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„Basie-ites“ nennt man bisweilen in der angloamerikanischen Fachpresse jene Musiker, die man mit dem Orchester und der Klangwelt Count Basies assoziiert. In unregelmäßiger Reihenfolge stellt Marcus A. Woelfle einige dieser Größen in der JazzZeitung vor. Dies ist die Fortsetzung seines in der Jazzzeitung 5/2011 begonnenen Portraits des Tenoristen.
Count Basie führte auch ein Lokal in Harlem. Ab Januar 1958 wurde das „Count Basies’s“ die Heimstätte einer wegweisenden Combo „Lockjaws“: Bis 1960 leitete Davis zusammen mit der Organistin Shirley Scott ein Trio, das sehr zur Popularisierung der sogenannten Orgeltrios (Tenor, Hammondorgel, Schlagzeug) beitrug. 1955 hatte er sich mit Scott zusammengeschlossen, weil er es leid war, immer mit den stets wechselnden local ryhthm sections jener Städte zu spielen, durch die er zog. Damals war es für einen etablierten Jazzmusiker keine Selbstverständlichkeit, einen Organisten oder eine Organistin als musikalischen Weggefährten zu wählen und „Lockjaw“ musste die bittere Erfahrung machen, dass die Orgel von einem Teil der Jazzhörer nicht angenommen wurde. Für seine Prestige-Alben (populär wurden die „Cookbook“-Sessions) wurde das Trio mit Scott aber um andere Musiker ergänzt, namentlich um dem Bassisten George Duvivier, der Scott die Fußarbeit abnahm. Die Beliebtheit der mit Scott geleiteten Gruppe setzte Davis auch für die Förderung kaum bekannter Talente ein. So begleitete seine Band in der Prestige-Serie „The Eddie ‚Lockjaw‘ Davis Showcases“ Bluesvokalisten wie Al Smith oder Mildred Anderson. An der Seite von Shirley Scott entstand zum Beispiel „Lockjaws“ Version von „Body & Soul“, die Respekt abringt, zumal jede tenoristische Version dieser Ballade sich unweigerlich einen Vergleich mit der legendären 39-er Aufnahme von Coleman Hawkins aussetzt, umso mehr jene eines Hawkins nahestehenden Musikers. Seine Eigenständigkeit gegenüber Hawkins bewies Eddie „Lockjaw“ Davis aber gerade im Zusammenspiel mit dem Vater des Tenorsaxophons. Auf dem 1960 entstandenen „Night Hawk“ erleben wir einen Dialog zwischen dem vergleichsweise relaxten Hawkins und dem erregteren Lockjaw, aber kein „battle“ mit seinem geistigen Großvater. Schon im Vorjahr waren die beiden Tenoristen gemeinsam im Studio gewesen, um für „Very Saxy“ mit zwei Kollegen der texanischen Schule, Buddy Tate und Arnett Cobb, um die Wette zu blasen. „I like to reach a listener first“, erklärte Eddie zur Zeit seiner Zusammenarbeit mit Scott „through direct, not-too-complicated melodies. Then, when I have this attention, I elaborate with my horn on whatever else there is to say. You’ve got to be considerate of an audience. Few of the people you play for are musicians or know enough about music to appreciate way out things.” Mit diesem Ansatz genoss Eddie Davis in den späten 50-er Jahren eine beachtliche Popularität, die desto verständlicher wirkt, als sein Spiel eine eigenständige Alternative zu den von Modernisten wie Sonny Rollins und John Coltrane gesetzten Trends darstellte. Dass er selbst ein unorthodoxer Musiker war, störte offenbar so wenig, dass selbst der stockkonservative Hughes Panassié, der Doyen der französischen Jazzkritik, für den schon Bebop kein Jazzstil mehr war, „Lockjaw“ unter die größten Tenoristen rechnete. Als rau und aggressiv spielender Tenorist war „Lockjaw“ bestens eingeführt. Natürlich hatte seine Plattenfirma aber auch ein Interesse daran, ihn von seiner sanfteren Seite zu präsentieren. Als Prestige 1959 sein Unterlabel „Moodsville“ gründete, dem die Aufgabe zukam, anspruchsvolle „mood music“ unter eine breitere Hörerschaft zu bringen, betraute zuallererst ausgerechnet Davis mit dem ersten dieser Easy-listening-Alben. Dass der selbst bei Balladen oft noch kraftvoll zupackende Musiker sich dabei künstlerisch nicht kompromittierte, versteht sich bei einem so urwüchsigen, durch und durch individualistischen, jeglichem Kitsch abholden Musiker fast von selbst. Ein Lieferant für unauffällige Nettigkeiten war „Lockjaw“ nicht. Dafür war er ein zu kompromissloser Vollblutjazzer. Sein Credo war allerdings: „I don’t want to be typed, but simplicity is my theme and I do want to stay close to basic ingredients“. Dies schließt aber die Öffnung zu neuen Tendenzen ein, vor allem wenn sie seelenverwandt sind. Dass Davis nicht zum alten Eisen gehörte, sondern auf der Höhe seiner Zeit stand, bewies er zu Beginn des neuen Jahrzehntes anhand zahlreicher Aufnahmen, etwa dem Bigband-Album „Trane Whistle“. Der noch am Anfang einer großen Karriere als Arrangeur und Komponist stehende Oliver Nelson komponierte für dieses Album zum Beispiel „The Stolen Moment“, unter dem Titel „Stolen Moments“ bald ein Blues-Klassiker des modernen Jazz. funky und churchy Mit all seinen Blues- und Gospel- getränkten Aufnahmen hatte sich Davis schon in den 50-er Jahren auf einer ähnlichen Linie wie die Hardbop-Musiker befunden, die mit „funky“ und „churchy“ Sounds ein neues Bewusstsein für die „roots“ der afroamerikanischen Musik geschaffen hatten. Als sich dies in den 60-er Jahren zum Soul-Jazz weiter entwickelte, war Eddie mit seiner musikalischen Auffassung immer noch up to date. Joe Goldberg erklärte er: „Everybody wants to have soul, it’s a nice thing to have, they just got a new name for it, that’s all. It used to be, if a cat played a certain way, they said he was a real swingin’ cat. Now they say he’s funky. I remember when you were funky if you needed a bath. But however you play, you have to have freedom of expression, or there’s no point in playing.” Fast etwas wie eine Zugehörigkeit zu den aktuellen Strömungen bezeugte die Zusammenarbeit mit „Little Giant“ Johnny Griffin, der als schnellster Tenorist aller Zeiten in die Musikgeschichte eingegangen ist. Das von ihnen gemeinsam geleitete Quintett bestand von 1960 bis 1962, erlebte später Reunions und bestach durch eine Besetzung mit herausragenden Hardbop-Musikern und einem fortschrittlichen Repertoire. Die Zusammenarbeit von „Lock“ und „Griff“ führte durch ihre Popularität auch zu einer Reunion des 10 Jahre zuvor populären Tenor-Tandems Gene „Jug“ Ammons – Sonny Stitt. Natürlich waren „Jug“ und Sonny, ebenso wie die Teams Wardell Gray/Dexter Gordon und Coleman Hawkins/Don Byas wichtige Impulsgeber für das explosive Quintett gewesen. Doch praktische Gründe hatten zur Entstehung der Band geführt. Griffin tat sich mit „Lockjaw“ aus dem gleichen Grund zusammen, wegen dem dieser einst die Partnerschaft mit Scott initiiert hatte: Er war es leid, der Gnade zum Teil recht mittelmäßiger local rhythm sections ausgeliefert zu sein. Wie Johnny Griffins späterer Tenor-Partner Roman Schwaller erzählt, kam Griffin am Anfang ihrer Partnerschaft immer etwas zu spät. „Da hat ihm dann der Lockjaw eine wunderschöne Armbanduhr gekauft (mit eingravierter Widmung: “To my partner John Griffin”), damit er immer pünktlich sein kann. Lockjaw war ja ziemlich heavy, wenn’s um Disziplin auf der Bühne ging und hat auch dementsprechend dreingeschaut, wenn’s mal wieder nicht so lief, wie er’s gerne gehabt hätte. Da hat ihn dann der Griff mal angesagt als: ‚...and now we like to feature our police man on the bandstand...‘!“ Stehen zwei Tenoristen auf der Bühne, wird diese leicht zur Arena und die musikalische Auseinandersetzung ein Zweikampf. Von „tenor battle“ spricht man da, einer Art modernem Gladiatorenkampf zur Befriedigung martialischer Gelüste kunstinniger Leute. Es gab aber schon immer Ausnahmen von der Regel, Musiker, die miteinander, nicht für das Publikum gegeneinander spielten, etwa das Paar Al Cohn und Zoot Sims. In dieser Hinsicht wirkten auch Davis und Griffin wegweisend. 1961 konnte man im „Down Beat“ folgende Äußerung „Lockjaws“ lesen: „It’s not really a battle at all. What we are doing is presenting, side by side, two different styles of playing tenor – a contrast, not a contest.“ Ein anderes Mal erklärte er: “How long can a battle last? Somebody wins, somebody loses, everybody gets bored. Of course, the scent of battle is always present.” In diesem Geist war auch die erwähnte Zusammenarbeit mit „Hawk“ ausgefallen, und gültig blieb diese Haltung auch noch bei späteren auf Platten dokumentierten Gipfeltreffen mit anderen Tenoristen, etwa 1975 mit Zoot Sims oder 1981 Sonny Stitt. Der Kontrast zu Sims war sogar noch größer als zu Griffin, obgleich Sims damals erdiger spielte als zu seiner Zeit mit Cohn. Was Davis und Griffin von „battlenden“ Paaren trennte, war die Arbeitsweise, die “Lockjaw” einmal wie folgt erläuterte: „I was very dedicated playing with Johnny: we rehearsed twice a week together, and one a week with the band. We tried not to repeat material after a week, always adding new tunes, to keep it challenging and fresh. In other words, we tried to put some real meat into the band, so it wasn’t just a jam.” Wie ideal die Partnerschaft von „Griff“ und „Lock“ war, belegen eine Fülle herausragender Alben jener Jahre. Besonders verdient machten sie sich um Kompositionen Thelonious Monks, die bekanntlich so viele Ecken, Kanten und Tücken haben, dass sich damals noch wenige Musiker an sie herantrauten. Mit „Lookin’ at Monk“ lieferten sie schon 1961 ein Tribut ein Monk, dessen Tenorist Johnny Griffin 1958 gewesen war. Zu dieser Zeit waren Monk-Tribut-Alben etwas völlig außergewöhnliches; zuvor hatte nur der Sopranist Steve Lacy eines vorgelegt. Leider war auch dieser vielleicht wichtigsten Band seiner Karriere kein ewiges Leben beschieden: „We couldn’t keep the group going after two years because we started losing money on it. Club owners felt it was just too much saxophone. And clubs were in slump then, too. The avant-garde, ‘free’ thing was coming in, which journalists pushed, so that a lot of young players started going in that direction,” erinnerte sich Davis. Gottlob gab es später in Europa gelegentliche Reunions, an denen auch die Bandleader Kenny Clarke und Francy Boland beteiligt waren, die auch auf dem MPS-Album „Tough Tenors Again ‚N’ Again“ (1970) mit von der Partie waren. Endlich Erfolg In den frühen 60-er Jahren schenkten auch Fachpublikationen endlich „Lockjaw“ mehr
Aufmerksamkeit. „How did Eddie Davis suddenly get to be such a
good saxophonist?“, stellte sich der Künstler selbst die rhethorische
Frage: “It’s the change in background. I’m not doing
anything different now than I’ve always done, but all the years
I was with an organ – nothing.” Mostly Blues Im Laufe der 70-er und 80-er Jahre, als Davis mit dem Label Pablo verbunden war, musizierte er immer wieder zusammen mit Count Basie, und dies auch nach seiner Zeit als festes Bandmitglied. Aufnahmen davon entstanden sowohl bei Jam Sessions als auch mit Studio-Kleinformationen wie der Kansas City 7: Basies Album „Mostly Blues And Some Other“s wurde kaum ein Jahr vor Basies Tod aufgenommen. Innerhalb weniger Tage entstanden beim Jazzfestival Montreux im Jahre 1977 eine Fülle von Alben. An vielen von ihnen wirkte „Lockjaw“ oft mit, oft an der Seite von Oscar Peterson, der ihn auch bei einer dieser Gelegenheiten als Mitglied der Eddie „Lockjaw“ Davis 4 signierte. Ob mit Dizzy Gillespie oder Benny Carter, Ella oder Getz – bei Norman Granz war „Lockjaw“ immer ein Platz an der Seite der Giganten des Jazz sicher, denn zu ihnen gehörte er selbst. Um nur ein Pablo-Album herauszugreifen: Auf „Straight Ahead“ (1976) begleitete Tommy Flanagan Eddie Davis. Der langjähriger Klavierbegleiter Ella Fitzgeralds pflegte die schwere Kunst, sich selbst zurückzunehmen und dadurch den Star noch mehr scheinen zu lassen. Daher kommt Davis hier mehr zur Geltung als bei den zahlreichen Aufnahmen mit Peterson, dem kaum einer „die Show stiehlt“. In seinen mit viel Herzblut geschriebenen Liner Notes zu „Straight Ahead“ fand Benny Green zu Worten, die die Essenz des davisschen Genius treffend erfassen: „Other players can produce glissandi as effectively as Lockjaw does; others can call on the exaggerated vibrato evolving into a muscular wobble of emphasis; others can strew the path of their improvisations with the finely wrought grace notes which flutter across the landscape of Lockjaw’s aesthetic like butterflies in a garden. All these arts are rare, but none is unique, and the secret of Lockjaw’s utter originality lies elsewhere, in that balance between opposing forces which every artist worth his salt strives for. Lockjaw’s perfect balance is between the bulldozing muscularity of his playing and the magnificent control with which he executes it. It is this compromise between a full-fronted attack and the marvellous finesse of heart and fingers which makes Lockjaw a special case an, in my opinion, one of the most underrated virtuosi of the last thirty years.” Gottlob erlebte es „Lock” noch selbst, dass das im Jazz von Kritikern fast schon wie ein Orden verliehene Attribut “unterschätzt” zunehmend überflüssig wurde. So erhielt er noch im September 1986 den Lifetime Achievement Award von der Los Angeles Jazz Society, nicht die einzige solcher Ehrungen, aber eine der letzten. Am 3. November 1986 legte der Tenor-Titan für immer sein Saxophon aus der Hand. Doch Jazz-Freunden in aller Welt ist es so, als hätte er nie aufgehört zu spielen: Auf über 500 Alben, an denen er als Sideman oder Leader mitwirkte, wird er es noch solange tun als Jazz die Herzen der Menschen bewegt. Marcus A Woelfle |
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