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Jazzzeitung

2012/01 ::: seite 8

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Inhalt 2012/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig no chaser: Totenkult Farewell: Frank Foster Paul Motian

TITELSTORY: Töne, Schweiß und Ohrenkitzel
Warum der Jazz wieder Kritiker braucht, die über Augenblicke schreiben

GESCHICHTE - Basies Weggefährten (2)
Am 2. März wäre Eddie „Lockjaw“ Davis 90 Jahre alt geworden...

Berichte
20 Jahre ACT // Zum Deutschen Jazzfestival Frankfurt 2011 // Martin Schmitt startet mit „Aufbassn“ neu durch // 10 Jahre Unerhört Festival – die aktuelle Musik in Zürich

Portraits
Eva Cottin // Jutta Hipp // Alexandra Lehmler // Lizzy Loeb // Jens Thomas

Jazz heute und Education
Hans Lüdemann – ein Jahr Unterricht an einem US-College und die Folgeng // Nachrichten // Fortbildungskalender 2012 (pdf) // Abgehört: Fusion goes Bebop: Larry Coryells Gitarrensolo auf „Tadd‘s Delight“ von Tadd Dameron

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Eine „ziemlich andere“ Jazzgeigerin

Eva Cottin – wissbegierig und experimentierfreudig

Die Geige spielte im Jazz zwar nie die Rolle von Saxophon, Trompete, Schlagzeug und Co., aber sie war immer vorhanden, auch Dank großer Interpreten wie Stéphane Grappelli oder Stuff Smith und sie hat sich behauptet bis in die Gegenwart. Man gewinnt sogar den Eindruck, dass sich wieder mehr junge Jazzmusiker dieses für den Jazz scheinbar eher weniger geeigneten Instruments annehmen, dass Geigerinnen und Geiger in kleineren Bands ihre eigene Stimme behaupten oder gar eigene Formationen bilden. Zu ihnen gehört die 1986 in Düsseldorf geborene, im benachbarten Neuss aufgewachsene Eva Cottin, eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte junge Musikerin. Mit vier Jahren schon wollte sie unbedingt Geige spielen. Nach ersten Unterrichtsjahren an der Neusser Musikschule wurde sie bald in das NRW-Landesjugendorchester und das Neusser Kammerorchester aufgenommen, nahm an „Jugend musiziert“ teil, leitete ein Streichquartett. Mit Jazz kam sie erstmals in Berührung, als das Landesjugend- mit dem Landesjazzorchester ein gemeinsames Projekt präsentierte. Aber noch studierte sie weiter klassische Geige an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule.

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Doch mit achtzehn geriet sie in eine „Sinnkrise“: „Ein Leben lang im Orchester zu sitzen, um so perfekt zu klingen wie alle anderen, das kann es doch nicht sein. Ich hatte zwar ein gewisses klassisches Niveau erreicht, aber ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen soll. Ich nahm dann Unterricht bei Geoffrey Warton, damals Konzertmeister im Kölner Gürzenich-Orchester. Er komponierte auch selbst und konnte gut improvisieren, und er hat bald bemerkt, dass ich einen freieren Umgang mit dem Instrument brauche. Wir schrieben eigene Kadenzen für Mozart-Konzerte, ich hatte ja schon seit mehreren Jahren auch Theorie- und Klavierunterricht genommen. Und während dieser Arbeit wurde mir klar, ich will meine eigene Musik machen, ich will eigene Stücke schreiben! In der Klassik habe ich einfach keinen Weg mehr für mich gesehen.“

Sie nahm eine Probestunde bei Michael Gustorff, der an der Kölner Musikhochschule und am Konservatorium im niederländischen Arnhem Jazzgeige lehrt. „Da habe ich gemerkt, das ist es! Das möchte ich lernen.“ Gleich nach dem Abitur zog sie nach Arnhem, dessen Konservatorium einen besonders guten Ruf für Jazzgeige hat. Sie beendete ihr Studium nach zwei Jahren mit einem – wie in den Niederlanden üblich – doppelten Abschluss, einem künstlerischen und einem pädagogischen. Vor dem Studium wusste sie nicht viel vom Jazz: „Ich kannte nur das Gängige, Swing und so, auch wenn mich Stéphane Grappelli schon sehr beeindruckt hatte. Aber was man im Jazz alles machen kann, wie weit man gehen kann, das wurde mir erst während des Studiums in Arnhem klar. Dort wird man von Anfang an gezwungen, Ensembles in den verschiedenen Musikrichtungen zu belegen, und ich begriff schnell, dass viel mehr möglich ist, als traditionellen Jazz zu spielen. Und das hat mich fasziniert.“

Geige und Frauenstimme

Eva Cottin hat mit der herkömmlichen viersaitigen Geige begonnen, auf ihr musiziert und studiert. Dann machte sie eine bedeutsame Entdeckung: „Ich spielte in einer Band mit einer Sängerin. Geige und Frauenstimme haben etwa den gleichen ‚range’, sie decken sich so ungefähr. Das hat einfach kollidiert, aber ich wollte nicht immer die Sängerin überdecken. So habe ich mich mehr in der Funktion einer Gitarristin gesehen, habe viele Akkorde auf der Geige gespielt, mehr so als Begleitpattern. Aber das gefiel uns nicht wirklich. Dann habe ich angefangen, Bratsche zu spielen, auch Unterricht genommen. Bratsche hat wie Geige auch nur vier Saiten, nämlich c-d-g-a, und ist eine Quint tiefer als Geige mit den Saiten g-d-a-e, aber eine Oktave höher als Cello. Bratsche ist eben ein Mittelstimmen-Instrument. Aber bald störte mich, dass die Mensur doch ein ganzes Stück größer ist als bei der Geige, und da ich kleine Hände habe, hatte ich beim Bratschespielen das Gefühl, nicht über die richtige Technik zu verfügen. Danach spielte ich schlechter Geige, wechselte in der Band dann immer zwischen beiden Instrumenten, je nach Stück, und spielte wegen der ständigen Wechselei unsauber.“

Wie aus dem Dilemma herauskommen? Zufällig entdeckte sie, dass amerikanische Blue-Grass-Fiddler, die Country Geiger, auf fünfsaitigen Geigen spielen. Im Internet fand sie heraus, dass auch einige bekannte Jazzgeiger auf fünf Saiten spielen, allerdings allesamt auf elektrisch verstärkten Geigen. Aber mit E-Geige möchte sie noch warten: „Ich will mich nicht überfordern. Wenn man auf einer E-Geige gut klingen will, muss man sich mit Elektronik wirklich auskennen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn jemand mit zehn Effektgeräten auf der Bühne steht und nicht weiß, worauf er gerade trifft. Ich mache lieber eine langsame Entwicklung.“ Da fünfsaitige Instrumente hierzulande nicht zu kaufen sind, bestellte sich Eva Cottin in Minneapolis, wo die meisten Folk Fiddler ihre Instrumente kaufen, eine Geige mit einer zusätzlichen c-Saite, also mit c-d-g-a-e, „damit ich vom ‚range’ her genau Geige und Bratsche zusammenbringe, so dass ich die Vorteile von beiden Instrumenten nutzen kann. Der Klangkörper ist breiter, aber nicht länger, für mich also bequem und mit dem angestrebten Klangbild bespielbar.“

Ihre Experimentierfreude ist mit ihrer fünfsaitigen Geige aber noch nicht erschöpft. Sie legte sich noch eine fünfsaitige Trumpetviolin zu, nach ihrem Erfinder auch Strohgeige genannt. Man sieht sie manchmal auf alten Fotos von Tanz- und Jazzorchestern in den zwanziger Jahren, als die Bands immer lauter wurden und Geigen sich nicht gegen die Bläser durchsetzen konnten. Anschaulich erklärt die junge Geigerin die Wirkungsweise dieses ungewöhnlichen Instruments: „Die Saiten vibrieren, der Steg vibriert, und es gibt so eine Art Metallfuß, der wird angeschlossen und bringt eine Membrane zum Schwingen, die dann durch den Trichter verstärkt wird. Das ist eine rein mechanische Sache. Die Strohgeige braucht dadurch keinen Klangkörper, weil einfach die Membrane vibriert und den Klang auf den Trichter überträgt.“ Sie spielt die Trumpetviolin bevorzugt in dem Trio "Kammer 21" mit dem Pianisten Till Schumacher und dem Saxophonisten Lutz Streun immer dann, wenn letzterer Bassklarinette spielt.

Eva Cottin hat sich viele Gedanken darüber gemacht, wie Geige heute im Jazz zu klingen hat, auch wie sie sich behaupten kann neben den „eigentlichen“ Jazzinstrumenten. Großen Eindruck machte auf sie die amerikanische Geigerin Carla Kihlstedt, an der sie die stilistische Breite zwischen Folklore, Jazz und Neuer Musik sowie ihre Klangexperimente bewundert, etwa wenn sie vier e-Saiten aufzieht, „um einen nur auf Sekunden und Terzen aufbauenden metallisch klingenden Akkord zu erzielen“. Überdies benutzt auch sie gern eine Trumpetviolin.

Immer etwas Neues…

… ausprobieren, das ist auch Eva Cottins Sache. So beschreibt sie die Musik von „Kammer 21“: „Exploring the space between Jazz, contemporary classical music and free improvisation can be really melodic and just beautiful“, denn „bei freier Improvisation denken viele immer nur an Free Jazz, Geräusche und Krach, aber wir finden, dass dabei sehr wohl Akkorde und Melodien entstehen können, nur dass sie eben frei im Moment entstehen. Dabei ist wichtig, Kontraste zu schaffen, zwischen Lyrischem und ‚Heftigerem’ zu changieren.“ – Diesem Konzept folgt exakt auch Eva Cottins zweite Band, die sie nach ihrem „nickname“ aus der Arnhemer Zeit „Eva Sterk“ nennt, ein Trio, zu dem außer ihr noch Raphael Armin, „einer der wenigen Geiger, der sich richtig gut auskennt mit elektronischer Musik“, sowie Philip Mancarella an Drums, Syntheziser, Rhodes et cetera gehören. In dieser Besetzung und mit Lutz Streun (bcl, ts) auf zwei Titeln entstand jetzt Eva Cottins erste CD „Mantric Jogging“, eine reizvolle, akustisch und elektronisch aufbereitete Performance mit ausschließlich Evas eigenen, jedoch von der ganzen Band arrangierten Kompositionen. Sie spielt dabei nicht nur auf ihren speziellen Violinen, sondern bietet mit ihrer zarten, fast zerbrechlichen Stimme à la Charlotte Gainsbourg eigene Texte dar: „Screaming, whispering, declaiming or in the end just singing, she ist telling her very personal truth. Delightfully subjective and with open eyes for every-day’s hideaways.“ Entstanden ist ein bemerkenswertes Beispiel für jungen, zeitgenössischen Jazz. Von der erfolgreichen Release-Tournee in Berlin, Köln, Wuppertal, Kiel, Hamburg, Halle und Leipzig berichtet Eva Cottin auf ihrem blog www.evasterk.com und ihrer Homepage www.eva-cottin.com.

Dietrich Schlegel

CD-Tipp

Eva Sterk: Mantric Jogging
Hidden Hedgehog Records, 2011

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