Vor gut einem Jahrzehnt hat Jens Thomas eine der steilsten Karrieren
der deutschen Jazzgeschichte hingelegt. Damals wurde er europaweit mit
Preisen überhäuft. Nach acht Jahren Plattenpause hat sich der
Pianist nun die australischen Hardrocker AC/DC vorgenommen, deren Songs
er zu intimen, lyrischen Stimmungsbildern herunterdimmt. Elegische Farbtupfer
setzt der Trompeter Verneri Pohjola; das Singen übernimmt Jens Thomas
selbst. Antje Rößler traf den Musiker in seinem Wohnort Berlin.
JazzZeitung: Herr Thomas, vor einem Jahrzehnt wurden Sie als Jazz-Newcomer
gefeiert. Ihre letzte Platte erschien 2003. Was haben Sie inzwischen
gemacht?
Jens Thomas: Ich war am „Othello“ in der Regie von Luk Perceval
an den Münchner Kammerspielen beteiligt; dort begann ich übrigens
auch, mit meiner Stimme zu arbeiten. Danach gab es eine Einladung des
Bayerischen Staatsschauspiels für „Clavigo“; da wurde
ich sogar ausschließlich als Stimm-Performer eingeladen. Dann war
ich zwei Jahre „Artist in Residence“ am Bochumer Schauspielhaus.
Dort konnte ich alles ausprobieren, was mir so durch den Kopf ging; und
dabei kam mir auch die AC/DC-Idee.
JazzZeitung: Warum gerade AC/DC?
Thomas: Ich bin schon lange Fan. Mein älterer Bruder hat immer AC/DC
gehört. Ich war etwa zehn, als die Songs erschienen, die ich jetzt
auf der Platte verwende. Die Stücke stammen von drei Alben. Das
wichtigste ist „Highway to Hell“; das letzte mit Bon Scott
als Sänger. Dann „Back in Black“, das erste mit dem
neuen Sänger Brian Johnson. Beide wurden so 1979/80 veröffentlicht.
Und schließlich „High Voltage“ von 1976.
JazzZeitung: Warum sind Ihre Versionen so ruhig?
Thomas: Von den musikalischen Motiven her ähneln sich viele AC/DC-Stücke.
Die Songs leben von der Energie dieser Band. Ich konzentrierte mich auf
Stimme, Klavier und Trompete, um zu schauen, ob es auch eine „andere
Seite“ in diesen Stücken gibt. Irgendwann war klar, dass das
nur funktioniert, wenn man das Gegenteil von dem macht, was AC/DC macht.
Deswegen habe ich mich vor allem auf die Texte konzentriert, um die ich
dann zum Teil sehr frei drumherum komponiert oder improvisiert habe.
JazzZeitung: Geben die Texte das inhaltlich
her?
Thomas: Hauptsächlich geht es natürlich um Sex, Drugs and Rock’n’Roll
und um das harte Tourleben. Etliche Texte sind aber vieldeutig. Zum Beispiel „Life
Wire“, also der „Lebensdraht“. Viele Texte haben auch
etwas Verzweifeltes. Bei „TNT“ ist mir aufgefallen: Das könnte
fast die Story eines Selbstmordattentäters sein. Trotzdem sind solche
Deutungen kein Ausgangspunkt gewesen. Ich empfinde die Texte als Klang-
und Assoziationsmaterial, die Räume für die Musik und manchmal
auch für die Stille öffnen.
JazzZeitung: Warum haben Sie den finnischen
Trompeter Verneri Pohjola mit in dieses Projekt genommen?
Thomas: Ich kannte Verneri anfangs gar nicht. Siggi
Loch hat mich auf ihn aufmerksam gemacht, und ich fand seine Musik total überzeugend.
Dann haben wir uns getroffen, um ein paar Stücke aufzunehmen. Wir
brauchten gar nicht zu proben. Er hat sich gleich so in meine Musik reingefunden,
dass ich sein Spiel so spontan wie möglich auf der Platte haben
wollte.
JazzZeitung: Woher stammt das merkwürdige Cover?
Thomas: Das ist ein Kunstwerk des polnischen Künstlers Gregor Gaida.
Es passt gut zu AC/DC, finde ich, denn für mich hat die Band so
etwas Schamanistisches und extrem Ekstatisches. Das Cover zeigt dieses
Archaische, Tierische, leicht Eklige. Wenn Sie die Platte hören,
dann gucken Sie mal auf den Typen: Es sieht so aus, als würde er
singen… (lacht).
JazzZeitung: Ihre früheren Alben waren sehr erfolgreich. Fühlen
Sie jetzt einen Erwartungsdruck?
Thomas: Natürlich wünsche ich mir, dass das Album Erfolg hat.
Aber inzwischen weiß ich auch, dass man das nur zu einem gewissen
Grade in der Hand hat. Ich selbst bin einfach froh, dass es diese Platte
jetzt gibt.
JazzZeitung: Können Sie eigentlich vom Klavierspiel leben?
Thomas: Ab und zu mache ich Theaterprojekte, jetzt zum
Beispiel den „Hamlet“ am
Thalia-Theater. Und der „Othello“ läuft nun schon seit
acht Jahren. Manchmal mache ich Filmmusik und zunehmend auch Workshops
mit der Stimme. Die Teilnehmer sind meistens Laien, die nicht Noten und
Technik lernen wollen, sondern Lust haben, ihre eigene Stimme zu entdecken
und damit wilde Sachen zu machen.
JazzZeitung: Haben die Erfahrungen mit der
Stimme Ihr Klavierspiel beeinflusst?
Thomas: Schon früher hatte ich daran gearbeitet, mit immer weniger
Tönen eine Aussage zu machen. Das hat sich jetzt noch verstärkt.
Wenn ich selbst singe, reduziere ich das Klavierspiel noch mehr. Es ist
mir wichtig, dass ein Song – auf welche Art auch immer – dem
Zuhörer etwas erzählt und nicht nur Musik als Selbstzweck ist.
Jens Thomas: Speed Of Grace
ACT/edel
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