt und konsequent gearbeitet. Das Jazzer-Leben ist, wenn es gut ist, kreativer Eklektizismus! Daniel Humair, Marc Ducret, Bruno Chevillon und Ellery Eskelin haben hierzu den Mut gefunden und Freiheit, Ruhe und Powerplay ist ihr Spannungsfeld. Der Publikumshit aber war das Captain Beefheart Project „Fast_n Bulbous“ von Gary Lucas & Band. Er, der ewig zweite Mann bei Beefheart, tobte sich hier aus. Schräg und durchgeknallt die Themen, stampfend und eingängig die Rhythmen und hart und betörend die zappaesken Bläsersätze. Natürlich war da etwas Wut, bestimmt aber auch jede Menge Ehrfurcht gegenüber dem begnadeten und verkannten Neuerfinders der 12-Takt-Kultur dabei. Dafür hatte es sich gelohnt! Matthias Creutziger |
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