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Im Jazz konzentrierte sich für die Nazis ein guter Teil der Übel dieser Welt: Niggermusik, Judenmusik, Kulturbolschewismus, sexuelle Aufreizung, rhythmische und weltanschauliche Unzuverlässigkeit, Ungehorsam, Wehr-unwilligkeit. Der Jazz wurde verfolgt, anfangs durch sozialen Druck, später durch zunehmend massive Gewalt. In ihrem reaktionär unterfütterten Musikgeschmack waren die
deutschen Machthaber zwischen 1933 und 1945 allerdings weitgehend einig
mit Konservativen, und nicht nur auf dem europäischen Kontinent,
wenn man etwa einen Artikel der New Orleans Times aus dem Jahre 1917
würdigt, in dem Jazzbands als „Manifestationen der untersten
Schublade des schlechten Geschmacks, die noch nicht vom Zivilisationsprozess
weggeschwemmt wurden“, bezeichnet werden. Die Nazis haben den heftigen
Affekt gegen den Jazz also nicht erfunden, sie haben ihn nur mit staatlicher
Gewalt exekutiert. Aber Monica Ladurner und Wolfgang Beyer geht es in
ihrem Buch weniger um die nationalsozialistische Musikpolitik als vielmehr
um die subkulturellen Tendenzen, die sich in den dreißiger Jahren
um den anfangs als verdächtig-anrüchig und später nur
noch als kriminell behandelten Jazz bildeten. Denn womöglich war
die jugendliche Swing-Szene jener Zeit, die es in vielen europäischen
Ländern in verschiedener Ausprägung gab, auch ers- ter Vorschein
einer eigenständigen und durchaus nicht politikfernen Jugendkultur,
wie sie erst wieder in den sechziger Jahren auf der historischen Bühne
erschien. Ladurner und Beyer haben dieser europäischen Swing-Subkultur
ein Buch gewidmet, das nicht im engeren Sinne eine his-torische Untersuchung
ist, sondern eher die lesbare Frucht eines Films, den die beiden für
den Österreichischen Rundfunk gedreht haben. Monica Ladurner und Wolfgang Beyer zeichnen in ihrem sorgfältig erzählten Werk die anti-nationalsozialistische Swing-Jugendkultur der 30er- und 40er- Jahre kenntnisreich nach. Sie richten ihre Blicke nicht nur nach Deutschland, wo sie ein besonderes Augenmerk auf die mörderische Repression der Nazis gegen die selbstbewusste Mittelschicht-Bewegung der Hamburger Swingjugend richten; sie berichten aus der Tschecho- slowakei, wo in Sachen Jazz viel mehr Leben herrschte als im restlichen Europa; sie berichten von Frankreich und der Entwicklung der Subkultur der Zazous zum Nachkriegs-Existentialismus; und sie berichten ausführlich und materialreich aus Österreich. Man erfährt unter anderem, dass – bei aller Gemeinsamkeit in Sachen Dresscodes, Neudefinition von Geschlechterrollen und lebendigen Beziehungen zum illegalen internationalen Tonträgerhandel – auch bemerkenswerte Unterschiede zwischen nationalen Swing-Jugend-Ausprägungen bestanden. Die Wiener Schlurfs zum Beispiel waren, im Gegensatz zu ihren deutschen Seelenverwandten, eher proletarischer Herkunft und behaupteten durchaus mit aktiver Gegengewalt gegen die Hitlerjugend die nächtliche Dominanz im Prater. Sehr präzise und bitter fallen in dem Buch die Geschichten der Verfolgung aus, die nachbarschaftliche Milieus mit Misstrauen und Hass durchsetzen und nicht weniger mörderisch waren als in Deutschland. Hans-Jürgen Linke Buch und Film-Tipp
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